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LAIRE/221: Kanarische Inseln - Keine Sonargeräusche, kein Massenstranden von Walen (SB)


Spaniens Einschränkung von Marinemanövern zeitigt offenbar Erfolg



Immer wenn über das Phänomen des Massenstrandens von Meeressäugern im allgemeinen berichtet wird, werden die Kanarischen Inseln genannt. Schon häufig schwammen dort ganz Gruppen von Meeressäugern an den Strand und sind verendet. Doch seit neun Jahren nicht mehr. In einem Bericht des Wissenschaftsmagazins "Nature" vermuten Forscher um Antonio Fernández, daß das 2004 von der spanischen Regierung verhängte Verbot von Marinemanövern mit dem Einsatz von Sonargeräten für die Meeresgebiete bei dieser zentralostatlantischen Inselgruppe seine erhoffte Wirkung gezeigt hat. [1]

Noch im Juli 2004 waren vier Cuvier-Schnabelwale (Ziphius cavirostris) gestrandet, nachdem wenige Tage zuvor das internationale Seekriegsmanöver "Majestic Eagle" nördlich der Kanarischen Inseln stattfand. Bei den Übungen wurden laute Explosionen im mittleren Frequenzbereich erzeugt, was üblicherweise dazu dient, mit Hilfe der Reflektionswellen U-Boote aufzuspüren.

Tiermediziner untersuchten die toten Tiere und stellten innere Verletzungen fest, die als "atypisch" bezeichnet wurden und von denen sie auf eine zeitliche und räumliche Nähe zum Einsatz der Sonargeräte schlossen.

Zwei Jahre zuvor waren bei den Kanarischen Inseln bereits vierzehn tote Buckelwale in räumlicher und zeitlicher Nähe zu einem Meeresgebiet, in dem das Manöver "Neo-Tapon 2002" stattfand, aus dem Meer gefischt worden. Damals deuteten Autopsieergebnisse wie blasenartige Läsionen und Fettembolien auf eine Störung des normalen Tauchverhaltens der Tiere. Denn solche Symptome hatte man bislang noch nie bei Walen, wohl aber bei Menschen, die zu schnell aufgetaucht sind (Dekompressionskrankheit), beobachtet. [2]

Der Verdacht liegt nahe, daß die Wale wegen des ohrenbetäubenden Lärms in ihrer Unterwasserwelt zu schnell aufgetaucht und gestorben sind. Wobei in ihrem Fall nicht die Gasbläschen in den bereits teilweise zersetzten Körpern den Ausschlag für diese Diagnose gaben, sondern die Embolien. [3]

Experten bezweifeln nicht, daß Marinemanöver eine der Ursachen für Massenstrandungen von Meeressäugern sind. Das geht aus einen Bericht an die Internationale Walfangkommission (International Whaling Commission; IWC) aus dem Jahr 2004 hervor. [4] Doch der letztgültige Beweis, daß ein bestimmtes Marinemanöver zu einem bestimmten Massenstranden geführt hat, läßt sich insofern schwer erbringen, weil andere Faktoren nie mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden können.

Wenn nun die Forschergruppe um Antonio Fernández in "Nature" schreibt, daß das spanische Sonarverbot im Jahr 2004 (dem eine rechtlich nicht verbindliche Resolution des Europäischen Parlaments gegen den Einsatz der Sonargeräte vorausgegangen war) wahrscheinlich ausschlaggebend für das Ausbleiben weiterer atypischer Strandungen von Meeressäugern auf den Kanarischen Inseln ist, dann stützt sich diese Aussage im wesentlichen auf Statistik. Das Argument ist nachvollziehbar, bietet aber auch einen Angriffspunkt. Denn es bräuchte nur zu einem einzigen atypischen Stranden trotz des Sonarverbots kommen, dann wäre das Argument der Forscher entschärft.

Im übrigen bilden die Kanarischen Inseln zwar einen Hotspot von Massenstrandungen, aber es gab auch in der Vergangenheit längere Zeiträume, in denen keine toten Meeressäuger gefunden wurden. So hat der Natural Resources Defense Council in einem Bericht vom November 2005 [5] eine Tabelle von Strandungen, die mit Seemanövern assoziiert werden, veröffentlicht. Demnach kam es auf den Kanarischen Inseln 1985, 1988, 1989, 1991, 2002 und 2004 zu diesem Phänomen. Es gab also schon einmal eine Phase von sogar elf Jahren (1991 bis 2002), während der keine atypischen Strandungen beobachtet wurden, obgleich das Moratorium noch nicht in Kraft war.

Auf der anderen Seite wurden in der Vergangenheit häufiger Massenstrandungen von Meeressäugern beobachtet, ohne daß in der Nähe Marinemanöver durchgeführt worden wären. Dennoch ist die Marine damit nicht aus dem Schneider. Es besteht nämlich der Verdacht, daß auch geringe Schallintensitäten zu Verhaltensstörungen und Schädigungen von Meeressäugern führen können. So existiert in den Ozeanen eine Zwischenschicht, die SOFAR-Kanal (Sound Fixing And Ranging) genannt wird. Die weist die Eigenschaft aus, daß sich darin Schallwellen verlustarm über weite Strecken ausbreiten können. Buckelwale nutzen dieses Medium, um über viele tausend Kilometer hinweg miteinander zu kommunizieren.

Wenn in eben dieser Schicht die aktiven Sonargeräte der Marine Explosionsgeräusche erzeugen, beeinträchtigt das womöglich noch das Verhalten von Meeressäugern in mehreren tausend Kilometern Entfernung. Seit Beginn der motorisierten Seefahrt werden die Weltmeere akustisch kontaminiert. Es besteht die Vermutung, daß Massenstranden nur das sichtbare Indiz für die Schädigung der Meeressäuger durch Unterwassergeräusche ist und daß viele verstorbene Tiere gar nicht erst entdeckt werden, da sie zum Meeresboden sinken.

Mit dem bereits in den Startlöchern stehenden Abbau von Manganknollen, Massivsulfiden, Kobaltkrusten und Methanhydraten vom Tiefseeboden sowohl in internationalen Gewässern als auch den ausschließlichen Wirtschaftszonen der Nationalstaaten kommen in Zukunft weitere Geräuschquellen hinzu, die den Meeressäugern mit ihren extrem empfindlichen Hörorganen das Leben zur Hölle machen müssen. Wer wollte schon behaupten, er wüßte mit Sicherheit, daß das Massenstranden wirklich "nur" Folge der Verwirrung der Meeressäuger ist und nicht ein vergeblicher Fluchtversuch oder gar eine Entscheidung zum kollektiven Suizid?


Fußnoten:

[1] http://www.nature.com/nature/journal/v497/n7449/full/497317d.html?WT.ec_id=NATURE-20130516

[2] http://www.omicsonline.org/2155-9910/2155-9910-2-107.php

[3] http://awionline.org/sites/default/files/uploads/legacy-uploads/documents/EU_Res-2004-1238105849-10127.pdf

[4] iwc.int/cache/downloads/1s2a20o37mf4wgw8sgkk0888c/2004%20SC%20REP.pdf

[5] http://www.nrdc.org/wildlife/marine/sound/sound.pdf

16. Mai 2013