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LAIRE/173: NPE-Bericht zur Elektromobilität - industriefreundlich, sozialfeindlich, öko-unsinnig (SB)


Nationale Plattform Elektromobilität (NPE) legt zweiten Bericht vor

Bundregierung will individuelle Elektromobilität zum Wohle der Auto- und Zulieferindustrie fördern


Die Bundesregierung und die deutsche Industrie arbeiten Hand in Hand am Umbau eines zentralen Elements der Gesellschaft, der individuellen Mobilität. Bis zum Jahr 2020 sollen eine Million Autos mit Elektroantrieb auf den Straßen fahren. Der Elektromotor soll den mit fossilen Energieträgern betriebenen Verbrennungsmotor Schritt für Schritt ersetzen. Durch verschiedenste Anreize, die bis zur Diskriminierung konkurrierender Antriebssysteme gehen können, sollen die Bundesbürger dazu gebracht werden, teurere Elektroautos zu erwerben. Propagandistisch begleitet wird der gesellschaftliche Umbau von der Behauptung, Elektroautos seien umweltfreundlich - faktisch geht es bei dem Vorhaben darum, in Zeiten schwindender Verfügbarkeit von Erdöl der deutschen Auto- und Zulieferindustrie langfristig hohe Umsätze zu sichern.

Vor rund einem Jahr hat die Regierung die Nationale Plattform Elektromobilität (NPE) mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft ins Leben gerufen, damit sie Vorschläge unterbreitet, wie die Zielmarke "eine Million Elektroautos bis 2020" zu erreichen sei. Am Montag, den 16. Mai, wurde der zweite Bericht des Expertengremiums an die Bundesregierung übergeben [1]. Am 18. Mai soll das "Regierungsprogramm Elektromobilität" verabschiedet werden [2].

Der NPE-Bericht trägt durchgängig die Handschrift der Auto- und Zulieferindustrie. Die Regierung vertritt die Interessen dieser Branchen bereits durch die übergreifende Wortwahl "Elektromobilität", als gäbe es sie nicht schon längst. Dabei bewegen sich die Deutschen schon lange elektromobil von A nach B, nämlich auf der Schiene. Der Eisenbahn-Personenverkehr ist zu 86 Prozent und der Güterverkehr zu 88 Prozent elektrisch angetrieben, wie die Organisation Allianz pro Schiene mitteilt [3].

Der Schienenverkehr wurde und wird jedoch durch Vernachlässigung und Rückbau des Streckennetzes, Teilprivatisierung der Deutschen Bahn und Erhöhung der Tarife im Nah- wie Fernverkehr systematisch reduziert. Würde die Bundesregierung jene vier Milliarden Euro, die von der NPE als Subventionierung der individuellen Elektromobilität gefordert werden (Entwicklung und Aufbau von Ladestationen für die E-Autos nicht eingerechnet!), in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs stecken und - um die Wortwahl aus dem NPE-Bericht aufzugreifen - "Anreize" schaffen, damit die Menschen diese Verkehrsform stärker nutzen, erfüllte sie nicht nur die vielbeschworenen Umweltschutzkriterien, sondern sorgte auch für einen sozialen Ausgleich. Warum nicht ein Konzept entwickeln, bei dem der öffentliche Nahverkehr preiswerter oder gar kostenlos angeboten wird? Das würde den Straßenverkehr enorm entlasten, verhülfe Menschen, die sich kein eigenes Auto leisten können, zu einer höheren Mobilität, und wäre ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz.

Das stünde jedoch den Profitinteressen der deutschen Auto- und Zulieferindustrie massiv entgegen. Mit finanzkräftiger Unterstützung durch die Bundesregierung will sie zum globalen Vorreiter der individuellen Elektromobilität werden. Das schmeckt der Umweltorganisation WWF, die an der NPE beteiligt und der anscheinend nur eine Feigenblattfunktion zugedacht war, überhaupt nicht. Der WWF spricht von einer "Farce". Die Industrie habe sich die eigenen Subventionen in Milliardenhöhe selbst ausgerechnet. Außerdem sei der Abstimmungs- und Redaktionsprozeß des Berichts "in weiten Teilen selbst für die Teilnehmer der Plattform intransparent" gewesen, geht der WWF in einer Presseerklärung mit der NPE hart ins Gericht [4].

