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KLIMA/522: Der Arktische Ozean wird sauer (SB)


Erste umfassende Studie zur Versauerung des Arktischen Ozeans



Erst vor wenigen Tagen wurde von der Meßstation des Mauna Loa-Observatoriums auf Hawaii ein Kohlenstoffdioxidgehalt in der Atmosphäre von über 399 ppm (parts per million - Teile auf eine Million) registriert. Das ist ein Rekordwert für diese Station, die 3400 Meter über dem Meeresspiegel liegt und deren Meßergebnisse in der Wissenschaft als globale Referenzgröße angesehen werden. [1] Offensichtlich hält die Steigerung der menschengemachten Treibhausgasemissionen trotz der wirtschaftlichen Einbrüche in den letzten Jahren an.

Diese Entwicklung verleiht auch der aktuellen Warnung vor einer zunehmenden Versauerung des Arktischen Ozeans besonderes Gewicht. Eine vom Arctic Monitoring and Assessment Programme (AMAP) ins Leben gerufene internationale Expertengruppe hat nach drei Jahren die erste umfassende Studie zur Arctic Ocean Acidification (AOA) - Versauerung des Arktischen Ozeans - erstellt. Die wissenschaftliche Arbeit, die bei einem Treffen der Minister des Arktischen Rates am 15. Mai in der schwedischen Stadt Kiruna offiziell übergeben werden soll, wurde von den Experten bereits auf einer Konferenz vom 6. bis zum 8. Mai in der norwegischen Stadt Bergen diskutiert. [2]

Ein erheblicher Teil des atmosphärischen Kohlenstoffdioxids (CO2) wird von den Weltmeeren aufgenommen, wodurch deren pH-Wert sinkt. Seit Beginn der Industrialisierung vor rund 200 Jahren hat die Versauerung des oberflächennahen Wassers der Weltmeere um durchschnittlich 30 Prozent zugenommen. Kaltes Wasser kann deutlich mehr CO2 absorbieren als warmes Wasser, weshalb dieser Prozeß im Nordatlantik und in der Arktis besonders schnell voranschreitet. Das Absinken des pH-Werts, der den Säuregrad anzeigt, wird noch dadurch begünstigt, daß der Arktische Ozean jedes Jahr von größeren Mengen an Schmelzwasser gespeist wird, das keine so hohe CO2-Aufnahmefähigkeit wie das Meerwasser besitzt.

Es ist inzwischen hinlänglich bekannt, daß eine Versauerung der Meere allen dort lebenden, kalkskelettbildenden Organismen wie bestimmten Einzellern, Muscheln und Korallen Probleme bereitet, da die Kalkstrukturen in einer sauren Umgebung zersetzt werden. Die Arktis-Forscher befürchten nun, daß von der Versauerung des Nordpolarmeeres bereits heute Meeresorganismen direkt oder indirekt betroffen sind. Die arktische Nahrungskette gilt sogar als besonders empfindlich, weil sie relativ einfach aufgebaut ist und selbst kleine Veränderungen innerhalb der Ökosysteme gravierende Auswirkungen nach sich ziehen.

Seit mindestens 55 Millionen Jahren waren die Meere nicht mehr so sauer wie heute. Zudem läuft die Versauerung in einer Geschwindigkeit ab, für die es in den letzten 300 Millionen Jahren kein Beispiel gibt und die den Meeresbewohner kaum Zeit läßt, sich den verändernden Verhältnissen anzupassen. [3] Wohingegen Meeresbewohner in geologischer Vorzeit unter sehr viel niedrigeren pH-Werten existieren konnten, weil der Versauerung des marinen Lebensraums langsam vonstatten ging.

Bei der Veränderung des chemischen Zustands der Meere handelt es sich zunächst einmal um keine jener spektakulären Folgen der menschengemachten CO2-Emissionen wie die Erderwärmung, durch die Dürren und Überschwemmungen oder der Anstieg des Meeresspiegels mit küstennahen Zerstörungen und dem Untergang flacher Inseln ausgelöst werden. Aber selbst wenn man die CO2-Emissionen stoppen könnte, dauerte es Zehntausende von Jahren, bis die Ozeane wieder einen pH-Wert wie vor der industriellen Zeit erreichen, sagt der norwegische Forscher Richard Bellerby, einer der Organisatoren der Konferenz in Bergen. [4]

Seit Beginn der Industrialisierung hat die Versauerung der Ozeane um etwa 0,11 pH-Einheiten zugenommen. Die kanadischen Meeres- und Klimaforscher Nadja Steiner (Universität Sidney, British-Columbia) und James Christian (Universität Victoria, British-Columbia) haben berechnet, daß der pH-Wert des oberflächennahen Meerwassers in der Arktis von gegenwärtig 8,1 auf 7,7 gegen Ende dieses Jahrhunderts sinken wird. [5]

Einen so niedrigen pH-Wert hat es erdgeschichtlich einige Jahrhunderttausende lang nicht gegeben, und es handelt sich um einen Wert, bei dem sich in einem Laborexperiment schon mal die Fortpflanzungsfähigkeit von Seeigeln verringert hat. [6] Auch andere Lebewesen zeigten bei Absenkung des pH-Werts unter Laborbedingungen Veränderungen ihres Verhaltens, ihres Wachstums, ihrer Vermehrungsrate oder gar ihrer strukturellen Integrität.

Das zählt zu den bekannten Folgen der Versauerung der Meere, die in der Wissenschaft diskutiert werden. Wichtig ist aber auch die Beschäftigung mit der Frage, was alles passieren kann, was nicht bekannt ist. Wie verändert sich der chemische Zustand des Arktischen Ozeans beim Zusammentreffen multipler Faktoren, beispielsweise bei allgemeiner Versauerung in Verbindung mit zukünftigen Bergbauaktivitäten, wenn in dieser zunehmend eisfreier werdenden Weltregion Bodenschätze vom Meeresboden geborgen oder verstärkt nach Erdöl und Erdgas gebohrt wird?

Welchen Einfluß haben, jeweils in Kombination mit der Versauerung, der Verlust des arktischen Meereises, veränderte Windmuster und Meeresströmungen, eine stärkere oder schwächere vertikale Durchmischung des Wasserkörpers auf die Meeresbewohner? Wie lange noch und in welchem Ausmaß absorbieren die Ozeane einen erheblichen Teil der CO2-Emissionen des Menschen? Und welche Folgen hat es, wenn dieser Vorgang endet - wird die Erde zu einer Treibhausgashölle mit Temperaturen von über 100 Grad, so daß das Wasser verdampft und der Wasserdampf den Treibhauseffekt nochmals verstärkt?

Einige dieser Fragen richten sich nicht auf Folgen der Erderwärmung, wie sie von Wissenschaftlern noch in diesem Jahrhundert erwartet werden, aber sie haben sehr wohl mit der menschlichen Gesellschaft von heute und ihrem destruktiven, auf Verbrauch gerichteten Verhältnis zu ihrer Umwelt zu tun. Hier und heute werden die Weichen gestellt für das Lebensumfeld zukünftiger Generationen.


Fußnoten:

[1] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/meinunge/umme-219.html

[2] http://www.amap.no/Conferences/aoa2013/AOA_PressRelease.pdf

[3] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0012.html

[4] http://www.spacedaily.com/reports/Scientists_sound_alarm_at_Arctic_Oceans_rapid_acidification_999.html

[5] http://www.amap.no/Conferences/aoa2013/FinalAbstracts.pdf

[6] http://www.cell.com/current-biology/retrieve/pii/S0960982208007355

9. Mai 2013