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GENTECHNIK/315: CRISPR-Cas - unkalkulierbar ... (SB)



Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) behandelt in seinem diesjährigen "Frontiers"-Report fünf unterschätzte globale Umweltprobleme, denen sich die Menschheit ausgesetzt sieht. Neben dem Zerschneiden von Lebensräumen, dem Auftauen des Permafrosts, dem Stickstoffüberschuß in der Landwirtschaft und den gescheiterten Klimaschutzmaßnahmen wird auch die synthetische Biologie bzw. die Herstellung neuer Organismen aufgeführt. Bislang seien die Organismen nur in geschlossenen Systemen gezüchtet worden, nun aber stehe beispielsweise die Freisetzung gen-veränderter Moskitos unmittelbar bevor und niemand wisse, ob sich daraus nicht irreparable Schäden für Mensch und Umwelt ergeben. [1]

Wie bereits in seinen früheren Berichten aus der "Frontiers"-Reihe nimmt das UN-Umweltprogramm keine strikte Position gegen eine der von ihm genannten Technologien ein, sondern spricht von "Chancen und Herausforderungen", in diesem Fall der Mittel und Methoden der synthetischen Biologie.

Forscherinnen und Forscher wollen über den mikrobiologischen Eingriff in die Erbsubstanz zum Beispiel Pflanzen gegen Krankheiten immunisieren, um den wachsenden Nahrungsbedarf der Menschheit zu decken, Infektionskrankheiten wie Zika, Dengue und Malaria in Schach halten, Erbkrankheiten ausmerzen, die Ausbreitung von Tierseuchen verhindern, invasive Arten einhegen, Erdölersatzstoffe und Medikamente herstellen, Korallen gegenüber der Erwärmung, Versauerung und Verschmutzung der Meere unempfindlich machen und sogar vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten wiederbeleben.

Die Erwartungen an die synthetische Biologie und die Perspektiven, die von den damit befaßten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verbreitet werden, sind riesig. Wohingegen sich die Resultate bislang eher bescheiden ausnehmen. Das kann man der Forschung allerdings nicht zum Vorwurf machen, da der - vermeintlich gezielte - Eingriff in das Genom von Lebewesen erst seit 2012 existiert, als zum ersten Mal die CRISPR/Cas9 beschrieben wurde. Zwar war das Jahr weder der Beginn der synthetischen Biologie noch des genomischen Eingriffs, aber es bildete den Startpunkt für weltweite Forschungen mit dieser Gen-Schere.

Problematisch ist deshalb auch die Geschwindigkeit, mit der in verschiedenen Ländern seitdem mit den Lebensbausteinen experimentiert wird. Das UN-Umweltprogramm bemängelt das Fehlen ethischer Standards und eines internationalen Regelwerks, damit die Forschungen unter strenge Aufsicht gestellt werden. Auch müßten alle gesellschaftlich Beteiligten in die Bestimmung ethischer Standards einbezogen werden. Die Diskrepanz zwischen jenen, die die synthetische Biologie gutheißen, und jenen, die sie ablehnen, sei ausgesprochen groß und müsse durch die Politik überbrückt werden.

An dieser Stelle scheint das UN-Umweltprogramm allerdings gute Miene zum bösen Spiel zu machen, denn spätestens seit November vergangenen Jahres, als die Geburt der beiden genom-editierten Babys Nana und Lulu in China, die gegen eine Infektion mit dem HI-Virus unempfänglich gemacht worden sein sollen, bekanntgegeben wurde, hat die Forschung das Restvertrauen der Öffentlichkeit in die Umsicht der Zunft verbraucht. [2]

"Die potenziell weitreichenden Auswirkungen der synthetischen Biologie erfordern Governance-Methoden und Forschungsrichtlinien, die ihre ethische und verantwortungsvolle Nutzung fördern."
(UNEP: Frontiers 2018/19 - Emerging Issues of Environmental Concern, 4. März 2019)

Ein Merkmal wissenschaftlichen Arbeitens besteht in der Festlegung von Parametern für eine Versuchsanordnung. Mit dem Experiment wird versucht, die Wirklichkeit abzubilden, indem unerwünschte Einflußfaktoren ausgeschlossen werden, so daß eine konkrete Fragestellung "sauber" untersucht werden kann. In der synthetischen Biologie jedoch ist es zur Zeit so, als würde man selbstfahrende Auto auf den Straßenverkehr loslassen und behaupten, daß man die Probleme im Griff hat. Ein solcher Versuch wäre ein Experiment am Menschen mit der Gewißheit eines tragischen Ausgangs.

