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ATOM/415: 1300 Rohrleitungen marode - Akw San Onofre in Kalifornien bleibt vorläufig vom Netz (SB)


Erhebliche Schäden in einem der erdbebengefährdetsten Akws der Welt



Ob eine zukünftige Bundesregierung am Ausstieg aus der Atomenergie festhält, ist keineswegs gesichert. Sollte die Ablehnung dieser Technologie in der Bevölkerung nachlassen, könnte auch die Politik geneigt sein, dem Drängen mancher Energiekonzerne und Forschungseinrichtungen nachzugeben. Atomenergie ist aus Sicht der Ordnungspolitik viel zu attraktiv, als daß sie bereit ist, ohne weiteres auf diese zentralistische Strukturen fördernde und umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen erfordernde Technologie zu verzichten.

Mit dem Zerfall des Atoms als Quelle der Wärmegewinnung sind ungeheuer große Risiken verbunden, wie zuletzt die Havarie des japanischen Akw Fukushima Daiichi am 11. März 2011 gezeigt hat. Die Atomwirtschaft bemüht sich, diesen Vorfall als einzigartige Verkettung von Ereignissen darzustellen, die niemand vorhersehen konnte und so nie wieder eintreten wird. Indes warnen Atomkritiker wie Henrik Paulik von der Organisation IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War), daß die mangelhafte Sicherheitsarchitektur des Akw Fukushima Daiichi eben keine Ausnahme ist und weltweit ähnliche Akws in Betrieb sind. [1]

Beispielsweise gibt es in den USA ein Atomkraftwerk, für das eine ähnliche Konstellation gilt wie für das Akw Fukushima Daiichi: Es liegt direkt am Meer, ist hoffnungslos veraltet und nur für Erdbeben der Stärke 7 ausgelegt, obgleich es in der Nähe von drei tektonischen Bruchzonen errichtet wurde. Der Schutzwall zum Meer ist rund acht Meter hoch. Die Rede ist vom Akw San Onofre an der südkalifornischen Pazifikküste. Vor kurzem berichteten die Medien, daß in dem Akw mehr als 1300 beschädigte Rohre (510 in Block 2, 807 in Block 3) im Innern von vier gewaltigen Dampfgeneratoren außer Betrieb genommen werden mußten. [2] Jeder der Generatoren verfügt über fast 10.000 Rohre. Die Zahl der nun geschlossenen Leitungen fällt nicht so ins Gewicht, daß dadurch der erlaubte Grenzwert der Reduzierung überschritten wird. [3]

Im Januar war es in Block 3 zu einem Unfall mit dem Austritt von radioaktiven Gasen gekommen. Angeblich wurden weder Akw-Arbeiter noch Anwohner geschädigt. Zu dem Zeitpunkt war Block 2 wegen Wartungsarbeiten abgeschaltet. Möglicherweise muß der Betreiber Southern California Edison (SCE) nun einen oder beide Blöcke des 2150 Megawatt-Akw in diesem Sommer, wenn im Sonnenstaat die Klimaanlagen enormen Strom ziehen, wegen der Sicherheitsmängel abgeschaltet bleiben. Das könnte zu Versorgungsengpässen und Blackouts führen, wird befürchtet.

Die beiden Reaktoren bleiben vom Netz, nachdem in den erst in den zwischen 2009 und 2010 installierten Dampfgeneratoren des Unternehmens Mitsubishi Heavy Industries marode Rohrleitungen entdeckt worden waren. Anscheinend wurden sie aufgrund von Vibrationen gegeneinander gerieben und haben sich dabei übermäßig abgenutzt. Die US-Atomaufsichtsbehörde NRC (Nuclear Regulatory Commission) hat nun angekündigt, daß sie einem Weiterbetrieb des Akw erst grünes Licht erteilen wird, wenn das Unternehmen die Ursache der Abnutzung eindeutig erkannt und behoben hat.

