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ATOM/445: Umwelt - tödlich strahlendes Erbe ... (SB)




Luftaufnahme des kreisrunden Domes, auf dem vereinzelt Menschen stehen, und weitere Teile von Runit Island - Foto: Federal government of the United States

Der Dome auf Runit Island, Enewetak Atoll.
Foto: Federal government of the United States

Zwischen 1948 und 1958 haben die USA im Enewetak-Atoll der Marshallinseln 43 Atombomben gezündet. Jahrzehnte später wurde das strahlende Erbe von mehreren Inseln zusammengetragen, in einem Bombentrichter auf der Insel Runit versenkt und mit einem riesigen Betondeckel versehen. Dieser hat allerdings von Anfang an die Strahlenfreisetzung nicht unterbunden. Inzwischen ist der Beton verwittert und rissig, so daß die Gefahr besteht, daß immer mehr radioaktive Partikel ins Meer wandern. Ein Taifun könnte den Deckel sogar restlos zerstören und den Inhalt Wind und Wasser aussetzen.

Die Aufräumarbeiter, die zwischen 1977 und 1980 radioaktiv kontaminierten Boden und sonstigen Strahlenmüll der verschiedenen Atombombentests im Enewetak-Atoll zusammengetragen und in jenem Loch auf Runit versenkt haben, waren der Strahlung ungeschützt ausgesetzt. Heute verzeichnen sie eine ungewöhnlich hohe Krebsrate - wie auch die Menschen, die während der Kernwaffentests auf einer der zahlreichen Inseln der Marshallinseln gelebt haben, sowie deren Nachfahren.

Mehr als 100.000 Kubikmeter Strahlenmüll wurde in dem über 100 Meter durchmessenden Krater versenkt. Anschließend kam ein sechs Meter dicker Betondeckel darauf, der offiziell Dome, von der Bevölkerung jedoch Tomb (z. Dt.: Grabmal) genannt wird und die Form einer fliegenden Untertasse hat. Nach unten und zu den Seiten hin wurde das radioaktive Lager überhaupt nicht gesichert, so daß Strahlenpartikel den Weg ins Freie finden können. Darunter auch Plutonium-239, von dem bereits winzige Spuren, sofern sie in den Körper gelangen, Krebs auslösen können. Plutonium-239 hat eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren, was bedeutet, daß das Isotop in den letzten 60 Jahren seit dem Ende der Kernwaffentests praktisch nicht zerfallen ist.

Ursprünglich war der Dome nur als Zwischenlösung gedacht, um den Strahlenstoff einzudämmen. Heute wird das marode Bauwerk nicht nur vom Regen angegriffen, sondern auch vom steigenden Meeresspiegel und natürlich von Taifunen, die das Meerwasser auf die Insel drücken. Bei einem schweren Unwetter wurde der Dome bereits vollständig überspült.

Die US-Regierung hat die Kosten der ganzen Aufräumaktion gering gehalten, indem sie Soldaten dazu abkommandierte, den Strahlenmüll von anderen Atollen der Marshallinseln einzusammeln und nach Runit zu bringen. Ursprünglich wollte das Weiße Haus dafür private Unternehmen anheuern, was aber wegen der hohen Kosten vom Kongreß nicht abgesegnet worden war.

8.000 Soldaten waren in die Dekontaminationsarbeiten im Enewetak-Atoll involviert. Einer von ihnen ist der später an Krebs erkrankte Paul Griego. Er habe damals keinerlei Schutzanzüge gesehen, berichtete er laut der britischen Zeitung Express [1], und sie hätten weder Staubmasken noch Handschuhe erhalten. Während seiner 10-Stunden-Schicht habe er beobachtet, wie der Wasserspiegel im Krater mit den Gezeiten mal stieg und mal sank.

Was bedeutet, daß es schon beim Befüllen des Bombentrichters zum Austausch von Wasser mit der Umwelt gekommen und wohl auch Radioaktivität entwichen war. Außerdem waren die Korallenbänke, die den Krater bildeten, durch die Kernwaffenexplosion zerrüttet und durchlässig.


Atomblitz auf Runit Island - Foto: Federal government of the United States

Explosion der 18 Kilotonnen schweren Kernwaffe "Cactus shot" der "Operation Hardtack I" am 5. Mai 1958
Foto: Federal government of the United States

Die New York Times [2] schildert, wie einer der Aufräumarbeiter in einen fabrikneuen Strahlenschutzschutzanzug samt Sauerstoffgerät gesteckt und dann gefilmt wurde. Als seine Vorgesetzten die Aufnahmen beendeten, mußte er den Anzug wieder ausziehen und abgeben. Vier Monate hatte der 20jährige Strahlentechniker der US Air Force auf Runit verbracht - heute leidet er unter Tumoren an den Rippen, der Wirbelsäule und dem Schädelknochen.

