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KLIMA/514: Atemnot in Peking (SB)


Smog in Chinas Hauptstadt erreicht Rekordwerte

Hauptfaktoren Kohlekraftwerke, Industrie und Autoverkehr



Kohleöfen, die auf Hochtouren laufen, zahlreiche Autos auf den Straßen, umzingelt von Industrie und dann noch eine extreme Winterwetterlage - an der chinesischen Hauptstadt Peking läßt sich derzeit ablesen, in welche Zukunft der Weg des in Ost und West angebeteten Wirtschaftswachstums führt: Die Einwohner Pekings ersticken daran. Sprichwörtlich. Am vergangenen Samstag hatte der Smog in der 19 Millionen Einwohner zählenden Metropole Extremwerte erreicht. Die Feinstaubbelastung mit Partikeln kleiner als 2,5 Mikrometer Durchmesser pro Kubikmeter Luft (PM2.5) hatten laut dem international verwendeten Luftqualitätsindex AQI einen Wert von 755 erreicht, meldete die "Neue Zürcher Zeitung" [1].

Die Zeitung ließ offen, wie genau der Wert zustandekam. Denn mit einem Autotacho, dessen Skala bis 250 km/h geht, kann man nicht 300 km/h messen. Die AQI-Skala des Meßgeräts in der US-amerikanischen Botschaft, auf die sich die NZZ beruft, reicht jedoch nur von 1 bis 300, und mehr als 500 sähe sie eigentlich nicht vor, heißt es. Vollkommen "uneigentlich" wurden jedoch 755 erreicht. Die Menschen leiden unter akuten Atem- und Herz-Kreislaufbeschwerden. Der Feinstaub gelangt in die Lungenbläschen und ins Blut. Kopfschmerzen und Reizungen der Atemwege müssen noch als die harmlosen Formen der Belastung angesehen werden, bei einer längeren Belastung mit PM2.5-Feinstaub kann es zum Herzinfarkt kommen oder Lungenkrebs entstehen.

Die Behörden Pekings gaben laut NZZ keine höheren Schadstoffwerte als 500 an. Hier hätten ihre Messungen geendet. Die Methode der Administration, allzu hohe Belastungswerte aus technischen Gründen nicht mehr registrieren zu können, ist vertraut. Zuletzt geschehen bei einem anderen Schadstoff in einem anderen Land. Die Rede ist von Japan und der radioaktiven Belastung im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi nach dem multiplen GAU vom März 2011. An einem Außenrohr zwischen Meiler I und II war ein Strahlenwert von mehr als 10 Sievert pro Stunde gemessen worden. Die Skala des dabei verwendeten Meßgeräts reichte auch nur bis dahin, was bedeutet, daß der tatsächliche Wert viel höher gewesen sein könnte. [2] Als statistischer Richtwert gilt: Wer eine Stunde lang einer Strahlenbelastung von 10 Sievert ausgesetzt ist, stirbt innerhalb von sieben Tagen.

Ganz so schnell sterben die Menschen in Peking aufgrund des sie heimsuchenden Smogs nicht - das Siechtum kann sich ein Leben lang hinziehen. Aber sie sterben. Laut einer Greenpeace-Studie [3] über Chinas Städte sterben 8.500 Einwohner pro Jahr vorzeitig aufgrund der Schadstoffbelastung der Atemluft. Die jüngsten Feinstaubmessungen in Peking geben Anlaß zu der Vermutung, daß die Studie der Umweltschutzgruppe nicht übertrieben hat. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht die Feinstaubbelastung erst ab einen Wert unterhalb von 25 innerhalb eines Tages als unbedenklich an. Wie gesagt, am Samstag wurden 755 gemessen, am Sonntag noch immer mehr als 300.

Die Behörden der Hauptstadt haben eine Gesundheitswarnung ausgesprochen. Allerdings nur die zweithöchste Alarmstufe, orange, als ob die Rekordwerte heruntergespielt werden sollen; vielleicht erwartet man aber auch noch Schlimmeres ...

