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KLIMA/625: Bäume tun den Stadtbewohnern gut (SB)


Wertberechnung der Bäume in Megacities


Bäume in der Stadt sind eine Wohltat. Das weiß jedes Kind. Und auch jeder Erwachsene, den nach etwas frischer Luft dürstet oder der dem Luftstillstand aufgeheizter Betonschluchten eine Weile entfliehen will, und zu diesem Zweck einen Park aufsucht.

Nun haben Wissenschaftler den Nutzen von Bäumen für Megacities in einen ökonomischen Wert umgerechnet. In den zehn Megacities, die das internationale Forscherteam unter Leitung von Dr. Theodore Endreny vom College of Environmental Science and Forestry (ESF) in Syracuse, New York, untersucht hat, lag der durchschnittliche jährliche ökonomische Nutzen von Bäumen bei 505 Mio. Dollar. Auf einen Quadratkilometer bezogen entspricht das 1,2 Mio. Dollar, oder, anders berechnet, einem Wert von 35 Dollar pro Kopf der Bevölkerung.

Mehr als die Hälfte der 7,5 Milliarden Menschen lebt in Städten, und jeder zehnte Mensch in einer Megacity. Eine Stadt gilt als Megacity, wenn sie mehr als zehn Millionen Einwohner hat. Untersucht wurden Buenos Aires, Istanbul, Kairo, London, Los Angeles, Mexico City, Moskau, Mumbai, Peking und Tokio.

Solche Berechnungen zu sogenannten Ökosystemdienstleistungen, bei denen Bäume, Tiere, Gewässer, Landschaften, etc. mit einem ökonomischen Wert versehen werden, sind in mehrfacher Hinsicht problematisch. Ein Befürworter jener Studie, wie sie kürzlich im Onlinejournal "Ecological Modelling" erschienen ist, würde vermutlich so argumentieren, daß erst durch die Berechnung des monetären Werts solche Natursysteme von der Gesellschaft, respektive den politischen Entscheidungsträgern und gesellschaftlichen Funktionseliten wertgeschätzt wird.

Damit wird sich jedoch ausgerechnet jener Herangehensweise bedient, dem die Bäume in der Stadt (und auf dem Land) allzu häufig zum Opfer fallen, nämlich des Strebens nach Profit und der Abwägung wirtschaftlicher Vorteile. Sei es, daß ganze Bahnhöfe tiefergelegt und zu diesem Zweck uralte Parkbäume gefällt werden (Stuttgart 21), sei es, daß ein riesiger, einst zur Allmende gehörender Wald abgeholzt wird, weil sich viele Dutzend Meter darunter eine Schicht mit Braunkohle befindet, die zwecks ihrer Verbrennung gefördert wird (Hambacher Forst). Stets wird der Abakus bzw. seine modernen Zählwerkvarianten zum Vergleich bemüht.

Für Stuttgart 21 wurden 116 Bäume gefällt und nach heftigen Protesten der Bevölkerung 84 Bäume umgesetzt. Die Befürworter des Bahnprojekts haben noch ganz andere Schäden und Risiken in Kauf genommen, um ihr Projekt gegen den Willen eines nicht unwesentlichen Teils der Bevölkerung durchzusetzen. Und daß im Hambacher Forst Menschen Bäume besetzen, Waldspaziergänge organisieren und andere Aufklärungs- und Protestformen wählen, um diesen von seiner "Ökosystemdienstleistung" her unersetzlichen Wald zu retten, hat die Herzen weder von Politik noch Wirtschaft zu erweichen vermocht.

Die Vorstellung, daß die administrativen Verantwortlichen der Megacities anerkennen, daß Bäumen in der Stadt ein monetärer Wert zugesprochen werden kann, der über den seines Holzes hinausgeht, ist so, als wollte man Eulen nach Athen tragen. Auch in den Städten, in denen sich gegen Bäume und für den Bau von Verkehrswegen, Industriegebieten, Bürogebäuden oder Wohnvierteln entschieden wird, wird man um den Wert des Baumes wissen - nicht unbedingt in der nun vorgelegten Rechnung, aber sicherlich als rechenbarer Faktor der Erholung, also der Regeneration der Arbeitskraft. Die Forschergruppe hat zudem berechnet, daß die Bäume gesundheitschädliche Partikel aus der Luft filtern, das Klima regulieren, so daß Energiekosten für Klimaanlagen eingespart werden können, und andere indirekten und direkten Vorteile bringen.

Die guten Absichten der Forschergruppe, mit ihrer Studie einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität von Megacities zu leisten, soll hier nicht in Frage gestellt werden. Doch eben weil sie sich des gleichen Bewertungsschemas bedient, um den Wert der Bäume hochzuhalten, werden sie im Zweifelsfall davon zu überzeugen sein, daß Bäume vielleicht doch nicht erhaltenswert sind, sobald nämlich beispielsweise bestimmten Bauprojekten ein höherer Wert beigemessen würde.

25. August 2017


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