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LAIRE/235: Ameisen im Giftnebel (SB)


Neue neuseeländische Studie zur Wirkung von Neonicotinoiden auf zwei Ameisenarten

Die einen aggressiv, die anderen defensiv - Verhaltensänderung von Ameisen unter Pestizideinfluß



Das Wort Neonicotinoide steht nicht für einen neuen Inhaltsstoff von Zigaretten, sondern für die am häufigsten verwendete Gruppe von Insektiziden. Weil einige dieser Nervengifte (Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam) im dringenden Verdacht stehen, zum Sterben von Bienenvölkern beizutragen, wird die Verwendung der Mittel in der Europäischen Union ab dem 1. Dezember dieses Jahres stark eingeschränkt. Allerdings wurden solche Mittel in der Vergangenheit trotz Verbots über "Notfall-Verordnungen" befristet wieder zugelassen.

Wenn Neonicotinoide auf Saatgut ausgebracht werden, breiten sie sich beim Keimen und Wachsen in der gesamten Pflanze aus und lassen deren Fraßfeinde absterben. Nun haben neuseeländische Forscher die Auswirkungen solcher neurotoxischen Substanzen in einer subletalen Dosis (beinahe tödlichen Dosis) auf zwei Ameisenarten, die gar nicht zur Zielgruppe des Insektizideinsatzes gehören, untersucht.

Zum einen handelt es sich um die Argentinische Ameise (Linepithema humile), die sich dank menschlicher Aktivitäten (Warentransport, Reisen) weltweit ausgebreitet und 1990 Neuseeland erreicht hat. Die andere Art (Monomorium antarcticum) ist in Neuseeland beheimatet. Beide Spezies bevorzugen annähernd den gleichen Lebensraum und suchen ähnliche Futterquellen auf.

Jede Art für sich genommen zeigte in einer Neonicotinoid-Umgebung keine auffällige Veränderung ihres Freßverhaltens, die invasive Art erzeugte allerdings deutlich weniger Nachwuchs, schreiben die Forscher in den Proceedings of the Royal Society B. [1]

Sobald die Vertreter beider Ameisenarten zusammenkamen, griffen sie sich an. Auffällig war die besonders hohe Aggressivität der eingewanderten Art gegenüber der einheimischen, sobald beide den Neonicotinoiden ausgesetzt waren. Umgekehrt ging in dem Fall die einheimische Art sanfter mit den Invasoren um. Beide Verhaltensweisen zusammengenommen führten dazu, daß sich die Invasoren bei der Futterbeschaffung deutlich gegenüber ihren Konkurrenten durchsetzten.

Auch in früheren Untersuchungen, beispielsweise in Kalifornien, hatte sich die Argentinische Ameise als aggressiver und durchsetzungsfähiger als eine einheimische Art herausgestellt. [2]

Das Novum der Studie um den Doktoranden Rafael Barbieri, Professor Phil Lester und Außerordentlichen Professor Ken Ryan von der Victoria University's School of Biological Science in Wellington besteht darin, die für ihre Aggressivität bekannte Argentinische Ameise unter dem Einfluß von Neonicotinoiden zu studieren. "Hier ist zu beobachten, daß der 'Dschingis Khan' der Ameisenwelt noch aggressiver wird, wenn er solchen Pestiziden ausgesetzt ist", berichtete Prof. Lester. [3]

Nach Einschätzung der Forscher zeigt ihre Studie, daß eine subletale Exposition gegenüber solchen Insektiziden einen beträchtlichen Einfluß auf die Dynamik von Ameisengesellschaften hat.

Entscheidend an der Untersuchung ist vielleicht nicht so sehr, welche Ameisenart sich unter welchen Bedingungen durchsetzt oder verdrängt wird, sondern daß die Insektengifte überhaupt Verhaltensänderungen bei Arten auslösen, die gar nicht als Zielgruppe vorgesehen sind. Da drängt sich der Verdacht auf, daß der Einsatz solcher Mittel in der Landwirtschaft, aber auch in urbanen Räumen Einfluß auf die Ökosysteme nimmt, ohne daß das jemals entdeckt wird.

Was nicht bedeutet, daß keine Wirkung besteht. Viele Entwicklungen in der Natur werden vom Menschen "verschlafen", bis sie plötzlich bemerkt werden. Das treffendste Beispiel im globalen Maßstab ist die eigentlich sehr geringe Konzentrationserhöhung von Kohlendioxid in der Erdatmosphäre als Folge der Verbrennung von fossilen Energieträgern: Die Erde erwärmt sich, die klimatischen Verhältnisse ändern sich grundlegend. Auch die Entstehung sogenannter toter Zonen in vielen Meeren der Erde aufgrund der Nitratbelastung durch die hohen Düngergaben in der Intensivlandwirtschaft könnte man als ein Beispiel für überraschende Entwicklungen im größeren Maßstab ansehen. Ein drittes Beispiel hat konkret mit der Verbreitung von Neonicotinoiden zu tun: Im April 2008 kam es im Oberrheingraben zum Massensterben unter Bienen, weil diese die Blüten von Raps anflogen, auf denen sich neonicotinoidhaltiger Staub abgelegt hatte. Dieser war als Abrieb von sogenannten pneumatischen Einzelkornsägeräten, mit denen insektizidbelastete Maissaat auf Nachbarfeldern ausgebracht wurde, herangeweht worden. Eine mindere Beizqualität soll den Abrieb gefördert haben. [4]

Es hat den Anschein, als müßte es erst zu solchen massiven Schädigungen bei Bestäubern kommen, die für die Landwirtschaft unverzichtbar sind, daß die Genehmigungsbehörden anfangen, die von der Industrie erstellten Sicherheitsstudien zu hinterfragen und Restriktionen des Gebrauchs von Pestiziden zu verhängen. Dabei sollte doch eigentlich seit der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio das Vorsorgeprinzip gelten, nach dem auch dann für die Sicherheit von Mensch und Umwelt gesorgt wird, wenn die allerletzte wissenschaftliche Gewißheit einer Gefährdung noch nicht erbracht wurde. Daß die EU-Kommission überhaupt reagiert und den Gebrauch von Neonicotinoiden eingeschränkt hat, ist wohl weniger als Ausdruck der Vor-, sondern der Nachsorge anzusehen.

Hier geht es nicht allein um Bienen oder Ameisen. Angesichts der vielen verschiedenen chemischen Substanzen, deren Zusammenwirken nie erforscht wurde und die in der Landwirtschaft eingesetzt werden, damit wenige Bauern überhaupt die Nahrung für viele Menschen produzieren können, wundert es schon, daß Genehmigungsbehörden wie die EFSA (European Food Safety Authority - Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) hauptsächlich die Studien auswerten, die ihr von der Industrie geliefert werden. Die hat zwar kein Interesse daran, aufgrund eines womöglich schädlichen Mittels mit Schadenersatzklagen überzogen zu werden, aber sie will ihre hohen Investitionen für die Entwicklung eines Produkts nach Möglichkeit durch dessen Verkauf wieder hereinholen. Da besteht ein eindeutiger Interessenkonflikt, der oftmals nicht zu Gunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher entschieden wird.


Fußnoten:

[1] http://rspb.royalsocietypublishing.org/content/280/1772/20132157.full

[2] http://www.stanford.edu/~dmgordon/old2/HumanGordon1996.pdf

[3] http://phys.org/news/2013-10-pesticides-ants-aggressive.html

[4] http://landwirtschaft-bw.de/pb/,Lde/665732

24. Oktober 2013