Beispielsweise kritisiert die Organisation, daß die von ihr eingebrachten Vorschläge regelmäßig in der nächsten Berichtsversion verschwunden seien und daß sie gar nicht erst am Lenkungsausschuß, der die Ergebnisse der Arbeitsgruppen zusammengeführt hat, vertreten waren. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt es in ihrer wöchentlichen Internet-Ansprache, die am vergangenen Wochenende dem Thema Elektromobilität gewidmet war, nicht für nötig, die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Kräfte auch nur zu erwähnen, als sie erklärte: "Die Nationale Plattform Elektromobilität ist vor einem Jahr zusammengeführt worden. Sie besteht aus Vertretern von Wissenschaft, der Industrie und der Politik und versucht so, gute Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Elektroautos in unserem Lande herzustellen." [5]

Wie ein direkter Hieb gegen den öffentlichen Nahverkehr mutet der Vorschlag der NPE an, den Kommunen Deutschlands könnte es freigestellt werden, Elektroautos zu erlauben, die speziellen Busfahrspuren zu benutzen. Zu den weiteren Vorschlägen gehört, eigene Fahrspuren für Elektroautos einzurichten oder gar sie beim Parken zu bevorzugen. Mit solchen Ideen werden die Benziner diskriminiert, die Vorschläge gehen weit über die "Marktvorbereitung" für Elektroautos (Bundesverkehrsminister Ramsauer [zitiert nach: 2]) hinaus. Die sind nämlich viel zu teuer, als daß die Autokonzerne in absehbarer Zeit mit einem massenhaften Wechsel weg von den etablierten Benzinmotoren rechnen könnten.

Zudem sind Elektroautos schwer, verbrauchen dementsprechend mehr Energie im Verhältnis zur zurückgelegten Fahrstrecke, und noch immer weisen sie eklatante Nachteile gegenüber Benzinern hinsichtlich ihrer Reichweite auf. Dabei ist vom Aufbau einer bundesweiten Parallelverkehrsstruktur mit Ladestationen, Ausbau und Sicherung von Stromtrassen, Batterie-Austauschsystemen und vielem mehr noch gar nicht die Rede. Darüber hinaus werden bei der Herstellung von Elektroautos, insbesondere bei Elektromotoren und Batterien, vor allem in anderen Ländern schwerwiegende Umweltzerstörungen angerichtet. Bei Elektromotoren wird beispielsweise das Element Neodym verwendet, bei dessen Abbau das radioaktive Thorium mitgefördert und als Abraum aufkonzentriert wird. Das sorgt nicht bei uns, aber im fernen China für erhebliche Umweltbelastungen [6].

Für die Produktion von Batterien wiederum wurden und werden unterschiedliche Konzepte erforscht, in der Regel geht die Produktion von energetischen Speichern (Akkus) mit beträchtlichen Umweltzerstörungen einher, und zwar sowohl beim Abbau von Rohstoffen wie Lithium als auch bei der Verarbeitung zum Beispiel zu Lithium-Ionen-Akkus. Als wäre das noch nicht problematisch genug, könnte die Leistungsfähigkeit solcher Akkus in Zukunft mit Hilfe von Nanomaterialien, deren gesundheitlichen und ökologischen Auswirkungen überhaupt noch nicht ausreichend erforscht sind, verbessert werden. So teilten am Montag Forscher des Center for Nanointegration (CeNIDE) der Universität Duisburg-Essen (UDE) mit, daß sie Nanomaterialien produziert haben, "die den Energie-Inhalt von Lithium-Ionen-Batterien um 15 Prozent erhöhen und die Kosten dafür gleichzeitig um sieben Prozent senken", wie die österreichische Zeitung "Der Standard" berichtete [7].

