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KLIMA/578: COP 21, das Abkommen von Paris - beschwichtigen, verdrängen, schönreden (SB)


Politik der verbrannten Erde ...

Die Absichtserklärungen vom Pariser Klimagipfel sind nicht geeignet, die globale Erwärmung aufzuhalten


Alle Zeichen stehen auf Sturm, doch wider besseren Wissens hoffen die Staats- und Regierungschefs auf schönes Wetter. Sie sind nicht bereit, auf die Alarmrufe aus dem Mastkorb zu hören und die Segel einzuholen, sondern rasen sehenden Auges in voller Fahrt auf die heranrollende Unwetterfront zu ...

Seit Jahren warnt die Klimawissenschaft mit wachsender Besorgnis und immer eindringlicheren Worten davor, daß sich verschiedene Erdsysteme an der Schwelle zu fundamentalen Umwälzungen befinden, daß eventuell bereits sogenannte Kippelemente, bei denen eine Entwicklung nicht mehr aufzuhalten ist - wie möglicherweise die Erderwärmung als Folge der Emissionen des klimawirksamen Abgases CO2 aus der Verfeuerung der fossilen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas -, überschritten wurden und nur eine rasche und entschlossene Abkehr vom bisherigen Wachstumskurs eine gewisse Chance (keinesfalls eine Garantie!) bietet, dies alles mit einigen Blessuren zu überstehen. Und mit "Blessuren" ist nur gemeint, daß die Anzahl der Menschen, die durch die Folgen des Klimawandels Schaden erleiden oder umkommen, kleiner bleiben wird als bei der gegenwärtigen "Volle-Kraft-voraus!"-Politik.

Damit hier die aufgrund medialer Überfrachtung dauergereizte menschliche Immunisierung gegen "Katastrophenszenarien" nicht allzu sehr beansprucht wird, sei nur an ein einziges (versprochen!) Beispiel für die absehbaren Folgen der gegenwärtigen Entwicklung erinnert: Selbst die vor wenigen Jahren noch als stabil geltenden Eispanzer von Grönland und der Antarktis beginnen, sich zu rühren, zeigen Zerfallserscheinungen und drohen zu schmelzen. Diese Eismassen haben das Potential, den Meeresspiegel weltweit um rund 70 Meter steigen zu lassen. Selbst wenn dieses Worst-case-Szenario nicht eintreten sollte, werden auf dem Weg dahin ganze Inseln und riesige Landgebiete mit überlebenswichtigen Ackerflächen im Meer versinken, müssen Millionenstädte evakuiert werden, wird die Menschheit Flüchtlingsströme in einer Größenordnung erleben, gegenüber denen die gegenwärtige Einwanderungswelle in Europa verschwindend klein ist.

Am Samstag wurde auf der Klimaschutzkonferenz von Paris ein Abkommen beschlossen [1], durch das das Schicksal der Menschheit mehr denn je in die Hände ausgerechnet jener Interessensgruppen gelegt wird, die am fossilenergetisch gestützten oder wahlweise auch "grün" ummäntelten Wachstumskurs festhalten, da sie davon profitiert haben und weiterhin profitieren wollen - zu Lasten des größeren Teils der Menschen der heutigen und zukünftigen Generationen. Gemeint sind gesellschaftliche Funktionseliten wie politische Entscheidungsträger, Industrielobbyisten und auch NGO-Profis. [2]

Der im Internet abrufbare Entwurf für den Vertragstext [3] zeigt, daß der Konsens der Parteien darin besteht, verbindliche Zusagen zu vermeiden. Hier wird diplomatische Wortakrobatik zum besten gegeben, die Differenziertheit vortäuscht, um die allgegenwärtige Unverbindlichkeit der Vereinbarungen zu verdecken.

Eine unvollständige Zählung wachsweicher Begriffe aus dem 32 Seiten umfassenden Dokument ergibt folgendes Resultat: 14mal taucht das Wort "freiwillig" (voluntary) auf. 12mal werden die Staaten lediglich "eingeladen" (invite), etwas zu tun; 41mal "sollten" (should) sie etwas machen oder sollte etwas geschehen; sechsmal wird ein Vorhaben "betont" (emphasized), 23mal "empfohlen" (recommend), dreimal würde eine Handlung "begrüßt" (welcomed). Diese Aufzählung ließe sich noch verlängern, verschafft aber einen ausreichenden Eindruck vom Tenor des Dokuments.

Zwar hat die Zählung auch ergeben, daß 46mal das Wort "beschließen" (decide) verwendet wird, was Entschlußkraft signalisiert, aber wenn man genauer hinschaut, was im einzelnen beschlossen wurde, dann sind das wiederum vor allem irgendwelche institutionellen Vorhaben wie zum Beispiel die Einrichtung einer Arbeitsgruppe (Ad Hoc Working Group) und die Frage, welche Aufgabe ihr zukommt. Beschlossen wird aber nichts, das einen Staat unabweislich zum Klimaschutz verpflichtete. Im übrigen haben Länder wie Kanada und Australien gezeigt, daß sie jederzeit aus dem Klimaabkommen aussteigen können, sobald es den eigenen wirtschaftlichen Absichten im Wege steht.

Somit setzt der Vertragsentwurf des Abkommens von Paris die Politik der bloßen Versprechungen, wie sie bereits im Vorfeld mit der Präsentation der "nationalen Klimaschutzzusagen" (INDCs - Intended Nationally Determined Contributions) eingeleitet wurde, fort.

