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KLIMA/510: Streit in deutscher Technikakademie - Klimaforscher verlassen Arbeitsgruppe (SB)


Klimaforscher kritisieren Relativierung des anthropogenen Treibhauseffekts



Die Klimaforschung bringt sich an der Schnittstelle zu Politik und Wirtschaft in dreierlei Hinsicht in die gesellschaftliche Debatte ein: Mit der Forderung, die Emissionen von Treibhausgasen zu vermeiden als Schlußfolgerung aus der Analyse, daß ein anthropogener Klimawandel stattfindet; mit dem Vorschlag, rechtzeitig Anpassungsmaßnahmen an die zu erwartenden Folgen des Klimawandels zu ergreifen; und mit Erkenntnissen zu den Folgen und Wirkungen des gezielten Climate Engineerings (beispielsweise durch die Eisendüngung der Meere, künstliche Wolkenbildung oder das Ausbringen von Schwefelpartikeln in der Erdatmosphäre). Es läßt sich leicht ausmalen, daß jeder einzelne dieser drei "Diskurse" ein hohes Konfliktpotential birgt, würden doch Vermeidung, Anpassung und Klima-Ingenieursmaßnahmen jeweils mit Ausgaben verbunden sein, die in der Regel keinen unmittelbaren Nutzen abwerfen.

Ähnlich wie frühere Generationen die Erdatmosphäre bedenkenlos als Endlager für Treibhausgase benutzt und damit den kommenden Generationen ein schwerwiegendes Problem aufgehalst haben, ist auch die heutige Generation offensichtlich nicht bereit, die Verantwortung für ihre Nachfahren zu übernehmen. Zumindest gilt das für die politischen Entscheidungsträger, während innerhalb der Zivilgesellschaft durchaus das Interesse besteht, sich grundlegende Gedanken zu machen und aus Gründen der sogenannten Klimaverantwortung Einschränkungen des eigenen Lebensstils vorzunehmen.

Doch nach wie vor scheint eine breite Lücke zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen mit den daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen und dem, was Wirtschaft und Politik zu leisten bereit sind, zu bestehen. So ist es offenbar innerhalb der Arbeitsgruppe "Anpassungsstrategien in der Klimapolitik" der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften Acatech zu einem Streit zwischen Klimawissenschaftlern und Vertretern der Wirtschaft gekommen. Wie die Süddeutsche Zeitung [1] berichtet, sind bereits im Frühjahr vier prominente deutsche Klimaforscher "aus Protest" aus dieser Arbeitsgruppe ausgetreten. In einem ersten Berichtsentwurf der AG seien die Ergebnisse der physikalischen Klimaforschung zwischen den Zeilen als "nicht belastbar" dargestellt worden, berichteten die Forscher. Sie ließen sich nicht darauf ein, ein Sondervotum in den Bericht aufzunehmen, wie die Stuttgarter Nachrichten [2] schreiben.

Acatech hatte die Arbeitsgruppe eingerichtet, um im Rahmen eines Dialogs von Wirtschaft und Wissenschaft Anpassungsmaßnahmen für den Klimawandel vorzuschlagen. Dazu gehört unter anderem eine Erhöhung der Deiche, die Abmilderung der Folgen von Hitzewellen in den Städten und ein Ausgleich von zu erwartendem Wassermangel vor allem im Bundesland Brandenburg.

Was hatte die vier Forscher, namentlich Hans von Storch vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht, Wolfgang Cramer vom französischen Forschungszentrum Centre national de la recherche scientifique (CNRS), Paul Becker, Vizepräsident des Deutschen Wetterdiensts, und Jürgen Schmid vom Fraunhofer-Institut für Windenergie, so sehr gegen den Bericht aufgebracht, daß sie die Arbeitsgruppe unter Protest verließen?

Die Forscher monierten unter anderem, daß in dem Papier nicht erklärt wird, daß das Ausmaß von Anpassungsmaßnahmen davon abhängig ist, inwiefern die Emissionen von Treibhausgasen vermindert werden können. Das ist insofern wichtig, als daß die Anpassung eigentlich immer schon die schlechtere Option gegenüber dem Bemühen, es gar nicht erst zum Klimawandel kommen zu lassen, darstellt.

Die Beiträge der Klimaforscher zu einem Kapitel, in dem die Grundlagen des Klimawandels beschrieben werden, sind laut Cramer weggelassen oder durchlöchert worden. Ein Beispiel: Der Weltklimarat IPCC (International Panel on Climate Change) hat in seinem Bericht im Jahr 2007 festgestellt, daß der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert sehr wahrscheinlich größtenteils menschenverursacht ist. In der aktuellen Fassung des Acatech-Berichts steht laut der Süddeutschen Zeitung, es sei "nicht bekannt", welchen Anteil Treibhausgase, Sonnenaktivität, Vulkanausbrüche und jahrzehntelange Zyklen am Klimatrend der vergangenen 150 Jahre hätten.

