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KLIMA/453: CNA-Studie identifiziert Flüchtlinge als Sicherheitsrisiko (SB)


Klimawandel, Migration und Notfälle

US Think Tank erteilt US-Behörden Ratschläge, sich auf die Folgen des Klimawandels einzustellen


Als der Karibik-Staat Haiti am 12. Januar dieses Jahres von einem schweren Erdbeben getroffen wurde, durch das Hunderttausende Einwohner starben und Millionen obdachlos wurden, beorderte die US-Regierung Kriegsschiffe in die Region. Diese verfolgten zwei wesentliche Aufgaben: Erstens Sicherung des Seegebiets, um zu verhindern, daß Flüchtlinge übers Meer in Richtung USA aufbrechen; zweitens Bildung eines Brückenkopfs auf Haiti und von dem ausgehend Sicherung immer größerer Bereiche des Inselstaats, um zunächst einmal Ordnungstrukturen zu installieren. Wohingegen die Befreiung von Verschütteten, die medizinische Behandlung der Verwundeten und Versorgung der Bevölkerung den erstgenannten Aufgaben nachgeordnet blieben und den Charakter eines Feigenblatts trugen, hinter dem die eigentlichen Ziele versteckt wurden.

In der kritischen Medienberichterstattung über das Verhalten der US-Regierung wurden Parallelen zur Antwort Washingtons auf die Überschwemmung von Teilen New Orleans' nach dem Eintreffen des Hurrikans Katrina im August, September 2005 gezogen. Damals wurden in Not geratene Einwohner von der Nationalgarde oder der in die Stadt beorderten Soldaten der 82. Luftlandedivision erschossen, nur weil sie sich beispielsweise über eine Brücke von ihrem ärmeren, überfluteten Stadtviertel in ein höher gelegenes, wohlhabenderes Viertel retten wollten. Viele Einwohner, die tagelang nichts zu essen hatten, keine Hilfe erhielten und deshalb Lebensmittelläden aufsuchten, weil sie sich und das Leben ihrer Angehörigen retten wollten, wurden wegen mutmaßlichen Plünderns ebenfalls erschossen. (Darüber hinaus machten weiße Bürgerwehren Jagd auf Afroamerikaner, von denen nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen mehrere hundert auf diese Weise umgebracht wurden.)

Die Katastrophenschutzbehörde FEMA und US-Präsident George W. Bush gerieten wegen dieser und anderer letztlich nie wirklich aufgeklärter Vorfälle und Entscheidungen in die Kritik. Zur Besänftigung der Öffentlichkeit wurde versprochen, daß die Regierung Konsequenzen "aus Katrina" ziehen würde - allerdings wurde nicht zugesagt, daß diese zu einer Prioritätenverschiebung zugunsten der in Not geratenen Menschen und weg vom administrativen Kontrollanspruch führen sollten. Viereinhalb Jahre nach der Katrina-Katastrophe bewies die Reaktion der US-Regierung auf das Erdbeben in Haiti, daß zwar die Public-Relation-Maschinerie besser geschmiert ist als einst, aber daß der Staat noch immer in erster Linie sich bzw. seine Interessen schützt. Falls es in diesem Zusammenhang sinnvoll erscheint, auch notleidende Menschen zu versorgen - zum Beispiel weil ansonsten unkontrollierbare Unruhen entstehen könnten -, dann gehört das selbstverständlich dazu.

Diese Sichtweise wirkt nur dann übertrieben, wenn man vernachlässigt, daß es nicht an einem prinzipiellen Mangel an Hilfekapazitäten lag, daß viele Einwohner von New Orleans umkamen oder in Haiti Menschen verschüttet blieben, die hätten gerettet werden können. Und wenn man vernachlässigt, daß die US-Regierung und mit ihr viele weitere wissen, dulden und zu verantworten haben, daß rund um den Globus viele Millionen Menschen regelmäßig Hunger leiden.

Der Hurrikan Katrina und das Erdbeben von Haiti haben nicht unmittelbar mit dem Klimawandel zu tun. Sie sind dennoch Beispiele dafür, wie staatliche Institutionen mit schwerwiegenden Katastrophen umgehen. Sollten sich also die Folgen der Erderwärmung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch stärker bemerkbar machen als heute, wie es die meisten Klimaforscher prognostizieren, stellen diese Beispiele Szenarien dar, wie die US-Administration voraussichtlich auf die zu erwartenden klimabedingten Katastrophen reagieren wird.

