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GENTECHNIK/312: CRISPR-Cas - Wettlauf gegen alle Regeln ... (SB)



Nachdem die Grüne Gentechnik ihre anfangs verbreiteten vollmundigen Versprechen nicht erfüllt hat, soll nun die nächste Stufe des genetischen Eingriffs Wunder wirken. Anstatt art- oder sogar gattungsfremde Genbestandteile von Schneeglöckchen oder gar Fischen per Schrotschußverfahren in die Zellkerne von Nutzpflanzen zu feuern und darauf zu hoffen, daß etwas von der Munition hängenbleibt und die erwünschten Eigenschaften an die nächste Generation vererbt werden, sollen mit der sogenannten Gen-Schere bzw. dem Gen-Editieren Eingriffe in das Genom vorgenommen werden, wie sie die Evolution ebenfalls hätte hervorbringen können.

Seit der Bekanntmachung des genomischen Eingriffs nach der CRISPR/Cas-Technik im Jahr 2012 wurde weltweit ein enormer Hype um deren Einsatz entfacht. Noch bevor überhaupt vermarktungsfähige Produkte entwickelt sind, geschweige denn Langzeitversuche durchgeführt wurden, um etwaige Nebenwirkungen zu detektieren, türmen sich die Verheißungen himmelhoch auf, was mit CRISPR/Cas alles geschaffen werden kann. Pflanzen, die gegen Virus-, Bakterien-, Pilz- und Insektenbefall resistent sind, deutlich höhere Erträge abwerfen, weniger Dünger brauchen, Extremwetter wie Dürre oder Überschwemmungen locker wegstecken und auch bei einem Bad mit Salzwasser nicht einknicken, lauten die eigentlich immer gleichen Kernversprechen der Pflanzenforschung.

Dabei ist es nicht so, daß die Menschheit auf irgendeine Methode, um nebenwirkungsfrei die globale Erntemenge zu steigern, so daß der weltweit wachsende Nahrungsbedarf gedeckt wird, verzichten sollte. Schon heute hungern 815 Millionen Menschen und sind darüber hinaus mindestens eine weitere Milliarde Menschen unzureichend mit Nährstoffen versorgt. Ohne die Problematiken "Tank versus Teller" und "Trog versus Teller" in Abrede zu stellen, ist das allerdings weniger eine Frage der Umverteilung, wie dies oft vereinfachend dargestellt wird, denn der absoluten Produktionsmenge.

Nach Einschätzung der FAO muß die globale Nahrungsmittelmenge bis 2050 jedes Jahr kontinuierlich um ein Prozent gesteigert werden. Gelingt das in einem Jahr mal nicht, müssen im Folgejahr zwei Prozent geschafft werden, und so weiter. Theoretisch bietet sich CRISPR/Cas als innovative Pflanzenzüchtungsmethode an, um in der zukünftig weniger prognostizierbaren Welt im Zeichen des Klimawandels höhere Erträge hervorzubringen. Jedoch ist der Schritt von der Theorie in die Praxis manchmal ziemlich groß, und wenn man bedenkt, daß ein wirtschaftlich operierendes Unternehmen wohl kaum das Anliegen hat, den Hunger in der Welt zu beenden - es sei denn, es würde genau dafür gut bezahlt -, sondern Nahrungsmittel an jene zu verkaufen, die sie sich leisten können, wäre am Ende auch von der CRISPR/Cas-Anwendung nichts anderes zu erwarten. Die ärmsten der Armen, die Hungerleider dieser Welt, können sich nicht einmal die von weltweit breit aufgestellten Lebensmittelkonzernen wie Nestlé auf den Markt gebrachten Kleinstportionen leisten, geschweige denn das gentechnisch veränderte, streng lizenzierte Saatgut der Biotechindustrie.

In diesem Fall, da in Dutzenden Forschungslaboren rund um den Globus schon längst die Gen-Schere ans pflanzliche Erbgut angesetzt wird, um daran herumzuschnipseln, als wüßten die Protagonisten zweifelsfrei, was sie da tun, widerspricht es allen Regeln, einen Wettlauf um die ersten Plätze bei der Anwendung der innovativen Technologie zu veranstalten. Doch genau dieser findet zur Zeit statt. Nachdem der Europäische Gerichtshof in diesem Sommer geurteilt hat, daß das Herumdoktern am Genom den Gentechnikbestimmungen (EU-Freisetzungsrichtlinie) unterliegt, hat sich Fassungslosigkeit in der hiesigen Forschungslandschaft breitgemacht. Man sieht schon die Felle davonschwimmen, denn andere Länder wie die USA, China, Japan, Südkorea würden unter Umständen geringere Restriktionen vornehmen und somit in einem Forschungszweig voranpreschen, der sicherlich noch auf viele Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte hinaus Erfolge nicht nur in der Pflanzen-, sondern auch der Tierzüchtung sowie der Behandlung und womöglich "Verbesserung" des Menschen in Aussicht stellt. Die Erfinderinnen der Gen-Schere CRISPR/Cas, Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna, werden bereits für den Medizin-Nobelpreis ins Gespräch gebracht.

