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LAIRE/172: Bescheidener Erfolg der Chimki-Waldschützer (SB)


Erstes größeres PPP-Projekt in Rußland erzeugt Widerstand

Umweltschützer wollen verhindern, daß der Chimki-Wald bei Moskau von einer neuen Autobahn zerschnitten wird


Russische Umweltschützerinnen und Umweltschützer versuchen die Zerschneidung des mit altem Baumbestand bestückten Chimki-Waldes bei Moskau durch eine neue Autobahn zu verhindern. Den Plänen zufolge soll sie von der Hauptstadt aus zunächst zum Flughafen Scheremetjewo und von dort weiter nach St. Petersburg gebaut werden. Dabei führt die Strecke über acht Kilometer durch den tier- und pflanzenartenreichen Wald.

Über 20.000 Unterstützer aus rund 160 Ländern hatten eine Online-Petition für dessen Erhalt unterzeichnet. Die Liste wurde am 2. Mai dem französischen Baukonzern Vinci auf seiner Hauptversammlung in Paris vorgelegt. Der fühlt sich allerdings nicht berufen, Entscheidungen der russischen Behörden zu hinterfragen. Obgleich auf der deutschsprachigen Website des Vinci-Konzern behauptet wird, daß "die Nachhaltigkeitspolitik des Konzerns [...] Teil des Performance-Managements von VINCI" ist [1]. Aber im selben Kapitel heißt es auch, daß die Auswirkungen auf die Umwelt "gemindert" werden sollen - "mindern" ist ein sehr interpretierbarer Begriff.

Der seit Jahren laufende Konflikt hat inzwischen einige internationale Medienaufmerksamkeit erlangt. Ungeachtet dessen wird die Auseinandersetzung von Seiten der Staatsorgane und der offensichtlich mit ihr assoziierten Schlägertrupps weiterhin mit großer Härte geführt. Es kam bereits zu schwersten Verletzungen von Kritikern des Projekts und einen Mord.

Aktuellen Berichten zufolge halfen Schlägertrupps auch den OMON-Einheiten am Sonntag (8.5.2011) bei der Räumung von 20 Waldschützern, die sich im Chimki-Wald unangemeldet getroffen hatten [2]. Zu ihnen gehörte die Leiterin der Waldschützer, Jewgenija Tschirikowa, und der Vorsitzende der Jabloko-Partei, Sergej Mitrochin. Nach mehreren Stunden in Polizeigewahrsam wurden die Verhafteten der Friedensrichterin von Chimki vorgeführt, wo sie sich wegen mutmaßlichen Widerstands gegen die Staatsgewalt zu verantworten hatten. Die Richterin lehnte jedoch die Verhandlung mit Verweis auf zahlreiche Fehler in den Protokollen der Beamten ab. Damit sind jedoch die Ordnungsverfahren wegen der Teilnahme an einer nicht genehmigten Veranstaltung nicht vom Tisch, sondern werden an den entsprechenden Wohnorten der Beteiligten eingeleitet.

Der Chimki-Wald ist ein beliebtes, von Wildschweinen, Elchen und vielen anderen Tieren besiedeltes Naherholungsgebiet im Nordwesten der russischen Hauptstadt. Die neue Autobahn könnte das Gebiet auf einer bis zu sechs Kilometer breiten Front zerschneiden. Diese enorme Breite kommt womöglich zustande, weil das Projekt rechts und links der Trasse weitere Infrastrukturmaßnahmen nach sich zieht, so daß der Wald irgendwann auf einen Verkehrsinselrest reduziert wäre. Das klingt übertrieben, entspricht aber sehr wohl der Linie, da die Stadtplaner - gegen die übrigens seitens der Waldschützer der Korruptionsvorwurf erhoben wird - von Anfang an eine Autobahntrasse quer durch den Wald gewählt und daran festgehalten haben, obgleich mehrere alternative Routen vorgeschlagen wurden, die sich besser in die außerhalb des Walds sowieso stark zersiedelte Landschaft einfügen würden.

Ähnlich wie in Deutschland von Regierung und Wirtschaft Verkehrs-Trassen mitunter gegen den Willen eines Teils der Bevölkerung durchgedrückt wurden oder werden sollen - Stichworte Ostseeautobahn, A 39 - scheint auch die russische Regierung entschlossen, den Verlauf der neuen Autobahn nicht mehr verändern zu wollen. Dabei hatte sich selbst Präsident Dmitri Medwedew einmal für den Erhalt des Chimki-Walds ausgesprochen [3].

Die Entscheidung der russischen Richterin, die 20 Verhafteten freizulassen, ist ein bescheidener Erfolg in einem Kampf, bei dem die Umweltschützer laufend an Terrain verloren haben. Dafür, daß in Rußland eine Mobilisierung für Umweltschutzfragen ziemlich schwierig ist, finden die Proteste zwar eine breite Zustimmung, aber die fällt wiederum nicht so breit aus, daß die Regierung dadurch ernsthaft in Bedrängnis geriete.

Die Widerstandsbewegung hat sich nun darauf verlegt, Druck auf den französischen Baukonzern Vinci, der ein führender Autobahnbetreiber in Europa ist, beziehungsweise auf sein Tochterunternehmen NWCC LLC, auszuüben. Aber auch hier sind die Ansatzmöglichkeiten bescheiden - anders vielleicht als bei einem Unternehmen, das für den Massenkonsum fertigt und relativ einfach boykottiert werden könnte.

Bei der Auseinandersetzung um den Chimki-Wald hier geht es letztlich um mehr als um die Frage, ob Bäume erhalten werden sollen oder nicht. Der Autoverkehr genießt in Rußland wie auch in Deutschland Priorität. Das schließt nicht aus, daß in diesem speziellen Fall Bestechungsgelder, die in die eine oder andere Richtung geflossen sein könnten, gewisse Beharrungen bei den politischen Entscheidungsträgern ausgelöst haben. Aber selbst wenn das nicht zuträfe, sähe das Ergebnis vermutlich nicht viel anders aus. Das Auto als Statussymbol und individuelles, schnelles Beförderungsmittel für die aufs engste in den nach ökonomischen Anforderungen getakteten Produktionsprozeß eingebundene Bevölkerung sowie der Lastwagen, mit dem der Güterverkehr der globalisierten Welt abgewickelt wird, sollen durch keine Menschen, die Bäume nicht als lästiges Hindernis betrachten, gebremst werden.


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Anmerkungen:

[1] "Nachhaltigkeitspolitik", abgerufen am 9. Mai 2011
http://www.vinci.com/vinci.nsf/de/nachhaltige-entwicklung/pages/INTRO01.htm

[2 ]"20 Chimki-Waldschützer nicht korrekt festgenommen", 9. Mai 2011
http://www.aktuell.ru/russland/news/20_chimki_waldschuetzer_nicht_korrekt_festgenommen_29484.html

[3] "Der Wald von Chimki ist eine Metapher", 11. November 2010
http://www.klimaretter.info/umwelt/hintergrund/7299-qder-wald-von-chimki-ist-eine-metapherq

9. Mai 2011