Seit einigen Jahren bemüht sich der US Think Tank CNA (Center vor Navel Analyses) aus Virginia erfolgreich, mit seinen Analysen zum Klimawandel und dessen Gefährdungspotential für die nationale Sicherheit sich im Feld der vielen, teils in Konkurrenz zueinander stehenden Denkfabriken und Beratungsfirmen zu behaupten. Dabei erfüllen diese mehrere Aufgaben. Einerseits sprechen sie der US-Administration Empfehlungen aus, wie sich diese auf die Klimawandelfolgen einstellen sollte, andererseits fungieren sie als Stichwortgeber eben jener Administration, die bestrebt ist, ihre Kontrollmöglichkeiten laufend weiter auszubauen und zu sichern und dabei durch solche Analysen Bestätigung erfährt. Zu den jüngsten Erzeugnissen CNA-typischer Analysen und Lösungen (Analysis & Solutions) im Zusammenhang mit dem Klimawandel gehören die Studien "Climate Change, Migration and Emergencies" [1] und "Why the Emergency Management Community Should be Concerned about Climate Change" [2]. Beide Studien wurden mit Hilfe der finanziellen Unterstützung durch die Rockefeller Foundation erstellt.

Während in letztgenannter Analyse auf 48 Seiten die vielfachen Gefahren, die der Klimawandel auf verschiedene natürliche Bedrohungen der US-Gesellschaft ausübt, diskutiert werden, hat sich Robert Bach mit der spezifischen "Bedrohung" von Migration und Klimawandel auseinandergesetzt. Als Mitarbeiter des Center for Homeland Defense and Security der Naval Postgraduate School und laut biographischer Angaben dieser Institution [3] "strategischer Berater" des US-Heimatschutzministeriums hinsichtlich Fragen der Grenz- und Transportsicherung, scheint er der geeignete Mann, um die Bedrohungen der Heimat durch Migranten vor allem aus den ärmeren Ländern des Südens aufzuzeigen und Empfehlungen auszusprechen, wie die USA gegen die Überlebensansprüche der Klimaflüchtlinge verteidigt werden können. Die Vereinten Nationen gehen von gegenwärtig 25 - 50 Millionen Klimaflüchtlingen aus. Im Jahr 2050 könnte sich die Zahl auf 200 Millionen erhöhen, wie unter anderem der britische Ökonom Nicolas Stern vor vier Jahren schrieb. Das betrifft auch zum guten Teil die Karibik, Zentral- und Südamerika.

Unter Zitation eines Gremiums der Nationalen Akademie der Wissenschaften betont Bach die Notwendigkeit einer innovativen Herangehensweise. Entscheidungen könnten nicht mehr vor dem Hintergrund von Erfahrungen getroffen werden, denn: "Entscheidungsträger werden neue Arten von Information sowie neue Wege des Denkens und Lernens brauchen, um in einem sich wandelnden Klima leistungsfähig zu sein." [Anm. 1, S. 4] Geographisch ist die größte Bedrohung eindeutig dem Süden der USA zugeordnet und wird als "Near Perimeter" bezeichnet [1, S. 1] Innerhalb der Vereinigten Staaten ist das die Region von San Diego in Kalifornien bis Miami, Florida. Nach Süden erstreckt sich das potentielle Konfliktgebiet über die Karibik und Mexiko nach Zentralamerika.

Robert Bach macht mindestens drei grundlegende strategische Themen aus, denen sich die Debatte widmen sollte: Erstens müsse die "Near Perimeter"-Region als Ganzes betrachtet werden, da der Klimawandel die Kapazität habe, zeitgleich mehrere Krisen in verschiedenen Gebieten dieser Region auszulösen. Zweitens müsse ein Schwerpunkt auf einen Wandel der Institutionen gelegt werden, da die Klimaveränderung ein behördenübergreifendes Handeln sowie Sichtweisen und Initiativen erforderlich machen, die über den eigenen Tellerrand hinausgehen. Drittens müsse bei Anpassungsmaßnahmen sorgfältig auf den Wert der Migration innerhalb einer vom Klimawandel betroffenen Region geachtet werden. "Migration an sich ist eine starke, brauchbare Anpassung an Krisen. Sie hat jedoch sowohl positive als auch negative Folgen, die nicht notwendigerweise oder auf einfache Weise den Anforderungen der Wiederherstellung nachkommen." [1, S. 1]

In der Zusammenfassung der Studie wird schließlich angesprochen, wie sie typisch für den von administrativen Interessen bestimmten Umgang mit den Folgen des Klimawandels ist: Wem und wievielen Migrantinnen und Migranten werden die Länder gestatten, innerhalb ihres Territoriums zu siedeln, wenn der Klimawandel umfangreiche Vertreibungen auslöst? [1, S. 12] Eine Frage, die sich nicht nur die US-Regierung stellen wird. Die wachsende Verschlechterung der Lebensverhältnisse in den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas dürfte diverse Abschottungsmaßnahmen in den Staaten des Nordens nach sich ziehen.

