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ATOM/425: WHO-Studie widerlegt - Doch Häufung von Schilddrüsenkrebs in Fukushima (SB)


Allen Beschwichtigungsversuchen zum Trotz

Folgen der Nuklearkatastrophe von Fukushima schwerwiegender als von Experten angenommen



Die japanischen Behörden lassen sich mit der medizinischen Untersuchung von 360.000 Einwohnern aus der Präfektur Fukushima, die zum Zeitpunkt der Reaktorkatastrophe im Akw Fukushima Daiichi minderjährig waren, Zeit. Bis jetzt wurden erst 210.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren medizinisch untersucht. Dennoch liefern die bisher gewonnenen Daten ein erschütterndes Bild. Bei 18 Heranwachsenden wurde Schilddrüsenkrebs diagnostiziert, bei 25 weiteren Personen besteht der Verdacht auf eine solche Erkrankung. Eigentlich wäre in Japan nur mit einem Fall von Schilddrüsenkrebs unter mehreren hunderttausend Heranwachsenden zu rechnen, meldete der Fernsehsender NHK. [1]

Junge Menschen, die einer Strahlenbelastung mit Jod-131, wie es in den ersten Tagen nach der Katastrophe vom 11. März 2011 vom Akw Fukushima Daiichi vermehrt emittiert wurde, ausgesetzt werden, sind besonders anfällig für Schilddrüsenkrebs. Einen gewissen Schutz hätte die Einnahme von Jodtabletten gebracht, aber die Behörden haben viel zu spät angefangen, Tabletten zu verteilen.

Das vorläufige Ergebnis des Untersuchungskomitees widerspricht der Erwartung, daß das erhöhte Auftreten von Schilddrüsenkrebs in der Statistik verschwinden wird. Das tut es offensichtlich nicht. Die Kurve der Krebserkrankten weist steil nach oben.

Das mit der medizinischen Beobachtung der gesundheitlichen Folgen der Strahlung auf die örtliche Bevölkerung betraute Untersuchungskomitee der Präfekturverwaltung von Fukushima will anscheinend nicht sehen, was sich vor seinen Augen abspielt. Denn es behauptet, es könne nicht mit Bestimmtheit sagen, ob der Akw-Unfall den Schilddrüsenkrebs unter den Kindern und Jugendlichen in Fukushima ausgelöst hat. Aber man habe ein Expertenteam bestimmt, das dies untersuche, wird zu beschwichtigen versucht.

So wird die Bevölkerung Jahr um Jahr hingehalten, und irgendwann wird die Regierung auch noch anfangen, weitere Atomkraftwerke ans Netz zu nehmen und damit das Risiko einer erneuten Havarie erhöhen. Noch immer hat die Weltgesundheitsorganisation ihren Bericht [2], demzufolge sich das Krebsrisiko bei etwa zwei Millionen geringfügig radioaktiv Belasteten in Japan nicht nennenswert erhöhen wird - ausgenommen 20.000 Einwohnern aus der zu spät evakuierten Kleinstadt Namie und 6.000 Einwohnern aus dem Dorf Iitate sowie die Arbeiter des Akw-Betreibers Tepco - offiziell nicht zurückgezogen. Die aktuellen Daten des Untersuchungskomitees von Fukushima stellen die WHO-Studie, die maßgeblichen Einfluß auf die Wahrnehmung der Katastrophe durch Politiker und Wissenschaftler hat, in Frage.

Längst sind die Lobbyisten der Atomwirtschaft und andere "Experten" dazu übergegangen, die Menschen, die erhebliche Strahlenfolgen für sich oder ihre Kinder befürchten oder bereits darunter leiden, zu bezichtigen, ihre gesundheitlichen Probleme seien Folge von aus Unkenntnis geborener Sorge. Ihnen wird zu verstehen gegeben, daß gar nichts Schlimmes passiert ist, ihre Sorgen unbegründet sind und eventuelle Krankheitssymptome psychosomatisch verursacht wurden.

Der dreifache GAU von Fukushima, die radioaktive Verstrahlung ganzer Landstriche, einschließlich einiger Flächen der 20-Millionen-Einwohner-Metropole Tokio, die fortgesetzte Verseuchung des Pazifischen Ozeans durch radioaktives Kühlwasser, die akute Gefahr eines Zusammenbruchs des strukturell zerrütteten Reaktors 4, all das soll als ein rein psychologisches Problem der Bevölkerung abgetan werden.

Nur dann, wenn besorgte Bürger, die sich beispielsweise zur Initiative CRMS (Citizens' Radioactivity Measuring Station) zusammengeschlossen haben und eigene Strahlenmessungen durchführen, herausfinden, daß die offiziellen Angaben zur Strahlenbelastung der Bevölkerung nicht stimmen können, werden Fehler eingeräumt. Aber immer nur so weit, wie es sich nicht mehr vermeiden lassen kann.

Auch die jüngsten Erklärungen der Untersuchungskommission der Präfekturverwaltung von Fukushima müssen als Teil der allgemeinen Beschwichtigungspolitik angesehen werden. Nicht zuletzt wird das an der Aussage des Komiteevorsitzenden Hokuto Hoshi deutlich, der laut NHK erklärte, man werde die gesammelten Daten und einzelnen Fälle sorgfältig untersuchen, damit den Einwohnern "auf verantwortliche Weise" Erklärungen geliefert werden können.

Indem das Vorstandsmitglied des Ärzteverbands der Präfektur Fukushima das Wort "verantwortlich" verwendet, gibt es den von ihm in Zukunft zu erwartenden Erklärungen eine bestimmte Richtung. Vermutlich müssen die Einwohner damit rechnen, das alles, über das zu berichten aus der Sicht der Behörden unverantwortlich wäre, verschwiegen oder so zurechtgebogen wird, daß es verantwortlich erscheint. Man muß sich fragen: Wem gegenüber wird Hoshi im Zweifelsfall ein höheres Verantwortungsbewußtsein zeigen, den verstrahlten Einwohnern oder dem Regierungsapparat, der die Ordnung notfalls auf Kosten von Leib und Leben der Einwohner aufrechterhalten will?

Bei seiner Antrittsrede nach der Wahl zum neuen Vorsitzenden des Untersuchungskomitees im Juni dieses Jahre hatte er erklärt, er wolle das Vertrauen der Einwohner zurückgewinnen. [3] Aus Sicht der Strahlenopfer, die in den nächsten Jahren an Schilddrüsenkrebs erkranken und sterben werden, wäre es nützlicher gewesen, Hoshi hätte weniger um Vertrauen geworben als Taten vollbracht, die zu Vertrauen Anlaß geben. Das würde sich dann schon von allein einstellen.


Fußnoten:

[1] http://www3.nhk.or.jp/nhkworld/english/news/20130821_06.html

[2] http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/44877/1/9789241503662_eng.pdf

[3] http://www.strahlentelex.de/Stx_13_636-637_S07-08.pdf

21. August 2013