Im Unterschied zu vielen Analysten, die den Klimagipfel von Kopenhagen im Jahr 2009 als Ausdruck des völligen Scheiterns der internationalen Klimapolitik ansehen und ihn am liebsten vergessen möchten, sei hier ein Gegenstandpunkt vertreten: Das "Versagen" seitens der nationalen Delegationen und des dänischen Organisationsteams bestand darin, den Umstand nicht genügend verschleiert zu haben, daß nach wie vor und immerfort hegemoniale Interessen (politisch, technologisch, wirtschaftlich) das Verhandlungsgeschehen rund um die Bewahrung des Klimas bestimmen. Kopenhagen war insofern unverzichtbar, als daß diese Scharade deutlich wurde.

Der von der Mainstreampresse gefeierte "Erfolg" von Paris besteht darin, diese Scharte ausgewetzt zu haben. Man könnte auch sagen, daß 2009 die Öffentlichkeit noch gemerkt hat, daß der Kaiser gar keine Kleider trägt. Seitdem hat sich an dessen Bekleidungsvorlieben nicht das geringste geändert, aber der Nachfolgevertrag zum Kopenhagen Accord wird von vielen Seiten mit Lob bedacht.

"'Ein Tag für die Geschichtsbücher', 'Meilenstein', 'historisches Ereignis'. Der Klimavertrag von Paris verdient solches Lob", kommentiert "Spiegel online" [4] das Event und schreibt gar vom "Wunder von Paris" [5]. Der "Klimagipfel schreibt Geschichte - doch vielen Umweltschützern wird das nicht gefallen", titelt "Focus online" [6]; als "historisch" bezeichnet "Der Westen" die Vereinbarungen [7]. "Das Dokument zur Rettung der Welt" [8] hebt die Frankfurter Allgemeine Zeitung ab, wohl nur noch übertroffen von US-Außenminister John Kerry, der laut "Der Westen" das Abkommen gar als "einen Sieg für den ganzen Planeten und zukünftige Generationen" bezeichnet.

Unter Punkt 53 des Abkommens von Paris ist unmißverständlich festgehalten, daß es keine Grundlage für Kompensationszahlungen und Schadenersatzforderungen liefert. Daran ist rein gar nichts "Historisches", denn die Emittenten von CO2 und anderen sogenannten Treibhausgasen mußten auch in der Vergangenheit nicht dafür aufkommen, daß sie dem Planeten eine globale Erwärmung "geschenkt" haben und die Schadensfolgen die Allgemeinheit zu tragen hatte. Die Erdatmosphäre wurde und wird nach wie vor als Endlager für industrielle Abgase verwendet. Dazu paßt, daß die Emissionen aus Schiffahrt und Flugverkehr, jene Transmissionsriemen der Globalisierung, nach wie vor nicht nennenswert begrenzt werden sollen.

Seit jeher unerwähnt bleibt in der ganzen Klimadebatte übrigens ein gesellschaftlicher Bereich, der vergleichsweise starken Einfluß auf das Klima ausübt und zudem für extreme Umweltverschmutzungen sorgt ... abgesehen davon, daß durch ihn Menschen direkt geschädigt werden. Die Rede ist von der Rüstungsindustrie und dem Militär. Allein die Streitkräfte der USA sind für mehr CO2-Emissionen verantwortlich als der gesamte Staat Schweden. Die Militärapparate der Europäischen Union, Rußlands, Chinas, Indiens, Japans und aller übrigen Staaten tragen das Ihre dazu bei, daß sich die Erde aufheizt.

Und während sich die Staatengemeinschaft unter den Augen der Weltöffentlichkeit in Absichtserklärungen hinsichtlich ihrer zukünftigen Klimaschutzpolitik erging, bereitete sie zeitgleich in Genf, aber in diesem Fall hinter verschlossenen Türen und auf rechtsverbindliche, einklagbare Regeln zielend, das Dienstleistungsabkommen TISA (Trade in Services Agreement) vor. [9]

Dank Wikileaks [10] an die Öffentlichkeit gelangte Dokumente zeigen, daß alle Energiegewinnungsformen auf eine Stufe gestellt werden sollen, also keineswegs an einen Ausstieg aus der fossilen Energiewirtschaft gedacht ist. Es sind also dieselben Regierungen, die ihre Delegationen zum Klimagipfel nach Paris sandten, während andere Delegationen zeitgleich über ein Abkommen verhandelt haben, das höchstwahrscheinlich den Klimaschutzbemühungen diametral entgegenlaufen wird.

Zu guter Letzt sei die Frage aufgeworfen, warum überhaupt noch ein Abkommen gebraucht wird, wo doch angeblich die Staatengemeinschaft endlich begriffen hat, daß weitreichende Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden müssen, um Schaden von Milliarden Menschen abzuwenden. Wenn die Absichten hehr sind, wozu dann noch Absichtserklärungen?


Fußnoten:

[1] Siehe INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR
RAUB/1085: UN-Klimavertrag - exklusive Überlebenspositionen in Stellung gebracht (SB)
http://schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1085.html

[2] Auch wenn hier aus Lesbarkeitsgründen die männliche Form verwendet wird, sind mit dieser Schreibweise alle Geschlechtsformen gemeint.

[3] http://unfccc.int/resource/docs/2015/cop21/eng/l09r01.pdf

[4] tinyurl.com/pglpadn

[5] tinyurl.com/hlvdzwy

[6] tinyurl.com/jp2k8k7

[7] tinyurl.com/hwxl9

[8] tinyurl.com/hv4twe6

[9] tinyurl.com/og3df6o

[10] https://wikileaks.org/tisa/

14. Dezember 2015


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