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KLIMA/331: Hochwasser in den USA - Spekulationsgeschäfte mit Mais (SB)


Weitreichende Überschwemmungen im Mittleren Westen der USA

Chicagoer Börse verzeichnet den achten Tag hintereinander Rekordpreise für Mais

Hochwasser auch in mehreren Provinzen Chinas


Noch vor wenigen Wochen haben Agrarexperten Rekordernten für dieses Jahr vorhergesagt und damit der Hoffnung Ausdruck verliehen, daß der rasante Anstieg der Getreide- und in der Folge der Lebensmittelpreise auf der ganzen Welt zumindest verlangsamt werden kann. In den hohen Preisen für Getreide als Tierfutter oder Lebensmittel wurde sogar eine Chance gesehen, denn nun würden Landwirte ihre bewirtschaftete Fläche ausdehnen, mehr Getreide erzeugen und selbst ein beträchtliches Einkommen verzeichnen, lautete die Vorstellung.

Solche Hoffnungen wurden in den letzten Wochen in gewaltigen Regenmassen ertränkt. Die Überschwemmungen in China und dem Mittleren Westen der USA werden sich aller Voraussicht nach auf die Menge der Weltgetreideernte, mindestens aber auf die Exportpolitik der beiden Länder auswirken. Zu den ersten, die ihre Fühler ausstrecken und solche Entwicklungen erspüren, gehören bekanntlich die Börsenspekulanten, deren Geschäfte immer dann gut gehen, wenn die Menschen Mangel leiden. Denn das treibt die Preise an. Typischerweise haben die schwersten Überschwemmungen seit 15 Jahren im Mittleren Westen der USA den Preis für ein Scheffel Mais an der Chicago Board of Trade am Montag zeitweilig auf den Rekordbetrag von 8,07 Dollar emporschnellen lassen, bevor er gegen Handelsschluß wieder bei 7,87 Dollar landete.

In den US-Bundesstaaten Iowa und Illinois, in denen ein Drittel der Mais- und Sojaernte der Vereinigten Staaten produziert wird, sind die Flüsse über die Ufer getreten und haben ganze Landstriche unter Wasser gesetzt. Nach Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums sind allein in Iowa neun Prozent der Mais- und acht Prozent der Sojafelder überschwemmt. Der Ernteverlust für den gesamten Mittleren Westen wird auf 700 Millionen Scheffel Getreide geschätzt.

Durch die Tornados, Stürme und Überschwemmungen sind in dieser Region seit dem 25. Mai 26 Einwohner umgekommen, Tausende mußten evakuiert werden. Für den morgigen Mittwoch haben Meteorologen zwar weniger Regen vorhergesagt, doch die Wassermassen wälzen sich nun weiter nach Süden. Das kommende Hochwasser des Mississippi dürfte den Rekord von 1993 noch übertreffen.

Wenngleich ein meteorologisches Einzelereignis wie die kräftigen Regenschauer im Mittleren Westen der USA nicht die Schlußfolgerung zuläßt, daß das ein Beweis für den Klimawandel ist, läßt sich doch ahnen, welche weitreichenden Folgen die prognostizierten klimatischen Veränderungen mit sich bringen werden, wenn die globale Durchschnittstemperatur weiter steigt.

Von den aktuellen Überschwemmungen sind nicht allein die US-Bürger betroffen, sondern auch die Bewohner anderer Staaten, die regelmäßig Getreide in den USA erworben haben. Das galt zumindest in früheren Jahren, als die US-Landwirte - nicht zuletzt dank der milliardenschweren Subventionen aus Washington - über den Eigenbedarf hinaus Getreide für den Weltmarkt produzierten.

Diese Entwicklung wird womöglich in den nächsten Jahren überholt sein. Die sogenannten Überschüsse, die in früheren Jahren an Entwicklungsländer abgegeben wurden (und diese in politische und wirtschaftliche Abhängigkeit von den USA brachten), sind in diesem Jahr so sehr geschrumpft, daß die Regierung bereits einen Teil ihrer Hilfsprogramme gestrichen hat bzw. noch in diesem Jahr kürzen will.

Der Anteil der Vereinigten Staaten an den weltweiten Exporten für Mais lag bislang bei 54 Prozent, für Sojabohnen bei 36 Prozent und für Weizen bei 23 Prozent. Die Überschwemmungen im Mittleren Westen könnten zur Folge haben, daß Dutzende Staaten, in die bisher die US-Getreideexporte geflossen sind, in diesem Jahr weniger erhalten und darüber hinaus auch höhere Preise werden bezahlen müssen. Rich Feltes, Vizepräsident und Direktor der Organisation MF Global Research, die sich mit Marktanalysen befaßt, spricht von einem "Preisschock". Seriöse Händler gingen davon aus, daß der Preis für Mais noch in diesem Monat um zwei Dollar steigen wird. "Alles ist möglich", deutete er düster an (Reuters, 16. Juni 2008).

