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KLIMA/523: Erderwärmung - Niedergang von global verbreiteten Arten (SB)


Selbst in ihren positiven Berechnungen gehen Forscher von einem empfindlichen Artenverlust in diesem Jahrhundert aus



Gegenwärtig findet das sechste Artensterben der Erdgeschichte statt, und es ist das erste, das nicht durch physikalische Kräfte (Meteoriteneinschlag, Supernovae, Schwankungen der Erdbahn, Vulkanismus, veränderte Sonnenaktivität), sondern durch einen biologischen Verursacher, nämlich den Menschen, bewirkt wird.

Die meisten wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Artensterben vor dem Hintergrund des Klimawandels befassen sich mit der Frage, wie besonders empfindliche oder seltene Tier- und Pflanzenarten auf ein verändertes Klima reagieren. Eine britisch-australische Forschergruppe hingegen hat die Frage untersucht, wie sich der gegenwärtige Klimatrend wohl auf die weit verbreiteten Tier- und Pflanzenarten auswirkt.

Demnach könnten mehr als die Hälfte der weltweit in vielen Regionen anzutreffenden Pflanzen- und ein Drittel der Tierarten am Ende dieses Jahrhunderts einen "dramatischen Schwund" erleiden, heißt es in einer Presseerklärung der britischen Universität East-Anglia zu dieser Studie. [1]

Die Gruppe um die Wissenschaftlerin Dr. Rachel Warren vom Tyndall Centre for Climate Change Research der Universität von East-Anglia hat rund 50.000 global vorkommende und häufig anzutreffende Arten untersucht und berechnet, wie sie sich unter veränderten klimatischen Bedingungen verhalten würden.

Die Forschungsarbeit wurde von der Global Biodiversity Information Facility (GBIF) unterstützt. Diese internationale Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, "wissenschaftliche Daten und Informationen zur weltweiten Artenvielfalt in digitaler Form über das Internet frei und dauerhaft verfügbar zu machen". [2] Die Studie wurde am 12. Mai unter dem Titel "Quantifying the benefit of early climate change mitigation in avoiding biodiversity loss" im Journal Nature Climate Change veröffentlicht. [3]

In einem der Szenarien werden im Jahr 2080 rund 55 Prozent der Pflanzen- und 35 Prozent der Tierarten über die Hälfte ihres klimatisch definierten Lebensbereich verlieren, sollte bis dahin nichts gegen die globale Erwärmung unternommen werden. Hierbei berücksichtigt wurde bereits, daß die Tiere und Pflanzen unter Umständen ausweichen können, wenn sich das Klima in ihrem angestammten Lebensraum verändert. Deshalb gehen die Forscher in dieser Simulation davon aus, daß die Fläche, auf denen die von ihnen erfaßten Arten verbreitet sind, deutlich schrumpfen wird und daß dann auch ganze Arten verschwinden werden.

Besonders gefährdet sind Amphibien, Reptilien und Pflanzen. Die Subsaharastaaten, Zentralamerika, Amazonien und Australien würden die gravierendsten Verluste verzeichnen; aber besonders hinsichtlich der Pflanzenarten gelte dies auch für Nordafrika, Zentralasien und Südosteuropa, heißt es.

Die vermeintlich frohe Botschaft der Forschergruppe: Die Verluste könnten um 60 Prozent verringert werden, was den Tier- und Pflanzenarten eine Fristverlängerung von bis zu 40 Jahren zur Anpassung an die veränderten Bedingungen - gemeint ist der weitere Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur - bescheren würde. Dazu müßten allerdings die Treibhausgasemissionen so weit reduziert werden, daß der globale Temperaturanstieg gegen Ende des Jahrhunderts nicht 4, sondern "nur" 2 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit (1765) beträgt. Dazu müßte wiederum das Maximum der Treibhausgasemissionen im Jahr 2016 erreicht sein; anschließend müßten sie jährlich um 3 bis 4 Prozent sinken.

Selbst wenn der Höhepunkt der Treibhausgasemissionen erst im Jahr 2030 erfolgte, diese dann aber um jährlich 5 Prozent verringert werden, könnte man das Artensterben noch um 40 Prozent reduzieren.

Dr. Warren macht darauf aufmerksam, daß selbst geringe Einbußen unter den weit verbreiteten Spezies ernsthafte Konsequenzen nach sich zögen, weil dabei womöglich ganze Ökosysteme zerstört werden: "Unseren Forschungen zufolge wird der Klimawandel selbst die Diversität sehr verbreiteter Arten, die in den meisten Weltregionen anzutreffen sind, erheblich verringern. Dieser Verlust der Artenvielfalt im globalen Maßstab wird die Biosphäre und ihre Ökosystemdienstleistungen signifikant verarmen lassen." [1]

Die Verluste in Folge des Klimawandels dürften sogar noch höher ausfallen, als von ihnen prognostiziert, erklärte die Forscherin. Sie hätten in ihren Berechnungen lediglich den Anstieg der globalen Temperaturen berücksichtigt. Die Symptome des Klimawandels wie vermehrte Extremwetterereignisse sowie die Ausbreitung von Schädlingen und Krankheiten ließen ihre Abschätzungen wahrscheinlich "konservativ" erscheinen. Das gelte insbesondere für Tiere, da sie zusätzlich vom Verlust an Pflanzen betroffen wären.

Die Bezeichnung "Ökosystemdienstleistungen", in denen letztlich ein Nutzungsinteresse zum Ausdruck gebracht wird, weist darauf hin, daß auch die Menschen von dieser Entwicklung nicht ausgenommen sind. Als Beispiele für potentiell eingeschränkte Dienstleistungen der Ökosysteme werden von der Forscherin die Reinhaltung von Luft und Wasser, der Schutz vor Überschwemmungen, der Nährstoffkreislauf sowie Ökotourismus genannt.

Vor wenigen Tagen hat das Mauna Loa Observatorium auf Hawaii gemeldet, daß erstmals an dieser Station ein Kohlenstoffdioxidanteil in der Erdatmosphäre von mehr als 400 ppm (parts per million - Teile pro Million) registriert wurde.

Demnach nehmen die Treibhausgasemissionen kontinuierlich zu. Schwer vorstellbar, wie dieser Trend innerhalb von drei Jahren gebremst und in die Gegenrichtung gebracht werden kann. Es spricht doch wohl mehr dafür, daß das Worst-case-Szenario der britisch-australischen Forschergruppe eintritt, als eine der abgemilderten Varianten. Und selbst die sind problematisch. Denn in umgekehrter Lesart bedeutet der hier so positiv hervorgehobene Wert der Reduzierung des Artenverlustes um 60 Prozent, daß der übrige Teil der Arten auf jeden Fall verschwinden wird.


Fußnoten:

[1] http://www.uea.ac.uk/mac/comm/media/press/2013/May/climate-change-warren-common-species

[2] http://www.gbif.de/

[3] http://www.nature.com/doifinder/10.1038/nclimate1887

13. Mai 2013