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KLIMA/641: Umwelt - ausgegrenzt ... (SB)



Im September 2017 wurde die Karibikinsel Puerto Rico binnen zwei Wochen von den Wirbelstürmen Irma und Maria heimgesucht. Nahezu die gesamte Infrastruktur der Insel erlitt schwerste Schäden. Leitungswasser, elektrischer Strom und andere, teils lebenswichtige Versorgungs- und Dienstleistungen fielen komplett aus. Selbst heute noch, viereinhalb Monate später, verfügen rund 30 Prozent der Bevölkerung entweder über keinen Strom oder kein Wasser. Das betrifft auch die Schulen, von denen jetzt sogar ein Viertel geschlossen werden soll.

Für die Studierenden fiel hurrikanbedingt ein Semester aus, auch die Schülerinnen und Schüler werden im Lernstoff deutlich zurückgeworfen. Ein Teil des Lehrkörpers ist abgewandert - ein Trend, der schon vor Jahren auch in fast allen anderen Berufsgruppen eingesetzt hat, nachdem sich Puerto Rico in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise vor gut zehn Jahren hoch verschuldet hatte. Dieser Exodus hat nach dem Durchzug des Hurrikans Maria an Geschwindigkeit zugelegt.

Wer es sich leisten kann, siedelt in die USA über. Ermöglicht wird dies dadurch, daß Puerto Rico ein sogenanntes Außengebiet der Vereinigten Staaten von Amerika ist. Ein Wahlrecht haben die Bürgerinnen und Bürger jedoch nicht, auch andere Privilegien werden ihnen verwehrt. Bei seinem außerordentlich späten Besuch der verwüsteten Insel hat US-Präsident Donald Trump erklärt, daß die Menschen selber schuld an ihrer Not sind und von seiner Regierung keine weitere Hilfe zu erwarten sei.

In der internationalen Berichterstattung über Puerto Rico wird das Verhalten Trumps mit dem George W. Bushs verglichen, der 2005 bei der Überflutung vor allem der ärmeren Viertel von New Orleans in Folge des Tropensturms Katrina ebenfalls zu spät und auf ähnlich überhebliche Weise reagiert hat. Bush junior unterbrach seinen Urlaub erst am dritten Tag nach der Katastrophe, die über 1800 Menschen das Leben kostete. Trump ließ Wochen vergehen, bevor er sich persönlich auf der Insel blicken ließ. Anschließend dürften sich nicht wenige gewünscht haben, er hätte sich den Besuch erspart, besaß er doch nichts anderes im Gepäck als Worte der Verachtung und ein paar Rollen Papierhaushaltstücher für die, die bereit waren, sich danach zu strecken.

Der eklatanten Not der Menschen auf Puerto Rico aufgrund der beiden Wirbelstürme ging die Not eines wirtschaftlichen Niedergangs und einer hohen Verschuldung voraus. Wenn nun Gouverneur Ricardo Rosselló ankündigt, im Haushalt 2018 Einsparungen in Höhe von 1,5 Mrd. Dollar vorzunehmen - ein Fünftel davon im Bildungsbereich -, dann steckt dahinter nicht nur die Heimsuchung durch zwei Wirbelstürme. Die Insel befand sich auch zuvor bereits im Würgegriff eines kapitalgestützten Wirtschaftssystems, das den Mangel regelrecht produziert. Puerto Rico erhielt eine Zwangsverwaltung; die Schulstreichungen waren durchaus länger geplant.

Bekanntlich können Gewinne nur auf der Basis von Verlusten generiert werden, oder, grundsätzlicher, keine Verschuldung ohne Schuldherrn, der sich in eine vorteilhafte Position manövriert hat. So wenig Klimawandel und wirtschaftliches Auspressen auf den ersten Blick miteinander zu tun haben, die jeweiligen Folgen ähneln sich. Vor dem Hintergrund der sich am Beispiel Puerto Rico offenbarenden Ökonomie des Mangels wäre es nicht zu erwarten, daß in den kommenden Zeiten verschärfter Klimawandelfolgen plötzlich anders mit der dann weltweit zusätzlich entstehenden Not umgegangen wird als heute mit der Not der Menschen auf Puerto Rico. Wie der Anwalt und Aktivist Jesús Vásquez von der Organización Boricuá de Agricultura Ecológica de Puerto Rico auf dem Klimagegengipfel im vergangenen November in Bonn im Schattenblick-Interview berichtete, tragen nicht die Institutionen, sondern die sozialen Bewegungen den Wiederaufbau der Insel.

Der Staat zieht sich aus der Verantwortung zurück, die Behörden verwalten das Elend, und wenn die Menschen sich in Eigenregie zu behelfen wissen, schreibt sich die Administration das als erfolgreiches Konzept der Bürgerbeteiligung auf die eigene Fahne.

Wir haben absichtlich Puerto Rico als aktuelles Beispiel dafür gewählt, wie Menschen von den herrschenden Kräften ausgegrenzt werden. Solche anlaßbezogenen Beispiele können jedoch den Blick vom strukturellen Ausgrenzen von Menschen, die in klimatisch benachteiligten Regionen leben, ablenken. Über 840 Millionen Menschen weltweit hungern; zehn bis 15 Millionen verhungern jedes Jahr. Einen relativ zu ihrer Einwohnerzahl hohen Anteil daran haben die Staaten Ostafrikas, in denen seit Jahren die früher noch regelmäßig auftretenden Regenzeiten ausbleiben oder umgekehrt die Niederschlagsmengen plötzlich so gewaltig sind, daß das Land überschwemmt und die spärliche Bodenkrume samt dem, was darauf angebaut wurde, von den Wassermassen weggespült wird.

Zwar pflegen die wohlhabenden Länder üblicherweise keinen so offen überheblichen Ton anzuschlagen wie US-Präsident Donald Trump, der vor kurzem über Flüchtlinge aus "Dreckslochländern" hergezogen ist, womit er unter anderem die ärmeren Staaten Afrikas meinte, doch die Praxis der ehemaligen Kolonialstaaten und anderer Akteure in Afrika zeugt von keiner akzeptableren Einstellung gegenüber den dort lebenden Menschen. Die Länder des Nordens, die einen relativen Wohlstand verzeichnen, schotten sich ab, auch und gerade gegenüber den Regionen in den semiariden und ariden Klimazonen.

Die Bundeswehr, die EU-Kommission, Militärs und Geheimdienste der USA, sie alle warnen davor, daß der Klimawandel ein "Verstärker" bestehender Konflikte sein wird. So zutreffend diese naheliegende Einschätzung auch ist, es kommt anscheinend niemand dieser Akteure auf die Idee, die gesellschaftlichen Voraussetzungen für jene Konflikte ernsthaft in Frage zu stellen und in Angriff zu nehmen. Gerieten doch dann die eigenen Privilegien und die Aufrechterhaltung eines Lebensstils in Gefahr, durch den die Not über den Umweg der CO2-Emissionen und der davon ausgelösten globalen Erwärmung anderen Regionen aufgelastet wird.

2. Februar 2018


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