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KLIMA/291: Kohlenstoffneutral - wenn alle Pflanzen verbrannt sind (SB)


UN-Klimakonferenz nicht "kohlenstoffneutral"

Der Glaube, daß Biotreibstoffe klimafreundlich sind, ist naiv


Die jüngsten Extremwetterereignisse in Europa und Asien gemahnen eindringlich daran, daß sich das Klima im Umbruch befindet und Entwicklungen im Gange sind, durch die sich die Oberfläche des Planeten weitreichend verändern und der Lebensraum von zig Millionen Menschen verschwinden könnte. Zu den vielen Formen des Menschen, angesichts dieses Problems den Kopf in den Sand zu stecken, zählt auch mancher Aktionismus. So gefällt sich der eine oder andere Politiker in jüngster Zeit darin, die Mär von seiner "Kohlenstoffneutralität" oder der seiner Regierung zu verbreiten.

Nicht mal ein toter Mensch ist kohlenstoffneutral, da er zerfällt und Gase freisetzt, ein lebender schon gar nicht. Denn er atmet, und dabei wird Kohlendioxid emittiert. Der Organismus verbrennt Sauerstoff und erzeugt Kohlendioxid. Das gelangt in die Atmosphäre und verändert diese.

Selbstverständlich werden bei den vielfältigen externen Verbrennungsvorgängen, für die der Mensch verantwortlich zeichnet, noch erheblich größere Mengen des als Treibhausgas wirksamen Kohlendioxids (CO2) produziert und in die Atmosphäre geblasen als bei der Atmung. Beispielsweise bei Flugreisen, Taxifahrten durch New York, bei Übernachtungen in Hotels, bei Klimakonferenzen ...

Diese Auswahl an Beispielen wurde natürlich nicht zufällig gewählt. Es geht im folgenden um die Behauptung, daß die am Dienstag und Mittwoch bei der UNO in New York abgehaltenen Diskussionen über Klimaschutzmaßnahmen "kohlenstoffneutral" seien, weil die Anreise der Experten per Flugzeug sowie die Kohlendioxidemissionen des UN-Gebäudes mit Investitionen in ein Biotreibstoffprojekt in Kenia gegengerechnet würden.

Damit soll begründet werden, daß von der Veranstaltung der Vereinten Nationen, den Flugreisen der eingeladenen Experten und auch der Schaffung der Voraussetzungen, damit in Kenia Biotreibstoff energetisch verwertet werden kann, ungebremst kohlendioxidhaltige Treibhausgasemissionen erzeugt werden dürfen, da sich all das klimatechnisch durch Wirtschaftsinvestitionen egalisieren lasse.

Sicherlich, wenn der Biotreibstoff erst einmal hergestellt ist, wird bei seinem Verbrauch weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen, als wenn statt dessen Erdöl verfeuert würde. Doch was hat das mit der behaupteten Neutralität der Kohlendioxidproduzenten in New York zu tun? Nichts. An deren Verantwortung für Verbrennungsvorgänge vielfältigster Art und damit für die Freisetzung von Treibhausgasen hat sich nichts geändert.

Darüber hinaus hat der Bau des Biomassekraftwerks schlimme Folgen für die kenianische Region: Biomasse ist ein wertvoller Rohstoff und hätte ansonsten womöglich kenianischen Bauern als Dünger dienen können. Nun wird er ihnen entzogen. Das bedeutet, daß die Bauern tendenziell mehr Kunstdünger kaufen müssen und ihre Böden auf Dauer auslaugen, weil ihnen Jahr für Jahr die wichtigen organischen Anteile vorenthalten werden. Solch einen Mangel kann Kunstdünger nicht ausgleichen.

