Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REDAKTION


GENTECHNIK/316: Botanik - Versuchslabor Wildnis ... (SB)



Zwei Männer stehen neben drei mächtigen, mehrere Meter durchmessenden Kastanienstämmen - Foto: © U.S. Forest Service

Ca. 1910: Als die Welt der Kastanien noch in Ordnung war.
Foto: © U.S. Forest Service

In den USA könnte die Freisetzung gentechnisch veränderter Kastanien kurz bevorstehen, befürchten Umweltorganisationen und sprechen von einem Experiment mit ungewissem Ausgang. Es gebe noch keine Langzeitversuche mit Gentech-Kastanien, mögliche Schadensfolgen seien unkalkulierbar. Zwar dürfen gentechnisch veränderte Bäume bereits angepflanzt werden, aber immer nur unter Laborbedingungen. Die Gentech-Kastanie dagegen soll in die Wildnis entlassen werden, damit sie ihren ursprünglichen Platz als dominante Baumart im Nordosten der USA wieder einnimmt.

Die ursprüngliche amerikanische Kastanie, eine Edel- bzw. Eßkastanie, war in der ersten Hälfte des 20. Jh. nahezu vollständig durch den Befall mit dem auf Zierpflanzen aus China eingeschleppten Pilz Cryphonectria parasitica, der Kastanienrindenkrebs auslöst, vernichtet worden. Ausgangspunkt war der Bronx Zoo, von dort breitete sich die Baumkrankheit sprichwörtlich in Windeseile aus. Man schätzt die Zahl der abgestorbenen Bäume auf drei bis vier Milliarden. Andere Baumarten ersetzten die bis zu 40 Meter hohe, mächtig ausladende amerikanische Kastanie (Castanea dentata). Dadurch ging eine wichtige Nahrungsquelle für Mensch und Tier verloren. Auch das ausgesprochen haltbare Holz dieser sehr schnell wachsenden Baumart war begehrt. Heute wird das Holz als potentieller Speicher für Kohlenstoff ins Spiel gebracht.

Alle Versuche, die Ausbreitung des Pilzes zu verhindern oder mit konventionellen Methoden Kastanien zu züchten, waren gescheitert. Nun berichten die Medien, daß es dem American Chestnut Research and Restoration Project (Amerikanisches Kastanienforschungs- und -restaurierungsprojekt), an dem die Amerikanische Kastanienstiftung (American Chestnut Foundation) und das College of Environmental Science and Forestry (ESF) der Staatsuniversität von New York in Syracuse beteiligt sind, nach 26 Jahren Vorbereitung von über 100 Forscherinnen und Forschern gelungen ist, mittels gentechnischer Verfahren eine Kastanie zu züchten, die gegen den Krebs resistent ist. Das Verfahren unterliege keinem Patentschutz, und die Züchtung der "Darling 54" genannten Kastanie sei nicht aus Profitgründen erfolgt. Sobald das US-Landwirtschaftsministerium den Antrag für die Gentech-Kastanie akzeptiert hat, werden öffentliche Anhörungen stattfinden. [1]

In das Genom der Kastanie wurde ein Gen aus Weizen eingebracht. Das produziert das Enzym Oxalate Oxidase (OxO). Die Befürworter der Genveränderung argumentieren, daß das Enzym auch in Bananen, Erdbeeren, Erdnüssen und anderen Nahrungsmitteln vorkommt, die milliardenfach von Menschen und Tieren verzehrt werden. Das für das Einbringen des Enzyms in die Pflanzenzelle verwendete Bodenbakterium Agrobacterium tumefaciens wiederum breite sich auch natürlicherseits über Arten hinweg aus. Beispielsweise seien alle heute handelsüblichen Süßkartoffelarten vor rund 8.000 Jahren von diesem Bakterium genetisch modifiziert worden.

Die Kastanie verfüge über rund 40.000 Gene, aber nur eines habe man verändert. Und daran angehängt noch ein Marker-Gen eingebracht, das anzeigt, ob der genetische Eingriff gelungen ist. Das sei eine minimale Veränderung verglichen mit vielen Produkten traditioneller Züchtungsmethoden. Beispielsweise würden bei der Hybridisierung Zehntausende von Genen hinzugefügt, und bei der Mutationszüchtung wüßte man nicht, was am Ende herauskommt. Die gegen den Baumrindenkrebs unempfindliche Kastanie sei genetisch 99,999 Prozent identisch mit dem Wildtyp der amerikanischen Kastanie.

Bei der Züchtung habe man keine unbeabsichtigten Transgen-Effekte festgestellt, weder auf den Bäumen noch beispielsweise auf nützlichen Baumpilzen. Dessen ungeachtet seien solche unbeabsichtigten Effekte auch nicht notwendigerweise mit dem Genlabor verknüpft, sondern träten bei der herkömmlichen Züchtung auf, beispielsweise beim Zusammenbringen der chinesischen Kastanie mit einem männlichen europäisch/japanischen Kastanienhybrid ("Colossal").

