Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REDAKTION


KLIMA/557: Geoengineering in der Arktis - nur mal theoretisch angenommen ... (SB)


Simulation zur Albedoverstärkung im Nordpolarmeer

Künstliche Produktion von Meereis ohne nennenswerten globalen Effekt


An Konzepten zur absichtlichen Beeinflussung des Erdklimas gegen den vorherrschenden Trend mangelt es nicht. So heißt es, man könne analog zu einem Vulkanausbruch Schwefelpartikel in der Stratosphäre verteilen und dadurch das Sonnenlicht reflektieren, bevor es die Erde erwärmt. Man könnte aber auch riesige Spiegelflächen im geostationären Orbit positionieren, so daß nicht einmal mehr die obere Atmosphäre aufgewärmt wird, lautet eine andere Idee. Oder aber man verpaßt allen Hausdächern, Verkehrswegen und Parkplätzen einen weißen Anstrich, was ebenfalls die Rückstrahlung (Albedo) des Sonnenlichts verstärken würde.

Solche Maßnahmen zur Manipulation der Sonneneinstrahlung (SRM - Solar Radiation Management) bilden zusammen mit den Verfahren zum gezielten Entziehen von Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre (CDR - Carbon Dioxid Removal) die zwei Säulen des Geoengineering bzw. Climate Engineering.

Von den meisten Wissenschaftlern werden solche Vorschläge abgelehnt [1] oder zumindest kontrovers diskutiert. In diesem Kontext ist auch eine am 28. April 2015 in den Environmental Research Letters veröffentlichte Studie zu sehen, in der berechnet wurde, welchen Effekt die künstliche Veränderung der Albedo des Nordpolarmeeres auf das Meereis und das Klima auf der Nordhalbkugel ausüben würde. [2]

Studienleiterin Ivana Cvijanovic (Lawrence Livermore National Laboratory), Ken Caldeira (Carnegie Institution) und Douglas MacMartin (Caltech) stellten anhand von Computersimulationen fest, daß zwar durch eine beträchtliche Anstrengung die Ausdehnung des arktischen Meereises vergrößert und auch die regionalen Temperaturen gesenkt werden könnten, aber daß das keinen nennenswerten globalen Effekt hätte. Wohl aber wäre mit Veränderungen der regionalen Klimaverhältnisse in Nordamerika und anderen Regionen der Nordhalbkugel zu rechnen.

Die Forschergruppe betonte, daß sie mit ihrer Annahme "extremer Szenarien" auf keine spezifische Anwendung für die reale Welt abheben, sondern daß sie "die Klimaantwort am oberen Limit der Albedoverstärkung verstehen wollen" (S. 2). Man habe "keine praktische Umsetzung" (S. 3) im Sinn. Als Extremszenario wählten die Forscher eine 10 Grad höhere Durchschnittstemperatur in der Arktis und einen CO2-Gehalt in der Erdatmosphäre von über 1138,8 ppm (parts per million). Das ist das Vierfache des CO2-Gehalts der vorindustriellen Zeit (284,7 ppm). Im März 2015 lag der Wert an der Meßstation Mauna Loa auf Hawaii bei 401,52 ppm. [3]

Der Forschergruppe war nicht daran gelegen, ein spezielles Konzept zur Verstärkung der Sonnenrückstrahlung zu beschreiben, sondern sie hat nur den theoretischen Wert einer Albedoverstärkung berechnet. [4] Wollte man ihre Analyse in einen Kontext des Geoengineerings stellen, seien eine ganze Palette an anderen Implikationen, beispielsweise auf die Umwelt und Meeresökologie, zu bedenken, sagte Caldeira. Die direkten negativen Folgen könnten "riesig" sein. [5]

Zum Abschluß der Studie wurde erwähnt, daß die Möglichkeit "kräftiger nonlinearer Klimaantworten" auf die Veränderung der Rückstrahlung an der Meeresoberfläche durch eine "kleine Albedoveränderung" nicht ausgeschlossen werden kann.