Jedenfalls wird den älteren Menschen und Kindern empfohlen, zu Hause zu bleiben und die Fenster zu schließen. Das klingt wie die Formulierung zu einem Unfall mit Freisetzung giftiger Chemikalien. Und tatsächlich trifft dieser Eindruck zumindest zur Hälfte zu. Gemeint ist der Teil mit den giftigen Chemikalien, die in die Umwelt gelangen. Um einen Unfall handelt es sich jedoch nicht. Bei der Schadstoffbelastung der städtischen Atemluft mit Autoabgasen, Industrieemissionen und Rußpartikeln aus der Kohleverbrennung handelt es sich um die Normalität. Der Feinstaub gelangt in die Lungenbläschen und ins Blut. Kopfschmerzen und Reizungen der Atemwege müssen noch als die harmlosen Formen der Belastung angesehen werden, wenn man bedenkt, daß PM2.5-Feinstaub Herzinfarkt und Lungenkrebs auslösen kann.

Deutsche Städte sind in der Regel sauberer. Doch fördert die sich ach so grün gebende Bundesrepublik weltweit die meiste Braunkohle, und die ist mit der umweltschädlichste Energieträger überhaupt. Noch heute werden in Deutschland neue Kohlekraftwerke gebaut und ganze Landschaften samt uraltem Baumbestand vernichtet, weil Energiekonzerne die Braunkohle fördern, die zwischen rund 100 Meter (Lausitz) und 400 Meter (Hambach) tief in der Erde lagert. Fördervolumen in Deutschland 2011: 177 Millionen Tonnen. Jede vierte in Deutschland verbrauchte Kilowattstunde Strom wird mit Braunkohle generiert. Entsprechend hoch der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid.

Nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris wird der Verbrauch von Stein- und Braunkohle in den nächsten Jahrzehnten weltweit zunehmen. Das gilt dann auch für die Emissionen. Und während die Staatenwelt bei internationalen Klimaschutzverhandlungen wie im Dezember in Doha noch um den Eindruck bemüht ist, das Ziel der Erderwärmung um zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter sei noch einzuhalten, warnen Experten des Potsdam Instituts für Klimawandelfolgen in einem Bericht [4] für die Weltbank, daß ein Temperaturanstieg um vier Grad unbedingt vermieden werden müsse, und ein von der US-Regierung zur Beratung in Klimafragen eingesetztes, 60köpfiges Komitee rechnet bereits ein Szenario durch, das einen Anstieg um fünf Grad Celsius vorsieht [5].

Im Jahr 2050 werden den Prognosen zufolge 9 Milliarden Menschen die Erde bevölkern, die große Mehrheit von ihnen wird in Städten leben. Nicht wenige der urbanen Agglomerationen dürften dann so aussehen wie das Peking der Gegenwart. Das Ausmaß der Smogbelastung in Chinas Hauptstadt am vergangenen Wochenende hat mit der spezifischen Wetterlage zu tun. Die Behörden teilten mit, daß die Schadstoffe in Folge eines Tiefdruckgebiets nicht aus der Stadt entweichen konnten. Aber es sind die Menschen, welche den Smog produzieren, der sich ansammelt, und es sind die gesellschaftlichen Bedingungen, die den politischen Rahmen dafür liefern. Der sieht auch für Deutschland eine Fortsetzung der atemberaubenden Kohleverstromung vor.


Fußnoten:

[1] http://www.nzz.ch/aktuell/panorama/pekings-smog-erreicht-rekorwerte-1.17936959

[2] http://www.guardian.co.uk/world/2011/aug/02/japan-nuclear

[3] http://www.greenpeace.org/eastasia/Global/eastasia/publications/reports/climate-energy/2012/Briefing%20Dangerous%20Breathing%20-%20Greenpeace.pdf

[4] http://climatechange.worldbank.org/sites/default/files/Turn_Down_the_heat_Why_a_4_degree_centrigrade_warmer_world_must_be_avoided.pdf

[5] http://ncadac.globalchange.gov/

15. Januar 2013