Die USA und neun weitere Staaten haben am 1. November 2018 beim zuständigen Fachausschuß der Welthandelsorganisation ein Positionspapier mit dem Anliegen vorgelegt, sicherzustellen, daß die rechtlichen Rahmenbedingungen für Techniken wie das Gen-Editieren, "wissenschaftlich fundiert und international harmonisiert" sind [1]. Das ist eindeutig ein Stich in Richtung Europäische Union, deren Freisetzungsrichtlinie nach Einschätzung der Befürworter der Grünen Gentechnik eben nicht wissenschaftlich begründet ist.

Der Text der internationalen Stellungnahme bei der WTO ist zwar nicht rechtsverbindlich, aber er gibt schon mal eine klare Richtung vor. Die Initiatoren wollen frühzeitig die Weichen stellen, um eine Vereinheitlichung der Methoden in der biotechnologischen Pflanzenzüchtung auf einem so niedrigen Niveau zu erreichen, das dann auch einen WTO-weit einheitlichen Handel zuläßt, damit die EU keinen Alleingang macht und sich den WTO-Regeln unterwirft. Dort dürfte eine Mehrheit einflußreicher Staaten auch jene biotechnologischen Eingriffe gutheißen, die unter dem Titel CRISPR/Cas firmieren. Wörtlich heißt es in der Stellungnahme:

"In einigen Fällen kann die Präzisionsbiotechnologie, wie z.B. das Gen-Editieren, Organismen mit Eigenschaften hervorbringen, die denen ähneln, die durch konventionelle Züchtung geschaffen werden können. In anderen Fällen werden die erzeugten Organismen ähnliche Eigenschaften aufweisen wie die, die mittels der Verwendung von rekombinanten DNA-Technologien eingeführt werden. In beiden Fällen wird die Lebensmittel-, Tier- und Umweltsicherheit dieser Produkte durch den bestehenden Rechtsrahmen für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Sicherheitsnormen, die auf den Merkmalen des Produkts oder des Organismus beruhen, angemessen berücksichtigt."

Auch wenn sich die Initiativstaaten sehr klar für eine internationale Kooperation bei der Pflanzenzüchtung aussprechen, grenzen sie unausgesprochen die EU aus. Theoretisch könnte ja auch der restriktive Ansatz der Europäer zum Maßstab erklärt werden, nach dem die WTO ihre Regeln hinsichtlich biotechnologischer Produkte zu erlassen hat. Anders gesagt, Einheitlichkeit könnte auch dadurch erreicht werden, daß alle Staaten sich das 1992 beim Erdgipfel in Rio beschlossene Vorsorgeprinzip zu eigen machen und eine derart innovative Technologie, wie sie CRISPR/Cas zu sein scheint, zunächst einmal auf Herz und Nieren prüfen, bevor sie ihr grünes Licht erteilen. Denn gerade weil diese biotechnologischen Verfahren äußerst wirksam zu sein scheinen, könnten genauso auch überraschende Fehlentwicklungen äußerst wirksam sein und unüberschaubar große, womöglich nicht mehr zu korrigierende Schäden verursachen.

Aber Wirtschaft und Wissenschaft scharren schon mit den Hufen. Wie die Internetseite Genfood nein Danke [2] berichtet, fordern 85 Biotechnologie-Forschungseinrichtungen in Europa dahingehend eine Änderung des europäischen Gentechnikrechts, daß gen-editierte Pflanzen von dessen Zulassungsvorschriften ausgenommen werden. Der Topf, um den hier gerungen wird, ist so überreich gefüllt mit der Aussicht auf Patente, nationale und EU-Fördermittel, Gelder aus dem milliardenschweren Budget der Klimaschutzinitiativen und selbstverständlich auch Berufskarrieren, daß niemand in der zweiten Reihe stehen möchte.


Fußnoten:

[1] (G/SPS/GEN/1658/Rev.3)
tinyurl.com/y7s5mnas

[2] http://genfoodneindanke.de/2018/11/05/gentech-forscher-fordern-neues-gentechnikrecht/

8. November 2018


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