Umweltorganisationen, die bisher in der individuellen Elektromobilität eine Antwort auf die destruktiven Folgewirkungen vermehrter Treibhausgasemissionen aufgrund der Verbrennung fossiler Energieträger sehen, sollten sich an den Agrosprit-Hype vor einigen Jahren erinnern, der anfangs ebenfalls von Umweltorganisationen befeuert wurde. Bis sie erkennen mußten und das auch unverzüglich zugestanden haben, daß sie sich täuschten. Agrosprit ist (häufig) nicht klimafreundlich, kann in den landwirtschaftlichen Produktionszonen mit Vertreibungen und Verdrängungen (Nordghana) einhergehen; er fördert den Monokulturanbau (Malaysia, Indonesien), und hin und wieder fallen dem Anbau ökologisch einzigartige Gebiete zum Opfer (Tana-Delta in Kenia). Manchmal werden typische Agrospritrohstoffe wie Zuckerrohr oder Palmöl unter sklavereiähnlichen Arbeitsverhältnissen geerntet (Brasilien).

Vergleichbar schwerwiegende Umwelt- und Verarmungsfolgen sind auch vom jüngsten Hype der Elektromobilität zu erwarten. Der relative Wohlstand der westlichen Konsumgesellschaften gründet sich nicht zuletzt auf die in Übersee ausgelagerten Verheerungen im Umwelt- und Sozialbereich. Wohingegen hierzulande die Steuerzahler zum Wohle der Auto- und Zulieferindustrie kräftig zur Kasse gebeten werden. Die Subventionierung der Autoindustrie über das Vehikel des elektromobilen Individualverkehrs dürfte die fünf Milliarden Euro, die vor zwei Jahren von der Regierung im Rahmen des Konjunkturpaktes II als Umweltprämie (auch Abwrack- oder Verschrottungsprämie genannt) der Autoindustrie zu Lasten des Gebrauchtwagenmarkts und der Autowerkstätten zugeschanzt wurde, am Ende noch deutlich übertreffen.


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Anmerkungen:

[1] "Zweiter Bericht der Nationalen Plattform Elektromobilität", Verfasser Nationale Plattform Elektromobilität (NPE) Berlin, Mai 2011; Herausgeber Gemeinsame Geschäftsstelle Elektromobilität der Bundesregierung (GGEMO), abgerufen aus dem Netz am 16. Mai 2011
http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/bericht_emob_2.pdf

"Zweiter Bericht der Nationalen Plattform Elektromobilität Anhang", Verfasser Nationale Plattform Elektromobilität (NPE) Berlin, Mai 2011; Herausgeber Gemeinsame Geschäftsstelle Elektromobilität der Bundesregierung (GGEMO), abgerufen aus dem Netz am 16. Mai 2011
http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/bericht_emob_2_anhang.pdf

[2] "Nationale Plattform Elektromobilität übergibt zweiten Bericht an die Bundesregierung - Neues Regierungsprogramm als Antwort", Gemeinsame Pressemitteilung des BMWi, des BMVBS, des BMBF und des BMU, Pressemitteilung 067/2011, 16. Mai 2011
http://www.bmbf.de/press/3093.php

[3] "Elektromobilität und Elektroautos", Allianz pro Schiene, aus dem Internet abgerufen am 16. Mai 2011
http://www.allianz-pro-schiene.de/service/glossar/elektromobilitaet-elektroauto/

[4] "WWF: Bericht zur Elektromobilität ist eine Farce", WWF - World Wide Fund For Nature, Pressemitteilung vom 16. Mai 2011
http://www.pressrelations.de/new/standard/result_main.cfm?r=452098&sid=&aktion=jour_pm&quelle=0&n_firmanr_=100979&pfach=1&detail=1&sektor=pm&popup_vorschau=0

[5] http://www.bundeskanzlerin.de/nn_707282/Content/DE/Podcast/2011/2011-05-14-Video-Podcast/2011-05-14-video-podcast.html

[6] Näheres dazu im SCHATTENBLICK unter:
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-133.html

[7] "Materialien sind effizienter und günstiger. Wissenschafter der Universität Duisburg-Essen erzielten entscheidende Fortschritte", Der Standard, 15. Mai 2011
http://derstandard.at/1304551902377/Neuartige-Akkus-Batterien-aus-Nano-Materialien-sind-effizienter-und-guenstiger

16. Mai 2011