Diesem Schaden nicht genug, dient das Biomassekraftwerk seinerseits dazu, eine Raffinerie mit Treibstoff zu versorgen, in der Palmöl gewonnen wird. Die Rechnung lautet nun, daß in New York Kohlendioxid in die Luft gepustet werden darf, weil eine kenianische Raffinerie nicht mit dem fossilen Energieträger Erdöl, sondern "nur" mit Treibstoff aus Biomasse betrieben wird und deshalb weniger Kohlendioxid emittiert.

In Kenia wird also Biotreibstoff hergestellt, um eine Raffinerie zu betreiben, um Biotreibstoff herzustellen. Allein das schmälert den behaupteten Vorteil der Anlage; die Energiebilanz fällt negativ aus.

Als wirklich verheerend dürfte sich allerdings die Palmölgewinnung erweisen. Denn je mehr Kenia (und mit ihm andere sogenannte Entwicklungsländer) darauf einsteigen, Palmöl zu produzieren, das beispielsweise nach Europa oder in die USA exportiert wird, desto mehr bringen sie sich in die Abhängigkeit dieser Staaten. War es einigen afrikanischen Ländern zumindest partiell gelungen, ihr kolonialzeitliches Erbe des Monokulturanbaus abzustreifen, so feiert er auf diese Weise mal wieder - keineswegs fröhliche - Urständ.

Als wenn die Menschen, die heute vom Biomasseanbau profitieren, vergessen hätten, daß sie morgen am langen Arm der wohlhabenden Staaten zappeln werden und ihnen gerade mal so viel Luft zum Atmen gelassen wird, daß das hierarchische System der vorherrschenden Weltordnung, in der für Staaten wie Kenia nur die Funktion als Ressourcenstaat vorgesehen ist, geschmiert läuft. Wie lange werden sich die Palmölproduzenten in Kenia über an den neuen Einkommensmöglichkeiten erfreuen? Bis daß sich die Abnehmerländer in eine Position manövriert haben, in der sie einen Erzeuger gegen den anderen ausspielen können. Dann werden die Primärproduzenten genötigt, immer mehr zu arbeiten, um das gleiche Einkommen zu erzielen. Andersherum formuliert: Sie bekommen immer weniger Geld für ihre Ware.

Im übrigen ist Biotreibstoff aus Palmöl nicht "kohlenstoffneutral". Abgesehen davon, daß Biomasse verwendet wird, um die Raffinerie zu betreiben, so müssen sowohl die Biomasse zur Befeuerung als auch die Palmen, aus denen das Öl gewonnen wird, transportiert werden. Für den Export von Biotreibstoff aus Kenia in die EU oder die USA wird ebenfalls Energie verbraucht und damit Kohlendioxid produziert. Sollte es darüber hinaus zum Einsatz von Dünger und Pestiziden kommen, verschlechterte sich die Klimabilanz noch mehr. So hat das Bundesumweltamt am Beispiel von Raps aufgezeigt, daß beim Verbrauch von Biotreibstoff aus dieser ölhaltigen Pflanze nur ein bis zwei Prozent weniger Treibhausgasemissionen erzeugt werden als bei der Verbrennung von Diesel. Denn bei der Düngung wird Lachgas emittiert, das eine 320fach stärkere Treibhauswirkung entfaltet als CO2. Auch Palmen müssen gedüngt und gegen Schädlinge behandelt werden.

Das ist noch nicht alles. Die Behauptung, daß bei der Verbrennung von Palmöl nicht mehr Kohlendioxid freigesetzt wird als zuvor von der Palme gebunden wurde, muß als abgrundtief naiv bezeichnet werden. Das wird deutlich, wenn man sich die Konsequenz dieser Denkweise ausmalt. Denn es hieße, daß "Kohlenstoffneutralität" auch dann noch gewahrt wäre, wenn sämtliche Pflanzen der Erde verbrannt würden!

Was auch immer sich die Teilnehmer des Expertentreffens bei den Vereinten Nationen auf die Fahne schreiben mögen, als "kohlenstoffneutral" kann ihr Handeln nicht bezeichnet werden.

1. August 2007