Sogar kritische Wissenschaftler wie Doug Gurian-Sherman von der Union of Concerned Scientists hält die geringfügig genveränderte Kastanie für nicht so gefährlich wie beispielsweise die Implementierung eines Insektizids wie das Bt-Toxin in Nutzpflanzen, das nicht nur die Zielinsekten tötet, wie Spektrum der Wissenschaft bereits 2012 berichtete. Das Magazin erwähnt auch, daß die ausgewiesene Gentechnikkritikerin Faith Campbell von der US-amerikanischen Naturschutzorganisation The Nature Conservancy es als ein höheres Ziel bezeichnete, eine gefährdete Art zu retten, und man dafür ein paar Risiken eingehen dürfe. [2]


Junger Baum mit Rindenkrebsgeschwulsten - Foto: Daderot, gemeinfrei

Kastanienrindenkrebs an Castanea dentata in Freilandversuchen der American Chestnut Foundation im Botanischen Garten Tower Hill von Boylston, US-Bundesstaat Massachusetts.
Foto: Daderot, gemeinfrei

So stichhaltig die Argumente der Beteiligten an der Wiedereinführung der amerikanischen Kastanie auch erscheinen mögen, die Kritik eines Netzwerks unter anderem aus Wissenschaft, Indigenen- und Ökobewegung trägt nachvollziehbare Bedenken vor. Die Gentech-Kastanie wäre der erste gentechnisch veränderte Baum, der in den USA für die Freisetzung in der Natur zugelassen wäre; er würde die Wildform vollständig ersetzen. Kastanien leben 200 Jahre oder länger, es sei aber keine langfristige Risikoanalyse durchgeführt worden. Man wisse nicht, wie die Gentech-Kastanien im Laufe von Jahren mit den Waldökosystemen interagieren. [3]

Die Wälder litten bereits unter den Folgen des Klimawandels, der Übernutzung und dem Eindringen fremder Arten, Krankheiten und Schädlingen in Folge der Globalisierung. Da seien riskante Gentechbäume das letzte, was sie gebrauchen könnten, so BJ McManama von der Save Our Roots Campaign des US-weiten Indigenous Environmental Network.

Dr. Rachel Smolker, Direktorin der Organisation Biofuelwatch, geht davon aus, daß die Gentech-Kastanie lediglich ein Testlauf sein wird, um die Öffentlichkeit dafür zu erwärmen. Die gentechnische Veränderung von Bäumen ziele jedoch nicht darauf ab, Wälder wiederherzustellen, sondern Bäume zu erzeugen, die günstig Biomasse bilden, die zur Herstellung von Papier, Treibstoff und Industrierohstoffen gebraucht wird.

Die Erforschung und Entwicklung der Gentech-Kastanie wurde von Unternehmen wie ArborGen, Monsanto (heute Bayer) und Duke Energy gefördert. Dahinter stecke die Absicht, Gentech-Bäume wie Pappeln, Pinien und Eukalyptus kommerziell zu verwerten, sagt auch Anne Petermann, Exekutivdirektorin des Global Justice Ecology Project.

In ihrer Kritik bestätigt wurden die Nichtregierungsorganisationen im März dieses Jahres durch den Rücktritt zweier Mitglieder aus dem Vorstand des Massachusetts/Rhode Island Chapters der American Chestnut Foundation. Die Vorstandsvorsitzende Lois Breault-Melican und das Vorstandsmitglied Denis Melican gaben ihre Posten auf, weil die Gentech-Kastanie ohne Langzeituntersuchungen ausgesetzt werden soll. Sie bevorzugen statt dessen Züchtungsmethoden, bei denen die Kastanie rückgekreuzt wird und die ebenfalls schon potentiell brauchbare Exemplare hervorgebracht haben. [4]

An der Amerikanischen Kastanie scheiden sich die Geister. Die Wildnis wird zum Versuchslabor, sagen die einen. Der Verlust der Biodiversität aufgrund des menschlichen Fehlers, eine invasive Art nach Nordamerika eingeschleppt zu haben, könne nun durch den Menschen korrigiert werden, sagen die anderen. Problematisch ist die Argumentation der Befürworter allerdings schon deshalb, weil ihr Ansatz nicht alternativlos ist. So langwierig das Verfahren der Rückkreuzung auch sein mag, die Gentechnik braucht in diesem Fall ebenfalls sehr lange. Im Ringkampf der Methoden zur Rettung der amerikanischen Kastanie scheint sie nun die Nase vorn zu haben, doch wozu die Eile? So gering der gentechnische Eingriff anscheinend auch war, das vermeintlich Geringfügige hat eine enorme Wirkung entfaltet, nämlich den Krebs besiegt. Wer ohne Langzeiterfahrungen einen gentechnisch veränderten Baum aussetzt, geht ein Risiko ein, das nicht abzuschätzen ist. Mögliche Fehleinschätzungen könnten nur schwer oder gar nicht korrigiert werden.


Fußnoten:

[1] https://www.iflscience.com/plants-and-animals/new-genetically-engineered-american-chestnut-will-help-restore-decimated-iconic/

[2] https://www.spektrum.de/news/die-rueckkehr-des-koenigs/1149183

[3] https://stopgetrees.org/genetically-engineered-american-chestnut-tree-called-trojan-horse-aimed-at-opening-door-to-commercialize-ge-trees/

[4] https://globaljusticeecology.org/ge-tree-controversy-in-american-chestnut-foundation-leads-to-resignations/

25. April 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang