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GENTECHNIK/313: CRISPR-Cas - Marktgerechtigkeit ... (SB)



Im Sommer dieses Jahres hat der Europäische Gerichtshof ein Urteil gefällt, wonach mikrobiologische Eingriffe mittels des Genom-Editierens, wie sie auch als CRISPR/Cas9 bezeichnet werden, unter die Gentechnikgesetzgebung der EU fallen. Daraufhin hob ein Heulen und Wehklagen unter Teilen der Industrie und Wissenschaft ob dieser angeblichen Einschränkung ihrer Forschungstätigkeit an. Europa werde im globalen Wettbewerb zurückfallen, andere Staaten erlegten sich weniger Zurückhaltung auf, das Gericht habe überhaupt keine Ahnung von der Materie, es sei vollkommen falsch informiert und müsse sein Urteil überdenken, lauteten einiger der Vorwürfe bzw. Forderungen.

Aber es gibt auch Wirtschaftskreise, die das Urteil begrüßen. So haben jetzt mehrere Dutzend Unternehmen aus der Futtermittel- und Lebensmittelwirtschaft einen Offenen Brief [1] an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Vytenis Andriukaitis, geschrieben und sie aufgefordert, das Urteil des EuGH anzuerkennen und zügig umzusetzen. Es gelte, den Schutz der gentechnikfreien Produktion sicherzustellen.

Die Unterzeichner erinnern daran, daß in der EU das Vorsorgeprinzip gilt. Es besagt, daß ein Hersteller die Sicherheit eines Produkts nachweisen muß, bevor er es auf den Markt bringen darf. Wohingegen beispielsweise in den USA, wo das Vorsorgeprinzip nicht gilt, ein Produkt nach womöglich sehr viel weniger strengen Bestimmungen vermarktet werden darf. Kommt es zu einer Schädigung, kann gegen den mutmaßlichen Verursacher Klage angestrengt werden, aber der Schaden wäre in dem Fall schon angerichtet.

Abgesehen von der Einhaltung des Vorsorgeprinzips verlange das EU-Recht für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) auch eine Risikoabschätzung sowie eine Kennzeichnungspflicht, erinnerten die Unterzeichner des Offenen Briefs. Das Urteil sei für ihre Branche von "elementarer Bedeutung", denn es befreie sie von der Sorge, "dass mit Verfahren der Neuen Gentechnik hergestellte Futter- und Lebensmittel für Hersteller, Vermarkter und Konsumenten nicht wahrnehmbar in den Markt gelangen".

Es geht den Unterzeichnern um ihre Glaubwürdigkeit, denn wenn sie ihre Produkte mit dem Label "Ohne Gentechnik" versehen, diese aber genom-editierte Anteile enthalten, besteht die sicherlich begründete Befürchtung, daß die Verbraucherinnen und Verbraucher ihr Vertrauen in die so gekennzeichneten Produkte verlieren.

An dieser Stelle würden die Befürworter des Genom-Editierens vermutlich einwenden, daß die Ergebnisse einer natürlichen und einer künstlichen Veränderung des Erbguts nicht voneinander zu unterscheiden sind. Man kann hinterher nicht feststellen, ob bei der Erzeugung eines Produkts CRISPR/Cas9 eingesetzt wurde oder nicht, denn es hätte auch evolutionär entstehen können.

Der Europäische Gerichtshof hat jedoch den Einwänden der Gentechnikkritik den Zuschlag gegeben, wonach der Weg, wie ein Produkt entsteht, nicht vernachlässigt werden darf.

Der Schwerpunkt des Offenen Briefs liegt auf Fragen der Vermarktung. So heißt es: "Die Futter- und Lebensmittelproduktion ohne Gentechnik ist zu einem wichtigen europäischen Marktfaktor geworden, der laufend an Nachfrage gewinnt (...) Die Palette der als 'Ohne Gentechnik' gekennzeichneten Produkte wächst in allen Segmenten ebenso signifikant, wie das gesamte Marktvolumen von Lebens- und Futtermitteln ohne Gentechnik."

Hier setzt sich eine Branche gegen die seit dem Sommer anhaltenden Versuche interessierter Kreise zur Wehr, die eine Revision des Gerichtsurteils bewirken wollen und dazu unter anderem auch auf die EU-Kommission einzuwirken versuchen, damit diese nach Schlupflöchern sucht, wie man das EuGH-Urteil umgehen kann. Wobei sie bei der EU-Kommission offene Türen einrennen, denn die ist traditionell wirtschaftsfreundlich.

Die Verfasser des Offenen Briefs verfolgen selbstverständlich primär Profitinteressen, in dieser Hinsicht unterscheiden sie sich nicht von der "Gegenseite". Allerdings ist es vom Standpunkt der Menschen, die in einer doch existentiellen Frage wie die der Nahrungszufuhr nicht zum Versuchs"kaninchen" der profitgetriebenen Gentech-Industrie verkommen wollen, die sicherlich genehmere Branche. Und wenn die Kennzeichnung "Ohne Gentechnik" bedeutet, daß auch keine "Genomtechnik" bei der Herstellung eines Lebens- oder Futtermittels verwendet wurde, dann entspricht das dem Sicherheitsbedürfnis eines erheblichen Teils der Bevölkerung.

Die Verheißungen, mit CRISPR/Cas9 Pflanzen so zu verändern, daß sie höhere Erträge abwerfen, und das auch noch unter extremen Witterungsbedingungen, sind enorm groß. Doch könnte es sich als eine nicht mehr zu korrigierende Fehleinschätzung herausstellen, würde man diesem innovativen Instrument der Pflanzenzüchtung nicht auch ein nicht minder innovatives Schädigungspotential zutrauen. Es gibt wohl kaum ein passenderes Beispiel dafür, warum das Vorsorgeprinzip vonnöten ist, als CRISPR/Cas9.


Fußnote:

[1] http://www.ohnegentechnik.org/fileadmin/ohne-gentechnik/dokumente/Deutsch_Offener_Brief_EU-Kommission_28112018_final.pdf

29. November 2018


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