Das Akw Onofre bestand einmal aus drei Blöcken. Der erste ging 1967 mit einer Bruttoleistung von 456 MW ans Netz und wurde 1992 abgeschaltet. Die beiden anderen Einheiten gingen 1982 und 1983 ans Netz und liefern seitdem für rund 1,5 Mio Einwohner elektrischen Strom. Das Akw liegt zwischen den Metropolen San Diego und Los Angeles. Die gesamte Region ist tektonisch im höchsten Maße instabil. Nicht mal einen Kilometer vom Akw San Onofre entfernt verläuft der Cristiano-Graben. Er gehört zu einem ganzen System von tektonischen Zerr-, Scher- und Bruchzonen wie beispielsweise dem berühmten San-Andreas-Graben, der keine 100 Kilometer entfernt liegt. Zudem befinden sich vor der Küste des Akw San Onofre drei weitere Bruchlinien innerhalb einer Entfernung von lediglich zehn Kilometern.

Der Theorie der Plattentektonik zufolge schieben sich dort die Pazifische und die Nordamerikanische Platte aneinander vorbei, was mit Verwerfungen in Längs- wie auch Querrichtung einhergeht. Teilweise werden Spannungen im Gestein aufgebaut, die sich irgendwann ruckartig lösen können. Je länger der Zeitraum, in dem es hier kein größeres Beben gab, desto größer dürfte die Wucht des nächsten Bebens sein.

"Es hat den Anschein, als fielen die neuen Dampfgeneratoren auseinander und Edison wisse nicht warum. Unter den gegenwärtigen Umständen wäre es dummdreist, die Anlage auch nur im reduziertem Betrieb wieder hochzufahren", sagte der Nuklearexperte Daniel Hirsch von der Universität von Kalifornien in Santa Cruz laut AP. [3] Im Umkreis von 80 Kilometern um das Akw San Onofre leben 7,4 Millionen Menschen. Sie sitzen auf einem Pulverfaß, von dem niemand sagen kann, wann es hochgeht.

In dieser tektonisch höchst instabilen Region ein Atomkraftwerk zu bauen und das dann auch nur für ein Erdbeben der Stärke 7,0 auszulegen, scheint unverantwortlich, hatte doch das Erdbeben 1906 im nahegelegenen San Francisco bereits eine Stärke, die nachträglich je nach Einschätzung mit 7,8 bis 8,4 auf der Richterskala bewertet wurde. Die Befürworter der Kernenergie in den USA argumentieren, daß noch kein Akw aufgrund eines Erdbebens kollabiert ist. Für die Zerstörung des Akw Fukushima wird in der Regel der Tsunami verantwortlich gemacht; Henrik Paulik [1] wies nach, daß bereits das Erdbeben die Katastrophe eingeleitet hat. Das Argument trifft also nur bedingt zu, geht aber sowieso an dem eigentlichen Problem vorbei. Die letztlich statistisch begründete Aussage gestattet keine zuverlässige Prognose für zukünftige Ereignisse - und in einer so brisanten Angelegenheit sollte man keinen Fehler begehen.

Die Befürwortung der riskanten Atomtechnologie ist nicht einfach nur eine energiepolitische Richtungsentscheidung, sondern überhaupt ein Ausdruck, wie Staatlichkeit verstanden wird, nämlich von oben herab an den Lebens- und Überlebensinteressen vieler Menschen vorbei. Hier zeigt sich das Selbstverständnis einer Regierung, die sich der Gefährlichkeit eines Standortes wie dem des Akw San Onofre bewußt ist, aber das keineswegs unwahrscheinliche Katastrophenereignis mit Verweis auf den Strombedarf in Kalifornien oder der Freizügigkeit des Wirtschaftens "wegzukalkulieren" versucht.


Fußnoten:

[1]‍ ‍BERICHT/013: IPPNW hinterfragt Tsunami-Legende - Erdbeben löste Fukushima-GAU aus (SB), Schattenblick,13. März 2012
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0013.html

[2]‍ ‍"SCE plugs 1,300 tubes in San Onofre steam generators", Reuters, 8.‍ ‍Mai 2012
http://www.reuters.com/article/2012/05/08/utilities-edison-sanonofre-idUSL1E8G8FBX20120508

[3]‍ ‍"Over 1,300 Tubes Damaged at Calif. Nuclear Plant", Associated Press, 8. Mai 2012
http://abcnews.go.com/US/wireStory/1300-tubes-damaged-ailing-cal-reactors-16304993#.T7oUpbR1Ces

21.‍ ‍Mai 2012