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LAIRE/247: Fracking in Deutschland - welche Schadensfolgen gelten als "verantwortbar"? (SB)


Erneut Leckage bei der Erdölförderung in Niedersachsen

Kabinett legt Gesetzentwurf zum Fracking vor, demzufolge mit noch mehr Umweltschäden zu rechnen ist


"Wir legen damit die strengsten Regelungen im Bereich Fracking vor, die es jemals gab", lobte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks einen von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurf zum Fracking. [1] Vielleicht hätte sie dazu sagen sollen, daß dies nur für Deutschland gilt, denn unser Nachbarland Frankreich hat strengere Regelungen erlassen. Dort ist Fracking verboten. Strenger geht nich'.

Selbst durch die vermeintlich strengsten Regelungen Deutschlands würde wahrscheinlich nicht verhindert, was diese Woche Mittwoch in Georgsdorf, Samtgemeinde Neuenhaus im Landkreis Grafschaft Bentheim, geschehen ist: An einer Förderbohrung der ExxonMobil Produktion Deutschland GmbH (EMPG) sind durch eine Leckage rund 500 Liter Nassöl ausgetreten. Das teilte das niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) mit. [2] Das Nassöl, bei dem es sich nach Unternehmensangaben [3] um ein Gemisch aus 10 Prozent Erdöl und 90 Prozent Lagerstättenwasser handelte, habe sich aufgrund des zu dem Zeitpunkt starken Winds als Sprühnebel über den Förderplatz und eine angrenzende 144 m² großen Ackerfläche verteilt. Es war während der Förderung zwischen dem oberirdischen Bohrlochabschluß und dem beweglichen Fördergestänge ausgetreten. Das kontaminierte Erdreich sei sofort abgetragen worden, das genaue Ausmaß werde aber noch untersucht, versicherte die Landesbehörde.

0,5 Kubikmeter bzw. 500 Liter, was der Menge von 25 Haushaltseimern entspricht, sind zwar verglichen mit anderen Leckagen aus der Erdöl- und Erdgasindustrie nicht viel. So war im gleichen Erdölfeld am 28. Juni 2014 aus einer Sammelleitung der EMPG die 300fache Menge, 150 Kubikmeter, eines Gemischs aus 95 Prozent Lagerstättenwasser und 5 Prozent Rohöl ausgetreten. Betroffen war eine Fläche von rund einem Quadratkilometer. [4] Und keine sechs Monate später flossen aus einer Nassölleitung der EMPG im niedersächsischen Erdölfeld Rühlermoor 9000 Liter in einen Graben. Dieses Nassöl bestand zu je 50 Prozent aus Rohöl und Lagerstättenwasser. [5] Eine Liste mit Dutzenden solcher und ähnlicher Leckagen im norddeutschen Raum, hat die Bürgerinitiative Frackingfreies Hamburg-Harburg zusammengestellt. [6]

Jedoch spricht jeder einzelne Vorfall der Behauptung Hohn, Fracking sei sicher. Und wir haben es bei den hier genannten Beispielen nur mit Vorfällen zu tun, die oberirdisch aufgetreten sind und deshalb entdeckt wurden. Die Schadensfolgen im Untergrund bräuchten gar nicht unter den Teppich gekehrt zu werden, sie fänden naturgemäß in einem Bereich statt, der schwer oder gar nicht einsehbar ist, und würden unter Umständen erst viele Jahre später bemerkt. Würde das von der Bundesregierung vorgelegte "Fracking-Ermöglichungsgesetz" - so der nordrhein-westfälische Umweltminister Johannes Remmel [7] - umgesetzt, wäre mit noch mehr Schadensfällen zu rechnen. An so einer unpopulären Stelle hält man sich allerdings seitens der Regierung bedeckt.