Freigegebene Dokumente der US-Regierung aus den 1990er Jahren belegen, daß Sicherheitsmaßnahmen beim Aufräumen gestrichen worden waren, um Kosten zu sparen. Besorgte Kongreßmitglieder wurden mit Lügen über die angeblich strengen Sicherheitsmaßnahmen abgefertigt. Und den Soldaten wurde erklärt, daß die Strahlenbelastung auf der Insel nicht höher sei als die beim Röntgen der Zähne. Aus dem Schriftverkehr geht jedoch ebenfalls hervor, daß sich die Verantwortlichen privat über "Probleme mit Plutonium" und "hochgradig radiologisch kontaminierte" Gebiete Sorgen machten, so die New York Times.

An einer Liste mit 431 Veteranen läßt sich ablesen, daß die Krebsrate unter denen, die auf der südlichsten, gering kontaminierten Insel des Enewetak-Atolls gearbeitet hatten, bei zwei Prozent lag. Doch die Gruppe jener Veteranen, die auf den am meisten verstrahlten Inseln im Norden tätig waren, beispielsweise auf dem vom Explosionsstaub bedeckten Runit, weist eine Krebsrate von 20 Prozent auf. Wer von den Soldaten abends die Insel verließ, wurde nach Plutoniumpartikeln abgescannt. Jeden Tag sollen es Dutzende gewesen sein, wird berichtet.

Das Militär hatte zwar damals Nasenschleimhautabstriche und Urinproben der Soldaten genommen, jedoch wurde eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz über die Befunde abschlägig beschieden. Es gebe keine Aufzeichnungen dazu, wurde behauptet. Bis heute hält sich das US-Militär Klagen vom Leib und behauptet, es gebe keinen Zusammenhang zwischen den Krebserkrankungen der Aufräumarbeiter und ihrer damaligen Tätigkeit. Die Strahlenmenge, der sie ausgesetzt gewesen seien, habe unterhalb der zulässigen Grenzwerte gelegen. Deshalb erhalten heute nur jene Veteranen Entschädigungen, die unmittelbar bei den Kernwaffenversuchen radioaktiv kontaminiert worden waren, nicht aber jene, die den Strahlendreck hinterher zusammenräumen mußten.

Mit Hilfe von Sprinkleranlagen hätte man zumindest versuchen können, den plutoniumhaltigen Staub auf der Insel zu binden, aber selbst das war es den Verantwortlichen in der US-Regierung nicht wert. Das Leben eines Soldaten ist eine rechenbare Größe. Wenn der Nachschub an Kanonenfutter nicht versiegt - und das wird er nicht, solange die sozioökonomischen Verhältnisse in den USA so schäbig bleiben -, werden Soldatinnen und Soldaten nach ihrem Gebrauch durch den Staat weggeworfen wie ein Müllsack. Viele Veteranen von damals sind verarmt und können sich die gebotenen Behandlungskosten für ihre Erkrankungen nicht leisten. Die Folge: Sie sterben früher, womöglich nach Jahren unzulänglicher Krebstherapien.

In der vor wenigen Tagen veröffentlichten Nuclear Posture Review 2018 der USA wird zwar behauptet, daß die Vereinigten Staaten ihre Kernwaffenversuche nicht fortsetzen werden, aber schon im nächsten Halbsatz wird dies wieder durch den Zusatz aufgehoben, "es sei denn, es wird notwendig, die Zuverlässigkeit und Effektivität des US-Kernwaffenarsenals sicherzustellen". [3] Deutschland strebt angeblich zur Zeit nicht den Bau eigener Atomwaffen an, ist aber aufgrund der nuklearen Teilhabe berechtigt, mittels Bundeswehrmaschinen Atomwaffen der NATO-Partner ins Ziel zu bringen.


Luftaufnahme eines kreisrunden Bombenkraters auf einer schmalen Insel - Foto: Federal government of the United States

Der später mit Strahlenmaterial gefüllte Krater auf Runit Island, der in Folge des Kernwaffenversuchs "Cactus shot" der "Operation Hardtack I" am 5.Mai 1958 entstand.
Foto: Federal government of the United States


Fußnoten:


[1] https://www.express.co.uk/news/world/913221/nuclear-waste-USA-pacific-ocean-radioactive-public-health-Enewetak-Atoll

[2] https://www.nytimes.com/2017/01/28/us/troops-radioactive-islands-medical-care.html

[3] https://www.defense.gov/News/Special-Reports/0218_npr/


6. Februar 2018


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