Bach empfiehlt eine Neubewertung der Strategien der Sicherheitszusammenarbeit mit Blick auf die Folgen des Klimawandels auf "gescheiterte Staaten" des "Near Perimeter" sowie auf den Ausbau der Zusammenarbeit zwischen den Behörden in der gesamten Region. Zudem sollten sich diese mit den US-Geheimdiensten, die ihr eigenes Verständnis von den Gefahren des Klimawandels besäßen, zusammenschließen und gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft neue Herangehensweise verfolgen. Der Autor meint, hier einen Handlungsbedarf zu erkennen, und kündigt an, daß noch "viel Arbeit" notwendig sei, um die gegenwärtigen Rahmenbedingungen, nach denen die Aufnahme von Migranten geregelt wird, dahingehend zu verändern, daß sie auf eine "komplexe Bedeutung der Migration" ausgerichtet werden, so daß die "Belastbarkeit" der Region gestärkt wird. [1, S. 2] So vage Bachs Formulierungen mitunter auch bleiben, wecken sie doch die Ahnung, daß hier nicht der vollständigen Beseitigung des drohenden Mangels, sondern seiner Verwaltung das Wort geredet wird.

Zusammenfassend konstatiert der Autor: "Klimawandel und Migration bilden wahrscheinlich den Kern langfristiger, komplexer Abhängigkeiten, welche in den kommenden Jahrzehnten das grundlegende Wohlbefinden der Gemeinden in der gesamten nordamerikanischen Region bestimmen werden. Die Bevölkerung wird zunehmend Risiken der Nahrungs- und Wasserversorgung, der Fähigkeit, stabile Familien und Kommunen, öffentliche Sicherheit und womöglich nationale Sicherheit zu erhalten, ausgesetzt sein." [1, S. 3]

Dieses Zitat beweist die klare Unterscheidung Bachs in Länder und Regionen des "Near Perimeter", in denen der Klimawandel zu Katastrophen führt, welche Menschen zur Migration veranlassen werden - heute bereits aus Dürregebieten Nordmexikos -, und die nordamerikanischen Gemeinden, deren "Wohlbefinden" allein seine Sorge gilt. Wegen dieser Differenzierung muß der gesamte Ansatz mit Skepsis betrachtet werden, und nicht, weil Bach auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam macht und vor kommenden Problemen warnt.

Die Vereinigten Staaten sollten sich schon mal auf katastrophale Ereignisse und zugleich auf kumulative Effekte als Folge kleinerer, aber wiederholter natürlicher oder menschengemachter Unglücke einstellen, empfiehlt Bach. [1, S. 5] Daß die Analyse und Lösungsvorschläge des CNA-Autors auf eine Qualifizierung und Verdichtung administrativer Strukturen hinauslaufen, was umgekehrt nur mit Einschränkungen vormaliger bürgerlicher Freiheiten zu erkaufen sein wird, geht aus folgendem Zitat hervor:

"Eine am Klimawandel orientierte Anpassungsstrategie muß einen risikogestützten Umgang mit Migrationsfragen entwickeln, der darauf ausgerichtet ist, Alternativen zu bestehenden Mustern zu identifizieren und zu schaffen." Nicht zuletzt werde der Klimawandel "eine Anzahl von unvorhersehbaren Situationen erzeugen, die neue Grundprinzipien, Werte und Möglichkeiten erfordern", um mit den auftretenden Umständen flexibel umgehen zu können. [1, S. 3]

Eine Administration, die danach strebt, auf eine Vielzahl von Unvorhersehbarkeiten eingestellt zu sein, wird ihre Kompetenzen vielleicht sogar dahingehend erweitern, daß Gesetze, die bis dahin lediglich bei einem ausgewiesenen Notstand verhängt werden, dauerhaft gelten sollen. Anders ist Bachs Analyse nicht zu verstehen, dann wie die Beispiele Katrina und Haiti zeigen, existieren bereits Bestimmungen, wonach das Militär auf dem eigenen Territorium agiert oder als (vermeintlich) humanitäre Helfer in Marsch gesetzt wird.

Die von dem CNA-Autor geforderte Innovation und Grenzüberschreitung im Denken und Handeln wird jedenfalls nicht hinter die bestehende Gesetzgebung zurückkehren. Einen Vorgeschmack bietet das von Arizona beschlossene, höchst umstrittene Einwanderungsgesetz, demzufolge Immigranten verdachtsunabhängig kontrolliert und, falls sie keine Arbeitsgenehmigung bei sich tragen, verhaftet werden können. Bürger werden aufgefordert, Verdachtspersonen anzukreiden. Und sollte ein Arzt seinen Hippokratischen Eid ernst nehmen und eine Person behandeln, die krank, aber illegal eingewandert ist, macht er sich strafbar. Auch darf illegalen Immigranten in Zukunft weder Obdach noch Arbeit gegeben werden.