Zum besseren Verständnis dieses Konflikts ist es nützlich zu wissen, daß den Sachstandsberichten des IPCC weltweit mehrere tausend Wissenschaftler zuarbeiten und insbesondere die Passagen, in denen von anthropogenen Treibhausgasen und ihre Bedeutung für die Erderwärmung die Rede ist, abgewogen sind. Der vierte Sachstandsbericht aus dem Jahr 2007 kommt in dieser Frage zu einer deutlicheren Aussage als der dritte Sachstandsbericht aus dem Jahr 2001, in dem nur von "klaren Hinweisen" gesprochen wird, daß die Erderwärmung auf menschliches Handeln zurückzuführen ist. Wenn also jetzt in dem Acatech-Report wieder auf die Zeit vor 2001 rekurriert wird, haben die Klimaforscher damit ein Problem.

Zumal ursprünglich ausgerechnet der RWE-Manager Fritz Vahrenholt als einer der drei Koordinatoren der Arbeitsgruppe ernannt worden war. Vahrenholt hatte im Februar dieses Jahres gemeinsam mit Sebastian Lüning das Buch "Die kalte Sonne. Warum die Klimakatastrophe nicht stattfindet" veröffentlicht. In dem von Klimawissenschaftlern wegen inhaltlicher Mängel weitgehend zerrissenen Buch wird unter anderem behauptet, daß zyklische Schwankungen der Sonnenaktivität und nicht menschliche Aktivitäten hauptverantwortlich für die globale Erwärmung sind.

Vahrenholt wird in dem Actatech-Papier nicht mehr als Koordinator genannt, sondern einer "Steuerungsgruppe" zugeordnet. Ob es sich dabei um eine bloße Umetikettierung der gleichen Funktion handelt, geht aus dem SZ-Bericht nicht hervor.

Resümee: Acatech-Präsident Prof. Reinhard Hüttl hat sich bemüht, die Arbeitsgruppe zusammenzuhalten, damit sie ein brauchbares Ergebnis liefert. Ihm zufolge teilt die Akademie die Haltung der Klimaforscher, daß Zweifel an der Klimaforschung keine akzeptable Position für die Gruppe sind. Dennoch bleiben in dem Bericht manche Formulierungen vage. So vermochte Hüttl die tiefen Gräben der Positionen, die nur auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, sie lägen gar nicht so weit auseinander, nicht auszugleichen. Auf dem Gebiet der Anpassungsmaßnahmen muß in solch einem Report jedes Wort auf die Feinwaage gelegt werden, denn danach richten sich Umfang und Ziel einer möglichen Finanzierung des Klimaschutzes durch die Politik. Es geht über viele Jahre hinweg um Milliardenbeträge und immer auch um die Frage, wer dafür aufkommt.

Trotz der Etablierung eines Europäischen Emissionshandelssystems wird die Industrie faktisch bis heute weitgehend davon freigehalten, für Treibhausgasemissionen zu bezahlen. Es besteht kein über die normalen betriebswirtschaftlichen Einsparungsgründe hinausgehender Anlaß, den Energieverbrauch zu reduzieren. Das wäre aber erforderlich, damit Deutschland bzw. Europa seinen Beitrag zum globalen Klimaschutz erfüllt.

Wie geht es nun weiter mit dem Klimaschutz in Deutschland? Scheinen die Interessensunterschiede zwischen Wissenschaft und Wirtschaft bereits solche Arbeitsgruppen schwer zu beeinträchtigen, dürfte sich vor dem Hintergrund der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise die Kluft zwischen dem, was aus Sicht der Klimaforscher als unbedingt notwendig angesehen wird, und dem, was die Politik in Angriff zu nehmen bereit ist, noch mehr auftun. Anpassungsmaßnahmen gegen die Folgen des Klimawandels sind teuer. Sie zu beschließen bringt den Politikern nichts ein, im Gegenteil, das könnte ihnen Wählerstimmen kosten.

Die Wirtschaft wiederum handelt "klimafeindlich" auf der Basis einer Rationalität, die auf Profitstreben und Konkurrenz ausgerichtet ist. Ein Unternehmen will möglichst kostengünstig arbeiten. Wenn es beispielsweise für die Braunkohle nichts bezahlen muß, die es abbaggern darf, wenn keine Wasserkosten anfallen und wenn es sich nach wenigen Jahren von der Renaturierung der aufgerissenen Landschaft verabschieden darf, dann nimmt es diese Vorteile gerne wahr. Bei der Verstromung von Braunkohle entstehen aber besonders viele Treibhausgase, und so wäre es im Sinne der Vermeidungsmaßnahmen des Klimaschutzes eigentlich vernünftig, wenn Energiekonzerne alle bislang externalisierten Kosten tragen müßten. Klimaschutz ist folglich eine hochpolitische Angelegenheit und so eine Auseinandersetzung, wie sie in der Acatech-AG stattfand, keine Nebensache.


Fußnoten:

[1] "Erderwärmung. Klima-Krach in Deutschland", Süddeutsche Zeitung, 13. September 2012
http://www.sueddeutsche.de/wissen/erderwaermung-klima-krach-in-deutschland-1.1466655

[2] "Gutachterstreit. Raue See in der Klimaforschung", Stuttgarter Zeitung, 11. September 2012
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.gutachterstreit-raue-see-in-der-klimaforschung.24446a7c-176c-49b5-8c9a-a7d49527051b.html

16. September 2012