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ATOM/393: Waldbrände - Quelle für Radionukleotide (SB)


Durch Waldbrände verbreiten sich Radionukleotide aus verstrahlten Regionen laufend weiter


Vor gut 25 Jahren explodierte der Reaktor 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl. Über mehrere Monate hinweg wurden radioaktive Partikel bis nach Westeuropa und darüber hinaus getragen, am schwersten betroffen waren jedoch Weißrußland und Ukraine. In der sogenannten Todeszone um den zerstörten Reaktor herum regneten neben Jod und Cäsium auch schwerere Elemente wie Plutonium ab. Der Reaktor 4 wurde in einen Betonsarkophag gehüllt, um weitere Strahlenemissionen zu vermeiden. Doch schon nach relativ kurzer Zeit zeigte die Betonummantelung Risse; schließlich flogen Schwalben ein und aus. Die Sicherheitslage in Tschernobyl verschlechtert sich weiterhin, denn noch immer wurde die Gefahr nicht gebannt, daß bei einem Einsturz des maroden Sarkophags erneut eine große Menge Radionukleotide in die Umwelt entweichen. Die Ukraine selbst sieht sich nicht dazu in der Lage, aus eigenen Mitteln einen neuen Sarkophag um den Reaktor zu bauen, und die internationale Gemeinschaft hat zwar Gelder zugesagt, aber das Vorhaben verzögert sich um Jahre. Unterdessen richtet eine Gruppe ukrainischer und internationaler Wissenschaftler einen dringenden Appell an die internationale Gemeinschaft, sie sollte zumindest 13,5 Mio. Dollar für ein Programm zum Schutz vor Waldbränden in der Todeszone spenden. Benötigt würden automatische Waldbrandmelder und neue Brandbekämpfungs- sowie forstwirtschaftliche Ausrüstung, berichtete die britische Zeitung "The Guardian"[1].

Die ukrainische Nationaluniversität für Lebens- und Umweltwissenschaften, die Universität Yale und das Globale Waldbrandüberwachungszentrum der Vereinten Nationen haben für rudimentäre zusätzliche Waldschutzmaßnahmen rund sechs Millionen Dollar zugesagt. Lediglich die ukrainische Regierung zögert noch mit der letztgültigen Genehmigung. Dabei besteht die Gefahr, daß durch Waldbrände radioaktive Partikel freigesetzt und vom Wind davongetragen werden. Diese Radionukleotide befinden sich beispielsweise in den Borken der Bäume, in Pilzen oder auch der Humusschicht. Seit 1992 kam es innerhalb der rund 30 Kilometer durchmessenden, 260.000 Hektar großen und zu 60 Prozent bewaldeten Sperrzone um das Akw Tschernobyl herum zu mehr als 1000 Waldbränden.

Dmytro Melnychuk, Rektor der ukrainischen Nationaluniversität, erklärte laut dem "Guardian", daß Strontium-90, Plutonium und Americium-241 durch die von Waldbränden ausgelösten Aufwinde davongetragen werden und noch in 150 Kilometern oder mehr herunterkommen können. Die Strahlenmenge wäre unter Umständen so groß, daß Nahrungsmittel zu sehr belastet sind, als daß sie noch gefahrlos gegessen werden könnten.

Im selben "Guardian"-Bericht erklärte Sergiy Zibtsev, assoziierter Professer am Kiew Institut für Forstwirtschaft und Landschaftsgestaltung, daß Waldbrände im Jahr 2003 auf dem ehemaligen Atombomben-Testgebiet Semipalatinsk in Kasachstan radioaktive Partikel aufgewirbelt hätten, die noch in Kanada nachweisbar waren. Deshalb sollte die internationale Gemeinschaft das Problem, daß Waldbrände in Tschernobyl einen ähnlichen Effekt haben können, ernst nehmen.

Der ukrainische Forscher macht hier auf einen Umstand aufmerksam, dem - vielleicht unter dem Eindruck von sehr viel größeren Verstrahlungsgefahren - relativ wenig Beachtung geschenkt wird, nämlich daß durch Waldbrände radioaktive Partikel verbreitet werden. Das betrifft nicht nur das kontaminierte Waldgebiet rund um das Akw Tschernobyl oder das oberirdische Testgebiet für Atombomben in Kasachstan, sondern im Prinzip jede andere verstrahlte Region, vor allem aber das Gebiet rund um die einst geheime sowjetische Atombomben-Produktionsstätte Majak im Südural. Selbst das Atomforschungslabor Los Alamos im US-Bundesstaat New Mexiko [2] und die Plutonium-Produktionsstätte Hanford im US-Bundesstaat Washington [3] waren schon mal von Wald- bzw. Buschbränden ausgesetzt, wobei angeblich keine großen Mengen Radioaktivität freigesetzt wurden.