Falls sich das Hochwasser in Iowa zurückzieht, werden die Farmer zwar versuchen, die vom Feld gespülte Saat zu ersetzen, aber für Soja und Mais bleibt unter Umständen nicht mehr genügend Zeit zu reifen, was sich auf die Qualität und Quantität des Getreides auswirkt. Zudem wird berichtet, daß die Schäden an Brücken, Straßen, Eisenbahnstrecken und anderen Infrastruktureinrichtungen schwerer wiegen als im Katastrophenjahr 1993. Auch das ist ein Faktor, der sich negativ auf die Erntebilanz auswirken wird.

Am anderen Ende der Welt haben ebenfalls gewaltige Regenmassen Verluste an Menschenleben und Ernten sowie Zerstörungen der Infrastruktur verursacht. In der südchinesischen Provinz Guangdong hat es seit 50 Jahren nicht mehr so stark geregnet wie in diesem Monat. Zwar herrscht dort gegenwärtig Regenzeit, und die Einwohner sind schon einiges gewöhnt, aber was in diesem Sommer an Wassermassen vom Himmel prasselte, hat noch niemand erlebt. Dutzende Menschen kamen ums Leben, weit über eine Million mußten ihre Häuser verlassen. Das Wasser steht teils bis zum zweiten Stock der Gebäude. Abgesehen von Guangdong sind auch die Nachbarprovinzen Jiangxi und Guangxi sowie die nordwestchinesische Region Longnan in der Provinz Gansu betroffen.

Der für Merrill Lynch in Hong Kong arbeitende Wirtschaftsexperte Ting Lu glaubt zwar laut Reuters, daß für China Dürre ein größeres Problem darstellt als Hochwasser und daß sich die aktuelle Lage nicht auf die Nahrungsversorgung und Lebensmittelpreise auswirken wird, doch deckt sich diese Einschätzung nicht mit den Erfahrungen bei früheren Katastrophen. Einige der jetzt von Hochwasser heimgesuchten Regionen Chinas lagen im Februar unter gewaltigen Schneemassen begraben. Schon damals stiegen die Getreidepreise an den Börsen, weil der Schnee die Ernte vernichtet hatte. Das chinesische Ministerium für zivile Angelegenheiten warnte unterdessen, daß das Wasser in den nächsten Tagen zu noch mehr Zerstörungen führen und sich die Lage im ganzen Land verschärfen wird.

China hat sich zu einem Getreideimporteur gewandelt, verfügt jedoch über reichlich Devisen, um auf dem Weltmarkt Getreide auch zu einem hohen Preis erstehen zu können. Anderen Ländern bleibt diese Möglichkeit versagt, sie sind auf Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Genau das ist das Problem. Weder die USA noch die EU verfügen über nennenswerte Getreidereserven, die sie abgeben könnten, und rücken auch nicht von ihrem Ziel ab, den Anteil an Agrotreibstoffen im Fahrzeugverkehr weiter zu erhöhen. Dadurch werden landwirtschaftliche Kapazitäten gebunden, die ansonsten für den Anbau von Getreide für Lebensmittel hätten genutzt werden können.

Der Klimawandel wirkt sich als Multiplikator auf bestehende Probleme aus, schrieben im März der EU-Außenbeauftragte Javier Solana und die EU-Kommissarin für Außenangelegenheiten Benita Ferrero-Waldner in einem gemeinsamen Papier (Klimawandel und Internationale Sicherheit) zur Vorlage beim Rat der Europäischen Union. Die aktuellen Zerstörungen in den landwirtschaftlichen Anbaugebieten der USA und Chinas zeigen, was damit gemeint sein könnte.

Verstärkt werden jedoch nicht allein die Ernteverluste an sich, was selbstverständlich schwer genug wiegt, sondern es werden auch jene Mechanismen verstärkt, die dazu geführt haben und weiterhin führen, daß Menschen aus der Not der anderen Profit herausschlagen. Darauf beruht das marktwirtschaftliche System wesentlich. Wenn in den USA oder in China die Menschen vor Hochwasser fliehen und die Bodenkrume samt der Saat von den Feldern gespült wird, geht den Investoren das Herz über vor Freude. Denn die Not der anderen rechnet sich für sie als Gewinn.

Der Klimawandel verstärkt die gesellschaftliche Diskrepanz. Ob dieser Widerspruch durch eine Steuer auf Spekulationsgewinne zu beheben ist, muß insofern in Frage gestellt werden, als daß sich an dem Spekulationssystem nichts Wesentliches änderte, nur daß dann der Staat stärker als bisher von der Not der Menschen profitierte.

17. Juni 2008