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ATOM/348: Greenpeace stärkt den Sicherheitsstaat (SB)


Greenpeace-Aktion auf dem Akw Unterweser

Umweltorganisation warnt vor Terrorangriffen


Mitglieder der Umweltorganisation Greenpeace haben am Montag die Kuppel des Kernkraftwerks Unterweser bestiegen und mit einem großformatigen Schriftzug "Atomkraft schadet Deutschland" gegen die Anlage protestiert. Mit dieser spektakulären Aktion will die Organisation auf die - in ihren Augen - große Gefahr aufmerksam, Terroristen könnten Kernkraftwerke sprengen; entweder indem sie in das Gelände eindringen oder indem sie Passagiermaschinen entführen und auf den Reaktor abstürzen lassen.

Offiziell hat Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble die Greenpeace-Aktion verurteilt. "Mit allem Respekt, dies ist nicht die richtige Art", sagte er am Dienstag in Berlin. [1] Ob er sich dabei heimlich ins Fäustchen gelacht hat, ist nicht bekannt. Jedenfalls darf er sich bei Greenpeace bedanken. Denn die bestätigt ihn, der seit Jahren ein Sicherheitsgesetz nach dem anderen durchgeboxt hat und unermüdlich weitere Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten unter dem Vorwand der Terrorabwehr plant, in seiner Ansicht, daß für Deutschland die akute Gefahr eines Angriffs besteht.

Darüber hinaus dürfte es Schäuble genießen, daß Greenpeace vor Selbstmordattentätern, die Passagiermaschinen auf Kernkraftwerke krachen lassen könnten, warnt. Es ist erst gut drei Jahre her, da erteilte das Bundesverfassungsgericht dem Innenminister eine Abfuhr, indem es den Entwurf das Luftsicherheitsgesetz für unvereinbar mit dem Grundgesetz bezeichnete. Schäuble wollte nämlich der Bundesluftwaffe gestatten, unter bestimmten Bedingungen mutmaßlich entführte Passagiermaschinen abzuschießen.

Greenpeace soll keineswegs die Absicht unterstellt werden, dem Innenminister willentlich in die Hände zu spielen. Die Umweltorganisation möchte erreichen, daß die sieben ältesten Reaktoren - Biblis A und B, Brunsbüttel, Isar 1, Phillipsburg 1, Neckarwestheim 1 und Unterweser - abgeschaltet werden, weil sie nicht ausreichend gegenüber der Durchschlagskraft von Passagiermaschinen geschützt sind. Angesichts eines drohenden Regierungswechsel in der kommenden Legislaturperiode, in der möglicherweise CDU und FDP an die Macht kommen, besteht die Chance, daß die neue Regierung einen Ausstieg aus dem Atomausstieg beschließt. Greenpeace befürchtet, daß dann jene sieben älteren Kernkraftwerke entgegen dem Ausstiegsvertrag nicht abgeschaltet werden.

Das "gut gemeinte" Anliegen schützt die Umweltorganisation jedoch nicht davor, ihre eigenen Argumente zu überdenken. Wenn Greenpeace-Sprecher Tobias Münchmeyer Schäubles Äußerung als die "falsche Art" [1] bezeichnet und ausgerechnet dem Innenminister vorhält, die Gefahren eines Terroranschlags auf Atomkraftwerke "einfach totzuschweigen", dann arbeitet er am Ausbau des Sicherheitsstaats. Vor einer solchen Entwicklung hatte vor über dreißig Jahren einer der Pioniere der Anti-Atombewegung, der Philosoph und Publizist Robert Jungk, mit dem Buch "Der Atomstaat. Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit" (1977) eindrücklich gewarnt. Kernenergie zwänge dem Staat autoritäres Handeln auf, analysierte Jungk die Vorwandslage, unter der ein Atomstaat repressiven Strukturen aufbaut.

Möglicherweise hat die heutige Generation der Anti-Atombewegung mit ihrer Ausrichtung auf plakative Aktionen, mit denen die Öffentlichkeit aufgerüttelt werden soll, den theoretischen Hintergrund ihrer Arbeit ein wenig vernachlässigt.


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Anmerkungen:

[1] "Schäuble streitet mit Greenpeace", DDP-Meldung vom 23.06.2009
http://www.dernewsticker.de/news.php?id=120719&i=smhfrm

24. Juni 2009