Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REDAKTION


ATOM/458: Entsorgung - der Sparstrumpf des dummen Volkes ... (SB)



Von ihren Ursprüngen an wartet die Atomlobby mit vielerlei Verheißungen auf. Richteten sich diese anfangs eher auf technophile Phantasien von der unbegrenzten Energieversorgung bis zur Klimabeeinflussung, durch die die Wüste Gobi verschwinden und sich die Menschen in Zukunft am Strand des Nordpolarmeeres sonnen können sollten (Der Philosoph Ernst Bloch in "Das Prinzip Hoffnung", 1957), rückt inzwischen das Versprechen einer Entsorgung der riesigen, unaufhörlich wachsenden Menge an verstrahltem Müll gleichrangig zur Versorgungsfrage auf. Das Problem hatte man bislang grob vernachlässigt.

Zu den vielen kleinen und großen Pseudolösungen, wie man den Berg an Atommüll abtragen könnte, gehört die vor wenigen Jahren von der Universität Bristol erstmals veröffentlichte Perspektive, radioaktive Substanzen ließen sich in künstliche Diamanten einschließen und diese als Batterien nutzen. Deren Leistung sei zwar gering, aber dafür seien sie äußerst langlebig. [1]

Am 20. Januar dieses Jahres legte die britische Universität nach. Ein Team von Physikern und Chemikern "hoffe", radioaktives Material direkt aus dem 1989 stillgelegten Atomkraftwerk Berkeley in Gloucestershire recyceln zu können, um daraus Batterien herzustellen. [2]

Im Rahmen eines Programms zum Akw-Rückbau wollen die Forscher um Professor Tom Scott von der School of Physics und Direktor des South West Nuclear Hub das radioaktive Isotop Kohlenstoff-14 (C-14) aus den Graphitmoderatoren herauslösen. "Zeit und Kosten des Rückbaus würden dadurch signifikant verringert", heißt es in einer Pressemitteilung der Universität ... und Münchhausen hat sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen, möchte man ironisch ergänzen. Denn "Zeit und Kosten des Rückbaus" fallen nicht weg, nur weil sie beim Recycling vorverlagert werden.

Nachdem die Forscher ursprünglich mit dem Isotop Nickel-63 die Machbarkeit des Verfahrens erarbeitet hatten, wollen sie nun das C-14 aus den Moderatoren gewinnen. Dabei handelt es sich um parallel angeordnete Graphitstäbe, die beim Betrieb eines Akws entweder zwischen die Hüllrohre mit dem radioaktiven Material abgesenkt werden, um die nukleare Kettenreaktion zum Erliegen zu bringen, oder umgekehrt emporgezogen werden, um den Vorgang wieder in Gang zu setzen.

C-14 ist ein sogenannter Betastrahler. Die Radioaktivität würde aus den Batterien nicht nach außen dringen, weil die Strahlung durch eine Umhüllung mit weiterem künstlichen Diamantmaterial aufgehalten würde. In der Nähe einer Strahlenquelle erzeugt der Diamant eine Spannung, die nutzbar ist.

Da C-14 eine Halbwertszeit von 5730 Jahren hat, wäre erst nach dieser langen Zeitspanne die Hälfte des Isotops zerfallen. Solche Batterien wären also extrem langlebig. Dennoch würden sie keine Konkurrenz zu handelsüblichen Alkalibatterien darstellen, weil sie mit einer Leistung von 15 Joule pro Tag (von einem Gramm C-14) bei weitem nicht an deren Leistungsfähigkeit (700 Joule pro Gramm) heranreichen. Anwendungsgebiete für die Diamantbatterien wären nach Angaben der Erfinder Herzschrittmacher, Hörgeräte, hochfliegende Drohnen und sogar Raumschiffe.

Der Bau der Diamantbatterien der Universität Bristol findet im Rahmen des Projekts ASPIRE statt. Das Akronym steht für "Advanced Self-Powered sensor units in Intense Radiation Environments" (z. Dt.: Fortgeschrittene selbstversorgende Sensoreinheiten in strahlungsintensiven Umgebungen). Das englische Verb "to aspire" bedeutet aber auch "sich Hoffnung machen", "anstreben". Darin drückt sich bereits der perspektivische Charakter des Projekts aus. Selbst wenn es gelänge, Diamantbatterien in Serie herzustellen, würde das den Berg an Atommüll nicht nennenswert verringern. Zumal laufend weiterer Atommüll produziert wird. Allein das Vereinigte Königreich hat rund 95.000 Tonnen Graphitmoderatoren, und das wiederum ist nur ein kleiner Teil des Atommülls. Das C-14, das sich an der Oberfläche der Moderatoren konzentriert, könnte man sowieso bei einem normalen Rückbau gesondert behandeln, falls eine solche Trennung tatsächlich die Kosten des Rückbaus senkt.

Jährlich werden weltweit rund 12.000 Tonnen Strahlenmüll produziert. Eine ernsthafte Entsorgung des ungelösten Verbringungsproblems findet nicht statt, wenn Spuren dieses Abfalls in Diamantbatterien Eingang finden. Das nukleare Müllproblem läßt sich nicht mehr aus der Welt schaffen, doch man könnte die Zunahme der Menge begrenzen, indem man keine Atomkraftwerke mehr baut und die bestehenden Meiler abschaltet.


Fußnoten:

[1] bristol.ac.uk/news/2016/november/diamond-power.html

[2] bristol.ac.uk/news/2020/january/recycling-nuclear-waste-for-diamond-battery.html

2. Februar 2020


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang