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KLIMA/597: Planlos in Marrakesch (SB)


Zange an den letzten Zähnen des Klimaschutzplans 2050

"Interne" Diskussionen über die zukünftige Klimapolitik der Bundesregierung verlaufen offenbar sehr kontrovers


Wenn die deutsche Delegation in wenigen Tagen zum Klimagipfel nach Marrakesch reist, dürfte sie zahlreiche wohlklingende Vorsätze im Gepäck haben. Doch der Klimaschutzplan 2050 ist voraussichtlich nicht dabei. Am Mittwoch wird das mit einer "Modernisierungsstrategie" der deutschen Volkswirtschaft und einem "Gesellschaftsprojekt" befaßte Dokument gar nicht erst auf der Tagesordnung des Kabinetts stehen, da so schnell keine Einigung der sich streitenden Ressorts zustandekommt. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD), aus deren Haus der Plan stammt, rechnet mit einer Verabschiedung erst Mitte Dezember. [1]

Die größten Einwände gegen den Klimaschutzplan 2050 stammen von den beiden CSU-geführten Ministerien für Landwirtschaft (Christian Schmidt) und Verkehr (Alexander Dobrindt). Allerdings hatten bereits das Wirtschaftsministerium und das Kanzleramt ihre Handschrift in dem Plan hinterlassen, bevor er zu diesen Ressorts weitergereicht wurde. Dem Eingriff ist unter anderem der im ursprünglichen Entwurf enthaltene rasche Ausstieg aus der Kohleverstromung zum Opfer gefallen. Möglicherweise werden ihm nun auch noch die letzten Zähne gezogen, was bedeuten könnte, daß die Tierbestände nicht oder nur marginal verringert werden und die Stallgröße nicht begrenzt wird. (Bei der Produktion von Nahrung in der Massentierhaltung entstehen verhältnismäßig große Mengen an Treibhausgasen.)

Über den Plan werde "regierungsintern intensiv diskutiert", erklärte Nicole Wilke, Referatsleiterin "Internationaler Klimaschutz" beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), am 27. September am Rande eines Briefings im Auswärtigen Amt gegenüber dem Schattenblick. Deshalb könne sie zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts darüber sagen. [2]

Der Klimaschutzplan 2050 soll die Weichen in eine Zukunft stellen, in der die Bundesrepublik die Vorgaben der Europäischen Union erfüllt und bis 2050 zwischen 80 und 95 Prozent der anthropogenen Treibhausgasemissionen gegenüber dem Jahr 1990 senkt.

Nun tritt Deutschland bei den Verhandlungen vom 7. bis 18. November in Marokko voraussichtlich ohne einen Klimaschutzplan 2050 an. Wie hat man sich dann solche Verhandlungen vorzustellen? Sollen die Delegationen der anderen Länder Forderungen der Bundesregierung abnicken, obwohl sie gar nicht wissen können, ob sich diese selber daran hält? Wird Umweltministerin Hendricks, die in der zweiten Woche zu den Verhandlungen anreist, Dinge in Aussicht stellen, von denen sie noch gar nicht weiß, ob sie sie wird einhalten können? Und werden die anderen Staaten, die von den "internen" Diskussionen unter den verschiedenen Ressorts der deutschen Regierung wissen, sich nicht allein schon aus diesem Grund taktisch gegenüber Hendricks verhalten - so wie diese gegenüber ihnen? (Womit nicht unterstellt werden soll, daß nicht zahlreiche weitere Gründe fürs Taktieren aller Beteiligten existierten.)

Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und dem Atomausstieg hatte Deutschland weltweit für Aufsehen gesorgt. Beides zusammen wog in der positiven Bewertung der Umweltpolitik schwerer als Deutschlands "weltmeisterliche" Verstromung von Braunkohle, dem schmutzigsten unter den fossilen Energieträgern. Das EEG ist zwar immer noch ein Pfund mit einigem Gewicht, aber inzwischen können auch weitere Staaten wie China und die USA mit einiger Berechtigung für sich reklamieren, in bestimmten Umweltbereichen Vorreiter zu sein.

Da im Klimaschutz die Karten global neu gemischt werden, blieb das Klimaschutzabkommen von Paris in vielem vage; das gleiche läßt sich zum bisher bekannten Entwurf des Klimaschutzplans 2050 sagen, nachdem der frühere Umweltminister und heutige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) "viele konkrete Ziele und Maßnahmen" [3] gestrichen hat. Aber auf eben diese Unbestimmtheit geht der Erfolg des Pariser Abkommens zurück. Das wurde verglichen mit dem übrigen Klimaverhandlungszirkus ungewöhnlich rasch ratifiziert und tritt drei bis vier Jahre früher als vorgesehen in Kraft. Unter diesen Voraussetzungen ist damit zu rechnen, daß die Klimakonferenz in Marrakesch sehr viel spannungsgeladener sein wird als das Vorläufertreffen in Paris, bei dem Einigkeit zelebriert werden konnte.

Das Briefing im Auswärtigen Amt hinterließ den Eindruck, als herrsche eine unausgesprochene Einigkeit darüber vor, daß die Klimaschutzmaßnahmen unter gar keinen Umständen die wirtschaftliche Stellung Deutschlands in der Welt gefährden dürfen. Wenn man nun davon ausgeht, daß diese Prioritätensetzung kein Alleinstellungsmerkmal der Deutschen ist, dann könnte man sagen, daß in Marrakesch vordergründig über Klimaschutz, im wesentlichen aber über eine wirtschaftliche, technologische und politische Vormachtstellung verhandelt wird. Folglich wird auch nicht alles getan, was möglich wäre, um die globale Erwärmung abzuwenden, sondern nur das, was nicht die Grundlage der Wirtschaftsordnung, das Streben nach Vorteilen gegenüber konkurrierenden Interessen, in Frage stellt.


Fußnoten:

[1] https://www.tagesschau.de/inland/klimaplan-101.html

[2] Einen zweiteiligen Schattenblick-Bericht zum Briefing finden Sie hier:
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0122.html
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0123.html Sowie Interviews mit drei Referenten des Briefings:
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0250.html
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0251.html
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0252.html

[3] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-11/klimaschutzplan-2050-barbara-hendricks-streit-un-klimagipfel-marokko

1. November 2016


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