Dieser Vergleich hinkt deshalb, weil die synthetische Biologie um vieles komplexer ist als der Straßenverkehr; und die Folgen eines "Unfalls" wären weitreichender. Denn genomische Eingriffe werden vererbt.

Wenn man etwas aus der gemeinsamen Geschichte von Menschen und Mikroorganismen wie Viren und Bakterien gelernt haben sollte, dann doch wohl, daß diese häufig Mittel und Wege gefunden haben, ihnen auferlegte Schranken zu unterlaufen oder zu umgehen. So steht die Antibiotika-Forschung stets mit dem Rücken zur Wand, weil die zu bekämpfenden Erreger zunehmend Resistenzen gegen alles entwickeln, mit denen Menschen sie in Schach zu halten versuchen.

Ergänzend dazu weiß auch die Ökosystemforschung von überraschenden Entwicklungen im Zusammenspiel verschiedener Einflußfaktoren zu berichten. Beispielsweise kam es 2015/16 in Brasilien zu einer klimatisch bedingten Epidemie mit Dengue-Fieber, das von Moskitos übertragen wurde. Eigentlich sollte man erwarten, daß es in jenem Jahr besonders viel geregnet hätte und sich die Insekten deshalb stark vermehrt hätten. Doch es war ein ausgesprochen trockenes Jahr. Die Dürre hatte jedoch die Moskitos zur Eiablage in die Siedlungen getrieben, weil sie dort noch offene Wasserflächen fanden, die auf dem Land ausgetrocknet waren. Die Moskitos gediehen prächtig und stachen die Menschen, was die Infektionsrate mit Denguefieber erhöhte.

Zwei Beispiele, die die unkalkulierbare Gefahr verdeutlichen, wenn genom-veränderte Lebewesen freigesetzt werden oder versehentlich aus einem Labor entweichen sollten. Die Sicherheit, mit der die Wissenschaft Angelerntes dem Praxistest aussetzt, darf in einer potentiell so folgenschweren Forschungsrichtung wie der synthetischen Biologie doch sehr in Frage gestellt werden. Sollten aufgrund eines sogenannten "Gene Drives" (Gen-Antriebs) Veränderungen in einem Ökosystem auftreten, wären sie vermutlich noch schwieriger zu beheben als nach der Freisetzung von Radionukliden durch einen Unfall in einem Kernkraftwerk. Radioaktivität kann man messen, Genomveränderungen nicht.

"Im Falle einer absichtlichen Freisetzung bleiben die Bedenken über eine mögliche genetische Kreuzkontamination zwischen Arten, ökologische Wechselwirkungen und Auswirkungen auf Ökosysteme und ihre Dienstleistungen weitgehend ungelöst. Die genetische Veränderung eines Krankheitsträgers könnte dazu führen, daß sich ein Krankheitserreger entwickelt und virulenter wird oder von einem neuen Vektor getragen wird."
(UNEP: Frontiers 2018/19 - Emerging Issues of Environmental Concern, 4. März 2019)

In dem Report des UN-Umweltprogramms wird gefordert, daß das Vorsorgeprinzip eingehalten wird. Das bedeutet, es dürfen erst dann Substanzen bzw. Organismen in Verkehr gebracht werden, wenn zuvor nachgewiesen wurde, daß daraus keine Schäden für andere entstehen. Sicherlich ist es zu begrüßen, wenn hier an das Vorsorgeprinzip erinnert wird, doch könnte nicht einmal das vor einer schweren politischen Krise bewahren: Allein daß es theoretisch möglich ist, biologische Waffen von bislang unerreichter Raffinesse und Letalität herzustellen, birgt das Potential geopolitischer Konflikte.


Fußnoten:

[1] tinyurl.com/y2k2pyq5

[2] http://schattenblick.de/infopool/politik/meinung/pola1335.html

7. März 2019


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