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KLIMA/459: Der Zaun - Symbol der weltgesellschaftlichen Ausgrenzung (SB)


Vom Klimawandel betroffene Armutsregionen werden weltweit ausgegrenzt


Die Europäische Union betrachtet den Klimawandel als "Multiplizierer" von vielerlei Bedrohungen. Für die US-Regierung fallen die Folgen des Klimawandels unter die Frage der nationalen Sicherheit. Andere Länder hegen eine ähnliche Einstellung. Sie alle bereiten sich auf die Auswirkungen des Klimawandels vor. Neben Maßnahmen zur Verringerung des Treibhauseffekts (mitigation) bilden Anpassungsmaßnahmen (adaptation) an den Klimawandel das zweite Standbein ihrer Klimapolitik. Zu letzterem sind auch all die militärischen, rechtlichen und sicherheitspolitischen Maßnahmen zu rechnen, die Menschen davon abhalten sollen, aus Regionen der Not und des Mangels in privilegierte Weltregionen zu fliehen. Typische Beispiele hierfür sind die Gründung der EU-Grenzschutzagentur Frontex, die (zunächst von einem Bundesgericht gestoppte) Gesetzesvorlage des US-Bundesstaats Arizona zur drastischen Verschärfung der Einwanderungsbestimmungen sowie der weltweit zu beobachtende Trend, meterhohe Grenzzäune gegenüber Armutsregionen zu errichten.

Auch wenn die Zäune ursprünglich aus unterschiedlichen Motiven entstanden sind, fungieren sie in jedem Fall auch als Bollwerk gegen Klimaflüchtlinge, die häufig nicht von Armutsflüchtlingen zu unterscheiden sind. Die EU sichert, abgesehen von den Exklaven Ceuta und Melilla in Marokko, auch ihre kontinentale Ostgrenze durch eine aufwendige, stacheldrahtbewehrte Zaunanlage, die von Patrouillen und Drohnen überwacht wird. Dem steht der Zaun, den die USA gegen Mexiko aufbauen, in nichts nach. Das sieben Meter hohe, fast zwei Meter tief im Boden mit Zement verankerte Bauwerk entlang von Abschnitten auf der 3141 Kilometer langen Grenze zwischen Mexiko und den USA kann man nicht als "Zaun" bezeichnen. Es ist ein gewaltiges Hightech-Bollwerk, das Immigranten davon abhalten soll, sich in Nordamerika anzusiedeln.

Auch Indien grenzt sich gegenüber seinen Nachbarn ab. Das gilt besonders für Bangladesch, das in weiten Teilen so flach ist, daß es voraussichtlich noch in diesem Jahrhundert zu einem Drittel aufgrund des steigenden Meeresspiegels und der großen Mengen an Schmelzwasser der schrumpfenden Himalaya-Gletscher überflutet wird. Man muß mit einem gewaltigen Flüchtlingsstrom nach Norden rechnen. Die indische Regierung erklärt zwar, daß durch den Zaun das Einsickern von Waffen und anderer Schmuggelware sowie von militanten Muslimen unterbunden werden soll, aber ob das die primäre Aufgabe ist oder nicht, der Zaun richtet sich ebenso gegen eine Armutsregion, die ausgesprochen anfällig gegenüber den Klimawandelfolgen ist. Rund 4000 Kilometer soll der Zaun lang werden, fast 2500 Kilometer wurden seit 2004 schon errichtet. Der Grenzzaun besteht aus zwei Reihen, ist mehr als drei Meter hoch und selbstverständlich stacheldrahtgeschützt.

China und Nordkorea haben eine 1416 Kilometer lange gemeinsame Grenze. Auch sie wurde von chinesischer Seite auf besondere Weise bewehrt. In Beton verankert und mit Stacheldraht gekrönt, soll der Zaun das wirtschaftlich aufstrebende Schwellenland China vom Armutsstaat Nordkorea abgrenzen. Denn von dort versuchen permanent Flüchtlinge ins Reich der Mitte zu gelangen. Die Grenzanlage ist sicherlich kein typisches Beispiel dafür, wie sich ein Land auf den Klimawandel einstellt, aber hier wird Front gegenüber einer Armutsregion gemacht, wie es auch dann der Fall wäre, wenn Nordkorea besonders schwer vom Klimawandel getroffen würde. Im übrigen haben die wiederholten, wenn nicht sogar chronischen Hungerkatastrophen Nordkoreas auch mit dem Klima und den mangelnden Ernteerträgen des partiell ziemlich unwirtlichen Landes zu tun.

Wenn sich das durch den Diamantenabbau relativ wohlhabende Botswana durch einen mehrere hundert Kilometer langen Elektrozaun gegen seinen in die Armut getriebenen Nachbarn Simbabwe abgrenzt, dann mag die Anlage offiziell dazu dienen, die Ausbreitung von Tierseuchen zu verhindern. Die eigentliche Funktion besteht jedoch zweifelsfrei darin, Flüchtlinge abzuhalten. Der Zaun macht aber keinen Unterschied, ob es sich um sogenannte Wirtschafts- oder um Klimawandelflüchtlinge handelt.

Solche Unterscheidungen sind sowieso im wesentlichen für Statistiker und für Behörden interessant, die lediglich ihre Ausgrenzungspolitik legitimieren wollen. Jeder Klimaflüchtling ist ein Armutsflüchtling und umgekehrt trägt ein unwirtliches Klima auch zu vielen Fluchtversuchen aus Armut bei. Die zahlreichen Hightech-Grenzen zeigen das wahre Gesicht der sogenannten Weltgemeinschaft, die im Prozeß der Globalisierung unüberwindliche Grenzen aufbaut. Ausgehend von gegenwärtigen Trends könnte die Welt in fünfzig oder hundert Jahren so aussehen, daß sich die klimatischen Vorteilsregionen massiv gegenüber der übrigen Welt abgrenzen, weitgehender noch als im Mittelalter die Festungen gegenüber den Beulenpest-Infizierten.

Der Zaun ist das äußere Merkmal der Ab- und Ausgrenzung innerhalb der globalen Gesellschaft. Einen Blick auf innere Zäune bzw. die hohe Bereitschaft des um seine Privilegien besorgten Menschen zur Verinnerlichung von Zäunen lieferte jüngst die medial aufgeheizte Hetzkampagne gegen "die" Griechen, die angeblich über ihre Verhältnisse leben und anderen Europäern auf der Tasche liegen. Da blieb nichts mehr vom Anspruch auf europäische Einigkeit übrig, weder bei der Bundesregierung noch bei der deutschen Bevölkerung. Wie wird man innerhalb der Europäischen Union damit umgehen, sollte Griechenland weiter austrocknen, von Waldbränden heimgesucht werden und größere Ernteverluste erleiden, so wie es Klimaforscher für die nächsten Jahrzehnte im mediterranen Raum voraussagen? Müssen die Griechen nach ihren aktuellen Erfahrungen nicht davon ausgehen, daß sie noch viel stärker marginalisiert werden?

Wenn innerhalb der Europäischen Union bereits bei der erstbesten Krise jede Solidarität, so sie jemals bestand, über Bord geworfen wird, müssen nicht die Länder des Südens fest damit rechnen, von den wohlhabenden Ländern abgekanzelt zu werden, sollten sich die Klimaverhältnisse gemäß den wissenschaftlichen Vorhersagen weiter verschlechtern? Den Klimawandel als Multiplizierer zu bezeichnen bedeutet nicht, daß die EU-Staaten deswegen anders mit klimainduzierten Konflikten umgehen als bisher auf anderen Streitfeldern.

29. Juli 2010