Bei den riesigen Waldbränden im vergangenen Jahr in Rußland wurden nach Einschätzung von Experten aus dem Tschernobyl-Unfall stammende radioaktive Immissionen abermals freigesetzt. Betroffen war vor allem die Region Brjansk, die nach Angaben des russischen Zivilschutzministers Sergej Schoigu von Tschernobyl "schwer verunreinigt" worden war" [4]. Das Bundesamt für Strahlenschutz gab damals für Deutschland Entwarnung aus. Die Verbreitung der radioaktiven Stoffe sei vor allem regional begrenzt, hieß es [5]. Gegenwärtig steigt allerdings die Waldbrandgefahr in Rußland erneut, noch scheint dies vor allem den Fernen Osten, Sibirien und den Raum Moskau zu betreffen [6]. Die Zahl der Waldbrände hat jedoch um 70 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zugenommen; 40.000 Hektar Wald wurde in den ersten vier Monaten dieses Jahres Opfer von Flammen - das Dreifache gegenüber 2010.

Radionukleotide verschwinden erst dann aus der Umwelt, wenn sie zerfallen. Das geht bei Jod-131 relativ schnell, dessen Halbwertszeit beträgt acht Tage; doch liegt die Halbwertszeit von Strontium-90 bei 28,78 Jahren, bei Cäsium-137 bei 30,2 Jahren, bei Plutonium- 239 sogar bei 24.110 Jahren. Zudem können die Strahlenpartikel oberflächlich verschwinden, wenn sie mit dem Regenwasser in tiefere Bodenschichten oder über Fließsysteme ins Meer gespült werden. Das verringert die Kontaminationsgefahr, doch im strengen Sinne sind die Partikel nicht aus der Umwelt verschwunden. Die Radionukleotide sind Teil eines komplexen Systems physikalischer und biologischer Prozesse. Die Strahlenteilchen gelangen in die Atmosphäre, vom Regen werden sie wieder aus der Luft gewaschen, stärkerer Regen spült sie in den Boden, von dort werden sie von Pflanzen wieder an die Oberfläche geholt, Tiere fressen die Pflanzen und scheiden die Substanzen entweder aus oder lagern sie in ihrer Substanz ein, so daß die Partikel entweder von Räubern aufgenommen werden oder sich da ablagern, wo das Tier verendet. Waldbrände können die Radionukleotide erneut in Umlauf bringen, so daß sie unerwartet in die Nahrungskette gelangen oder besiedelte Gebiete kontaminieren.


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Anmerkungen:

[1] "Forest fires around Chernobyl could release radiation, scientists warn", The Guardian, 26. April 2011
http://www.guardian.co.uk/environment/2011/apr/26/chernobyl-radioactive-fires-global-danger

[2] "Response to the Government Accountability Project, GAP", LA-UR 08-07159, Mike McNaughton, 9. Dezember 2008
http://www.lanl.gov/environment/compliance/docs/LA-UR%2008-07159.pdf

[3] "Washington State: Buschbrand vor US-Atomanlage gestoppt - Größte Urandeponie der Welt betroffen", Tagesspiegel, 30. Juni 2000
http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/washington-state-buschbrand-vor-us-atomanlage-gestoppt-groesste-urandeponie-der-welt-betroffen/150886.html

[4] "Waldbrand-Katastrophe. Minister fürchtet Freisetzung radioaktiver Stoffe bei Tschernobyl", Spiegel online, 5. August 2010
http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,710412,00.html

[5] "Keine radioaktive Gefahr durch Waldbrände", 12. August 2010
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2010/08/2010-08-12-bringen-die-waldbraende-radioaktivitaet-nach-deutschland_3F.html

[6] "Neue Waldbrände: Medwedew jagt Beamte in den Wald", Russland aktuell, 28. April 2011
http://www.russland-aktuell.de/russland/politik/neue_waldbraende_medwedew_jagt_beamte_in_den_wald_4152.html

28. April 2011