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LAIRE/291: Elektromobilität - den Teufel mit dem Beelzebub ... (SB)



Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung die "Nationale Plattform Zukunft der Mobilität" eingerichtet. Vorschläge einer der sechs Arbeitsgruppen der Plattform zu einem gesundheits- und umweltverträglichen Verkehr wurden jedoch von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) von vornherein verworfen, wie beispielsweise ein Tempolimit auf Autobahnen. Zu den bereits bekanntgewordenen Vorschlägen der Arbeitsgruppe 1, die am Freitag offiziell vorgestellt werden sollen, gehört, daß die Regierung sehr viel mehr dafür tun muß, um die Elektromobilität voranzubringen.

Elektromobilität wird inzwischen als die Generallösung für alle möglichen Verkehrsprobleme gepriesen, obschon diese noch erheblich zunehmen werden, sobald sich diese "Fortschritts"-Technologie durchsetzt. Denn es ist zu erwarten, daß die Verkehrsdichte weiter wächst, da Elektroautos gern als Zweit- oder Drittwagen für den innerstädtischen Verkehr gekauft werden. Viele Menschen, die auf ein Auto angewiesen sind, wenn sie zur Arbeit fahren, verbringen zweimal am Tag eine Zeitlang im Stau. Solche Stoßzeiten haben sich bereits mit dem höheren Verkehrsaufkommen der letzten Jahrzehnte ausgedehnt und werden es noch weiter tun, sobald auch Elektroautos hinzukommen. Ein Nebeneffekt, der in Norwegen, dem Elektroautoland Nummer eins in Europa, beobachtet wurde: Nach der Einführung von Elektroautos hat sich das Mobilitätsverhalten der Menschen geändert. Sie fuhren weniger mit öffentlichen Verkehrsmitteln, da sie ja jetzt ein Elektroauto besaßen.

Im Verkehrsfunk werden heutzutage manchmal nur "größere" Staus oder "Staus ab zehn Kilometer Länge" gemeldet, um die Berichterstattung über die vielen Staus nicht allzusehr auszudehnen. Der Verkehrsinfarkt ist nicht abzuwenden, indem man eine weitere Fahrzeugart auf die Straße bringt. Dazu paßt, daß auch der immense Flächenverbrauch von Autos durch die Elektroautos nicht ab-, sondern eher noch zunimmt. Es werden zusätzliche Parkplätze mit Ladestationen eingerichtet.

Außerdem werden erhebliche Gesundheitsprobleme des Verkehrs durch die individuelle E-Mobilität nicht behoben, sondern in andere Weltregionen verlagert. In den hiesigen Städten wird voraussichtlich die Belastung mit Stickoxiden zurückgehen, doch für die Herstellung der Batterien der Elektroautos müssen Rohstoffe beispielsweise aus der Demokratischen Republik Kongo herangeschafft werden. Dort findet der Bergbau teilweise unter Sklavereibedingungen statt. Für die E-Mobilität könnte in Zukunft sogar Bergbau in der Tiefsee betrieben werden, denn dort lagern Kobalt und andere Rohstoffe, die gebraucht werden, damit Elektroautos "umweltfreundlich" fahren können. Die ökologischen Folgen des Meeresbodenbergbaus wären für das Leben in den Ozeanen katastrophal.

Hinsichtlich der Auswirkungen auf den Klimawandel unterscheiden sich Autos mit Elektromotoren kaum von denen mit Verbrennungsmotoren. Aufgrund des hohen Ressourceneinsatzes amortisiert sich das Elektroauto energetisch erst nach rund vier bis fünf Jahren. Die Abgase kommen zwar nicht aus den Auspuffen der einzelnen Fahrzeuge, was sicherlich die Lebensqualität vor allem in den Städten erhöht, aber aus den Schornsteinen der Kraftwerke, die dafür Kohle verbrennen - zumindest bis 2038, geht es nach der deutschen Kohlekommission. Sollten bis dahin viele E-Autos unterwegs sein und die sogenannten erneuerbaren Energien weiter wie bisher ausgebremst werden, wäre sogar eine Verlängerung der Kohleverstromung denkbar. Oder der Bau neuer Atomkraftwerke, um einmal die Parameter für ein Worst-case-Szenario abzustecken.

Vielleicht ein Nebenaspekt, aber nicht zu vernachlässigen: Die Gesundheitsprobleme enden nicht damit, daß die schadstoffemittierenden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren von der Straße verbannt werden. Elektroautos sind erheblich schwerer, erzeugen deshalb mehr Feinstaub aufgrund des Gummiabriebs der Reifen. Auch werden aufgrund des höheren Gewichts Straßen und Brücken stärker belastet.

Aus einer ganz anderen Richtung könnten weitere, bislang noch gar nicht ausgelotete Gesundheitsprobleme auftreten. Die Wirtschaft arbeitet an der Technologie des autonomen Fahrzeugs, das möglicherweise im nächsten Jahrzehnt eingeführt und wahrscheinlich elektrisch betrieben wird. Diese Technologie geht mit dem Aufbau eines ungeheuer dichten Funkmastennetzes für den 5G-Standard einher. Dieser Funkstandard soll neben dem Internet der Dinge (das heißt beispielsweise, daß der Kühlschrank mit dem Internet verbunden ist und selbsttätig den Käse bestellt, sobald dieser aufgebraucht ist ...) auch die Industrie 4.0 und Landwirtschaft 4.0 steuern. Wenn alles mit allem vernetzt wird, könnte, um ein Anwendungsbeispiel herauszugreifen, jemand durch die belebte Einkaufszone einer Großstadt gehen und verzögerungsfrei Daten über die Entgegenkommenden aus der Cloud abrufen.

Der 5G-Funkstandard soll im Hochfrequenzspektrum betrieben werden, das hinsichtlich der gesundheitlichen Auswirkungen bislang "noch nicht so gut erforscht" ist, wie das Bundesamt für Strahlenschutz auf seiner Internetseite berichtet (Man weiß allerdings, daß man die Hand nicht in die hochfrequente Mikrowelle stecken sollte ...). Die Behörde rät zu einem "umsichtigen" Ausbau des 5G-Netzes. Mit anderen Worten, die Bundesrepublik (und nicht nur sie) wird zu einem riesigen Experimentierfeld der weitgehend unerprobten 5G-Technologie.

Wenn Verkehrsminister Scheuer Kritik seitens sozialdemokratischer Bundestagsabgeordneten wie Nina Scheer im DLF-Interview auf sich zieht, da er unter anderem die Elektromobilität nicht zügig voranbringt, dann stellt eine solche Kritik nicht das Gegenmodell zur ministeriellen Untätigkeit dar, sondern lediglich eine Variante derselben Stoßrichtung. Mit der Elektromobilität soll ein neuer Zyklus der kapitalistischen Produktionssteigerung eingeläutet werden. Das hat mit dem vorgeblichen Motiv hinter dieser gesellschaftlichen Transformation - die weitere globale Erwärmung abzuwenden -, nichts zu tun.

27. März 2019


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