Mexikos Präsident Felipe Calderón hat das Gesetz zwar verurteilt, aber mit vergleichsweise moderaten Worten. Sollte es wider Erwarten dennoch zu einer ernsthaften Mißstimmung zwischen den Nachbarn Mexiko und Arizona kommen, besitzt die US-Regierung genügend Druckmittel, um der Einwanderungspolitik des Bundesstaates Arizona zur Akzeptanz zu verhelfen. Andere US-Bundesstaaten werden womöglich dem Beispiel folgen, während die US-Administration in Washington unter dem Vorwand des Klimaschutzes Migrantenabwehrmaßnahmen, wie sie nicht zuletzt von CNA-Analysten ersonnen werden, ergreift.

Hier sollte nicht unerwähnt bleiben, daß der CNA-Autor Robert Bach in seiner Analyse keineswegs ausschließlich Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel fordert, die auf eine Qualifizierung der Verfügungsgewalt hinauslaufen. Erst vor dem Hintergrund der eingangs beispielhaft geschilderten Katastrophenpolitik der US-Regierung treten die der Analyse immanenten Intentionen deutlich hervor. So fällt auf, daß Bach NICHT die oben genannten Prioritäten der US-Regierung kritisiert. Das müßte er aber konsequenterweise, wenn sein Thema lautete, wie die Bevölkerung im "Near Perimeter"-Raum vor den Folgen des Klimawandels geschützt werden kann. In der Gegenüberstellung zweier sich teilweise überschneidender Großräume - Nordamerika und "Near Perimeter" - drückt sich unübersehbar die Absicht aus, die Lebensverhältnisse in der einen Region vor den Gefahren durch die sich verschlechternden Lebensverhältnisse in der anderen Region zu schützen.

Auf diese Denkweise trifft man nicht nur in den USA. Die Europäische Union steht dem in nichts nach, sondern geht den USA sogar in mancher Beziehung voraus. So hat die EU mit nordafrikanischen Staaten Verträge zur Einrichtung von Lagern geschlossen, in die Flüchtlinge unterschiedslos - also auch Klimaflüchtlinge - zusammengepfercht werden, um sie daran zu hindern, in den privilegierten EU-Raum einzudringen. Über die Lebensverhältnisse in den Menschenlagern wird hierzulande wenig berichtet, doch was man erfährt, erinnert mehr an Viehhaltung als an die Versorgung von Menschen, die in Not geraten sind. (Womit nicht die Viehhaltung gutgeheißen werden soll.)

Der Klimawandel wird auch die Lebensverhältnisse in vielen afrikanischen Regionen verschlechtern und deren Bewohner zur Flucht zwingen. Mit Frontex, Satelliten- und Drohnenüberwachung sowie meterhohen, elektronisch vollüberwachten Doppelzaun-Grenzanlagen versucht die EU, die Migranten vor dem Betreten ihres Territoriums abzuhalten. Ähnliches gilt für die USA. Immer wenn von einer Bedrohung der Sicherheit oder der nationalen Sicherheit gesprochen wird, sollen Privilegien bestimmter Personen verteidigt werden. Das gilt zum einen für die Lebensverhältnisse in den Vereinigten Staaten im Verhältnis zu denen ihrer südlichen Nachbarn und zum anderen für die Privilegien innerhalb der Vereinigten Staaten.


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Anmerkungen:

[1] "Climate Change, Migration and Emergencies. In Search of a Policy Framework", Robert Bach; CNA, 23. Juni 2010
http://www.cna.org/sites/default/files/research/WEB%2007%2029%2010%20Climate%20Change%2C%20Migration%20and%20Emergencies.pdf

[2]"Why the Emergency Management Community Should be Concerned about Climate Change. A Discussion of the Impact of Climate Change on Selected Natural Hazards", Joel Silverman, Angie De Groot, Holly Gell, Monica Giovachino, Kristin Koch, Leslie-Anne Levy, Elizabeth Myrus, Dawn Thomas; CNA, 17. Juni 2010
http://www.cna.org/sites/default/files/research/WEB%2007%2029%2010.1%20Climate%20Change%20and%20the%20Emergency%20Management%20Community.pdf

[3] Homeland Security Affairs, Online-Journal des Naval Postgraduate School Center for Homeland Defense and Security (CHDS), Volume VI, Nr. 2, Mai 2010
http://www.hsaj.org/?bio=5.2.2

5. Juli 2010