Laut einer gemeinsamen Pressemitteilung der Bundesministerien für Wirtschaft und für Umwelt vom 1. April 2015 sagte Hendricks zum neuen Gesetzentwurf:

"Ich bin froh, dass wir nach langer Diskussion endlich Regelungen beschlossen haben für die bislang ungeregelte Fracking-Technologie. Mit diesem Gesetzespaket können wir Fracking so weit einschränken, dass es für Mensch oder Umwelt keine Gefahr mehr ist. Soweit Risiken nicht zu verantworten sind oder derzeit nicht abschließend bewertet werden können, wird Fracking verboten." [8]

Wo aber wird für die Bürgerinnen und Bürger überhaupt transparent gemacht, was die Behörden in Zukunft für "nicht zu verantworten" und logischerweise umgekehrt für "zu verantworten" halten werden?

Wäre damit das Risiko von Unfällen, wie weiter oben beispielhaft aufgeführt, zu verantworten? Würde das auch noch gelten, wenn durch die Erdölförderung Menschen zu Schaden kommen, so wie aktuell im Golf von Mexiko, wo bei einer Explosion auf einer Plattform vier Arbeiter ihr Leben verloren? [9]

Bei der Beantwortung der doch eigentlich sehr wichtigen, geradezu dringenden Frage nach den behördlichen Bemessungskriterien für "verantwortbar" werden die Menschen auffälligerweise im Ungewissen gelassen.

Dringend zu beantworten wäre die Frage allein schon deshalb, weil die Europäische Union sowohl mit Kanada als auch den USA Freihandelsabkommen abschließen will, durch die es zu Rechtsanpassungen bei den Vertragspartnern kommen soll. Das betrifft auch die Erdöl- und Erdgasförderung und dürfte daher Einfluß auf die Kriterien haben, nach denen die Behörden in Zukunft etwas für noch verantwortbar oder nicht mehr verantwortbar halten.

Da bei den EU-Freihandelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) mit Kanada und TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) mit den USA vorgesehen ist, daß die rechtliche Position von Unternehmen gegenüber dem Staat gestärkt wird, könnten die Mitarbeiter einer Landesbergbaubehörde als Folge des dadurch auf sie lastenden, höheren Drucks geneigt sein, Einsparungen bei der Ausführung von Bohrungen für verantwortbar zu halten, während jedoch die Anwohner womöglich zu einer gegenteiligen Einschätzung gelangten, da bei der Erdöl- und Erdgasförderung regelmäßig diverse, krebserregende Gase freigesetzt werden.

So könnte man fragen, ob Wirtschaftsminister Gabriel, Umweltministerin Hendricks und jene Entscheidungsträger in den Landesämtern, die Fracking für unbedenklich halten, sich auch dann noch für den Gesetzentwurf stark machen, wenn so ein Bohrplatz unmittelbar neben ihrem Grundstück errichtet würde.


Fußnoten:

[1] http://www.euractiv.de/sections/energie-und-umwelt/fracking-deutschland-kritiker-warnen-vor-aufgeweichtem-gesetzesentwurf

[2] http://www.lbeg.niedersachsen.de/aktuelles/pressemitteilungen/titel-132695.html

[3] http://www.exxonmobil.com/Germany-German/PA/news_media_releases_austritt_von_nassoel_auf_dem_sondenplatz_gedf_628.aspx

[4] http://www.lbeg.niedersachsen.de/aktuelles/pressemitteilungen/titel-125887.html

[5] http://www.lbeg.niedersachsen.de/aktuelles/pressemitteilungen/titel-129846.html

[6] http://www.bi-ffh-harburg.de/?page_id=257

[7] http://www.deutschlandfunk.de/fracking-kabinett-beschliesst-umstrittenen-gesetzentwurf.1818.de.html?dram:article_id=315897

[8] http://www.bmub.bund.de/presse/pressemitteilungen/pm/artikel/kabinett-beschliesst-weitgehende-einschraenkungen-fuer-fracking/

[9] http://www.deutschlandfunk.de/mexikanische-oel-plattform-explodiert-bislang-keine.697.de.html?dram:article_id=316033

3. April 2015


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