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LAIRE/299: Müll - Schiebenot ... (SB)



Fast alle Staaten der Vereinten Nationen haben ein Abkommen zur Exportbeschränkung von Plastikmüll vereinbart. Der größte Plastikmüllexporteur der Welt, die USA, gehört nicht dazu. Seitdem China keinen Plastikmüll aus dem Ausland mehr aufnimmt, haben die reichen Hochkonsumländer Verträge mit einzelnen Dörfern vorzugsweise in Südostasien zur Aufnahme des Mülls vereinbart. An den Rändern dieser Dörfer sind binnen eines Jahres riesige Müllhalden entstanden. Dem wird nun ein Riegel vorgeschoben. Die betroffenen Staaten haben die Möglichkeit, die Aufnahme des Mülls aus anderen Ländern zu verhindern.

So unterstützenswert diese Vereinbarung auch ist, stellt sich die Frage, auf was sie in der Praxis hinausläuft. Werden sich die Müllberge, nunmehr staatlich angeordnet, weiterhin am Rande von Dörfern - wenngleich in anderen Ländern - auftürmen, nur daß diesmal deren Bewohnerinnen und Bewohner nicht einmal mehr ein Einkommen davon haben?

Ab dem 1. Januar 2018 war in China, bis dahin Plastikmüllabladeplatz Nummer eins für die Industriestaaten, die Einfuhr von 24 verschiedenen Recyclingmaterialien verboten. Da sich am Müllaufkommen in den USA und anderen Staaten, die bislang das Reich des Mülls in Anspruch genommen haben, nichts geändert hat, haben sich seitdem bei ihnen selbst die Abfallberge gehäuft. Aber nicht nur dort. Auch in manchen Dörfern in Malaysia, Indonesien und Thailand türmten sich seitdem riesige Müllberge, berichtete Claire Arkin, Sprecherin von GAIA (Global Alliance for Incinerator Alternatives), eines weltweiten Zusammenschlusses von Initiativen, die sich für Alternativen zur Müllverbrennung einsetzen, laut der britischen Zeitung "The Guardian". [1]

Nun haben sich die Unterzeichnerstaaten des Basler Abkommens auf eine Vereinbarung zum Umgang mit dem Im- und Export von Plastikmüll, der aufgrund seiner Zusammensetzung bzw. von Verunreinigungen schwer wiederzuverwerten ist, geeinigt. Damit wird verhindert, daß Müll auf privatwirtschaftlicher Basis und ohne daß die Behörden der Empfängerländer die Kontrolle über das problematische Material haben, von den reichen in den armen Ländern "entsorgt" wird. Das von Norwegen initiierte neue Abkommen ist ein Zusatzprotokoll (Amendment) zum "Basler Abkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung" und gilt als rechtsverbindlich. Damit wird der Plastikmüll ebenfalls als Stoff deklariert, der einer besonderen Prüfung bedarf, was angemessen ist angesichts der teils toxischen Substanzen, Verbundmaterialien und der vielfältigen Zerfalls- und Reaktionsprodukte des Plastikmülls.

Weil die USA das von 187 Staaten beschlossene Basler Abkommen nicht ratifiziert haben, gilt für sie auch nicht die nun beschlossene Vereinbarung. Allerdings wird es nun nicht mehr so einfach möglich sein, den Müll woanders abzuladen. In Entwicklungsländern, die der Basler Konvention beigetreten und nicht Mitglied der OECD (Organization for Economic Cooperation and Development) sind, darf laut dem "Guardian" nach Inkrafttreten des Amendments in voraussichtlich einem Jahr kein Plastikmüll abgeladen werden.

Für andere Länder wie beispielsweise das OECD-Mitglied Türkei mag es weiterhin attraktiv sein, im Austausch für Devisen Landflächen anzubieten, auf denen der Müll gelagert werden kann. Sollten die Gebiete in der Nähe des Meeres liegen oder gar auf flachen, unbewohnten Inseln, bestünde die zusätzliche Gefahr einer "natürlichen" Entsorgung beim nächsten Hochwasser ...

Vielleicht wird das neue Abkommen noch keinen Rückschlageffekt auf die Menge und Art der Plastikproduktion haben, die das eigentliche Problem darstellen, aber ohne ein solches Vertragswerk würde sich eine Praxis verstetigen, die dazu beigetragen hat, daß sich von Mikro- bis Makrogröße am tiefsten und am höchsten Punkt der Erde und auf sämtlichen Höhenstufen dazwischen Plastik wiederfinden läßt. Plastikpartikel werden über große Strecken vom Wind bewegt, Einweggeschirr, Verpackungen, Gummistiefel und die vielen, vielen aus fossilen Rohstoffen hergestellten Plastikteile landen über Flüsse im Meer und werden in riesigen Müllstrudeln zusammengetrieben. Auch Strände, Äcker, Meeresboden, alles ist verseucht. Meeressäuger, Fische, Schildkröten und Vögel, aber auch Kleinstlebewesen, die Basis der Nahrungskette sind, verenden an verschlucktem, unverdaulichem Plastikmüll.

An dieser Katastrophenentwicklung im Gewand der vermeintlich praktischen Plastikprodukte sind keineswegs nur die USA beteiligt. Beispielsweise exportiert Deutschland über eine Million Tonnen und damit ein Sechstel seines Plastikmülls pro Jahr ins Ausland, bisher vorzugsweise nach Südostasien. Aber auch Indien, Vietnam und die Türkei sind Abnehmer des Mülls.

Der Eindruck, daß Industriestaaten wie USA, Japan und Deutschland ihre gewaltigen Müllmengen stets nur durch die Hintertür in anderen Ländern abladen konnten, wäre ein Irrtum. Der Export fand sowohl auf legalen als auch illegalen Wegen statt - wobei die Geschäfte mit einzelnen Dörfern nicht verboten waren - und könnte auch in Zukunft ausgerechnet durch das Amendment zum Basler Abkommen legalisiert werden. Selbstverständlich sollte das Problem bei der Wurzel gepackt werden. Genauer gesagt, bei den Wurzeln, denn auch wenn von Konsumentscheidungen gegen Plastikmüll, so sie massenhaft getroffen werden, eine Lenkungswirkung ausgehen kann, kommt beispielsweise mindestens die Hälfte des aus Plastik hergestellten Verpackungsmaterials gar nicht bei den einzelnen Haushalten an, sondern wird bei der Produktion und auf der Lieferkette verwendet.

Darüber hinaus betreiben die USA gegenwärtig eine Überproduktion an Fracking-Erdgas und haben sich deswegen darauf verlegt, aus dem Erdgas Plastikpellets als Rohstoff für die Plastikindustrie herzustellen. Auch die Europäische Union, die lieber das besonders klima- und umweltschädliche Fracking-Erdgas aus Nordamerika als das nicht ganz so schädliche Pipeline-Erdgas aus Rußland kauft, steigt in die Plastikpelletproduktion ein. Solange Steuergelder aus den EU-Mitgliedsländern in die Subventionierung von Fabriken für Plastikpellets und den Aufbau einer Infrastruktur für das Anlanden von verflüssigtem Erdgas aus den USA ausgegeben werden, kann das individuelle Konsumverhalten nur wenig ausrichten.


Fußnote:

[1] https://www.theguardian.com/environment/2019/may/10/nearly-all-the-worlds-countries-sign-plastic-waste-deal-except-us

16. Mai 2019


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