Die Ausdehnung und Dicke des arktischen Meereises hat in den letzten 30 Jahren deutlich abgenommen. Deshalb sagen Forscher ein zumindest im Sommer eisfreies Nordpolarmeer spätestens ab dem Jahr 2050 voraus. Im Kontext solcher Hochrechnungen wird in der Fachwelt über Konzepte diskutiert, Meereis künstlich zu erzeugen. In einer ähnlichen Forschungsrichtung wird herauszufinden versucht, ob es einen Schwellenwert (auch Kippelement oder Kippunkt genannt) gibt, ab dem die Eisfläche als Folge des Klimawandels so gering ist, daß sich der Prozeß des Eisverlustes und der Erwärmung verstärkt und nicht mehr aufzuhalten ist. Das wäre dann beispielsweise ein nonlinearer Effekt.

Konkret hat man es hier mit einer Forschung über das Verhalten von Meereis und Klima auf eine künstliche Albedoverstärkung zu tun, die erstens kein Geoengineering sein will, aber von Vertretern des Geoengineerings genutzt werden könnte (man braucht sich nur vorzustellen, die Berechnungen hätten ergeben, daß sich durch das künstliche Meereis ein globaler Effekt erzielen ließe ...), die zweitens zu Ergebnissen gelangt, die im nächsten Schritt (durch nonlineare Effekte als Folge weniger drastischer Albedoveränderungen) völlig über den Haufen geworfen werden könnten, und die drittens ökologische Fragen unausgelotet läßt.

An diesem Beispiel werden die Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlicher Arbeit im allgemeinen erkennbar: Die Fragestellung wird so eng gefaßt, damit überhaupt Simulationen angesetzt und durchgerechnet werden können. Durch die Vorannahmen werden aber unerwünschte Einflüsse und Effekte ausgeklammert, wodurch wiederum geradezu zielführend nur bestimmte Ergebnisse produziert werden können. Ob sich die Natur daran hält, steht auf einem ganz anderen Blatt.


Fußnoten:

[1] Beispielhaft sei hier Prof. Rüdiger Gerdes vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung genannt, der sich im Interview mit dem Schattenblick "sehr skeptisch" gegenüber solchen Vorschlägen äußerte: "Das müßten ja Eingriffe ins Klimasystem sein, die großräumig wirken, und damit wäre man wieder in dem Bereich, wo man Experimente macht, deren Ausgang man nicht wirklich vorhersagen kann." Näheres dazu unter:
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
INTERVIEW/034: Arktis warm, Europa kalt - Klima, Wärme, Strömungen (SB)
"Negativ-Rekord in der Arktis - was bedeutet das Meereis-Minimum für unser Klima?"
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0034.html

[2] Ivana Cvijanovic, Ken Caldeira und Douglas MacMartin: "Impacts of ocean albedo alteration on Arctic sea ice restoration and Northern Hemisphere climate", in: Environ. Res. Lett. 10 (2015) 044020, 28. April 2015.
http://iopscience.iop.org/1748-9326/10/4/044020/pdf/1748-9326_10_4_044020.pdf

[3] http://www.esrl.noaa.gov/gmd/ccgg/trends/

[4] Der französische Wissenschaftler Dr. Renaud de Richter schlägt vor, die Meereisfläche in der Arktis entweder durch das feine Versprühen von Meerwasser zu vergrößern oder auch durch eine Art überdimensionale Eismaschine der Umgebung Wärme zu entziehen und Meereis zu produzieren. Nähere dazu unter:
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
BERICHT/090: Klimarunde, Fragestunde - Techniker des Gegenfeuers ... (SB)
Climate Engineering Conference 2014: Critical Global Discussions
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0090.html

[5] https://carnegiescience.edu/news/whitening-arctic-ocean-may-restore-sea-ice-not-climate

4. Mai 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang