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KLIMA/306: Nahrungsmangel wird vermehrt zu Kriegen führen (SB)


Klimawandel und Kriege

Eine neue Studie zeigt einen zeitlichen Zusammenhang zwischen klimabedingten Ernteeinbrüchen, Kriegen und Bevölkerungsrückgang


In Tageszeitungen, Magazinen und wissenschaftlichen Publikationen wird in diesem Jahr so viel über die sozialen Folgen des Klimawandels berichtet wie nie zuvor. Auch der UN-Klimarat warnt, daß die allgemeine Erderwärmung noch in diesem Jahrhundert dazu führen könnte, daß Milliarden Menschen nicht genügend Trinkwasser haben werden. Kein Wasser bedeutet jedoch auch, nicht genügend Getreide anbauen zu können. Das heißt, die Menschen werden hungern. Vor zehn Jahren wären solche Vorhersagen unter Wissenschaftlern noch als Alarmismus abgetan worden, inzwischen wird der prognostizierte Zeitpunkt, ab wann der Klimawandel nach Expertenansicht ernsthafte Folgen für die Menschheit nach sich ziehen könnte, immer weiter vorverlegt.

Jüngste, in der hiesigen Öffentlichkeit erstaunlich wenig beachtete Notmaßnahmen der EU-Kommission zur Sicherung der Nahrungsversorgung der europäischen Bevölkerung passen exakt in das Bild, das von Klimaforschern vorhergesagt wird: Erstens hat die EU vor einigen Monaten die Bestimmungen zur Flächenstillegung außer Kraft gesetzt, damit die Landwirte diese Gebiete zum Anbau nutzen können. Zweitens haben die EU-Agrarminister diese Woche Dienstag die Importzölle auf Getreide aufgehoben, weil die Getreidepreise spektakulär gestiegen und die Reserven aufgebraucht sind [Anm. 1].

Die EU hat in diesem Jahr ihre Interventionsbestände fast vollständig verteilen müssen, um den Preisanstieg zu dämpfen und die Versorgung aufrechtzuerhalten. Dieses politische Steuerungsinstrument steht nun nicht mehr zur Verfügung. Die einstmals 14 Millionen Tonnen Interventionsgetreide sind auf 0,5 Million Tonnen geschrumpft.

Die Lager sind leer, deshalb will die Europäische Union Getreide aus anderen Weltregionen erwerben. Dort besteht allerdings das gleiche Problem. Auch Indien, Ägypten, China, Rußland, Australien und andere Staaten wollen ihre Lager auffüllen. Es gibt jedoch nicht genügend Getreide, was neben anderen Faktoren (Bevölkerungswachstum, Biotreibstoffproduktion) auch auf klimatische Veränderungen zurückzuführen ist. Die kapitalstarke EU wird sicherlich eher als viele Konkurrenten die Möglichkeit haben, Getreide zu erwerben, das in anderen Weltregionen dann fehlt, aber auch hierzulande könnte es eng werden. Die diesjährige Ernte ist deutlich geringer ausgefallen als die im vergangenen Jahr, die auch schon unterdurchschnittlich war.

Sollte in Europa im kommenden Jahr keine gute Ernte eingefahren werden, dann steht zu befürchten, tritt eine Entwicklung ein, wie sie David Zhang (University of Hong Kong) und Peter Brecke (Georgia Institute of Technology's Sam Nunn School of International Affairs) vergangene Woche in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" geschildert haben [Anm. 2]. Der Klimawandel werde Kriege und einen Bevölkerungsrückgang auslösen, weil die landwirtschaftliche Produktivität abnimmt, schrieben sie.

Die internationale Forschergruppe hatte geschichtliche Daten aus der sogenannten kleinen Eiszeit, die zwischen 1400 und 1900 auftrat, untersucht und festgestellt, daß es immer dann vermehrt Kriege entfacht wurden, wenn sich das Klima abkühlte. In der Folge sei auch regelmäßig die Bevölkerungszahl zurückgegangen, schrieben die Forscher.

Sie stützten ihre Studie auf historische Aufzeichnungen über Kriege und sogenannte Proxydaten, wie sie unter anderem aus Baumringen, Eisbohrkernen und Korallenriffen abgeleitet werden, um sich ein möglichst genaues Bild von der vergangenen Klimaentwicklung zu machen. Anhand dieser Daten wurde ein Zusammenhang zwischen Kälteeinbrüchen und Kriegen festgestellt. Grob gesagt kam es in den "kalten Jahrhunderten" fast doppelt so häufig zu Kriegen wie im relativ milden 18. Jahrhundert.

Peter Brecke erklärte, daß sich zwar die Erde gegenwärtig nicht abkühle, sondern erwärme, aber daß die Folgen für die landwirtschaftliche Produktivität ähnlich sein werde. Im Wissenschaftsjournal ScienceDaily (21.11.2007, online) wird er mit den Worten zitiert:

"Die wärmeren Temperaturen sind vermutlich eine Zeitlang günstig, aber ab einem bestimmten Niveau werden die Pflanzen gestreßt. Bei häufigeren Dürren und einer schnell wachsenden Bevölkerung dürfte es immer schwerer fallen, Nahrung für alle bereitzustellen. Deshalb sollte es uns nicht überraschen, wenn wir noch mehr Fälle von Hunger erleben und noch mehr Beispiele, wie hungrige Menschen wegen Nahrungs- und Wassermangels aneinandergeraten."

Vielleicht wird es aber viele Menschen überraschen, daß das, was Brecke hier für die Zukunft voraussagt, für viele Menschen bereits harte Realität ist. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, daß weltweit 854 Millionen Menschen hungern. Selbst in den USA, dem weltweit größten Getreideexporteur, hatten nach Angaben des dortigen Landwirtschaftsministeriums im vergangenen Jahr 35 Millionen Einwohner nicht genügend zu essen. Auch wenn ein Hungernder in den Vereinigten Staaten von Amerika mehr Möglichkeiten hat, an Essen zu gelangen, als beispielsweise ein Einwohner Somalias oder Nigers, so wird dennoch deutlich, wie dünn das Polster ist, auf das sich viele Menschen in den relativ wohlhabenden Staaten verlassen.

Die an Notmaßnahmen erinnernden Entscheidungen der EU-Kommission und - Agrarminister zeigen, daß die Europäische Union keine sich selbst versorgende Insel ist. Oder, um ein gängiges Bild aus der Flüchtlingsdiskussion zu verwenden: Eine Festung ist ohne ihr Umland nicht lange existenzfähig. Und das gesamte Ordnungsgebäude fiele in sich zusammen, wenn hinter der Umfriedung Hunger Einzug hielte. Um das zu verhindern, hat die EU den Import von Getreide erleichtert.


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Anmerkungen:

[1] Näheres dazu im Schattenblick unter EUROPOOL\REDAKTION, Index AGRAR/085: Akuter Getreidemangel - EU will "Weltmarkt" abschöpfen (SB)

[2] Die Arbeit wird am 4. Dezember in der Printausgabe "Proceedings of the National Academy of Sciences" veröffentlicht.

30. November 2007