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KLIMA/725: Erdkugelweit - langsames Austrocknen ... (SB)



Weltweit nimmt die relative Luftfeuchtigkeit ab. Damit geht ein geringeres Pflanzenwachstum einher. Studien zufolge wird dieser Effekt mit der globalen Erwärmung und dem Klimawandel noch verstärkt, was unter anderem Folgen für die CO₂-Aufnahmefähigkeit der tropischen Regenwälder hat. Menschliche Aktivitäten verstärken den Effekt weiter. Im Amazonas-Becken beispielsweise wurde schon eine so große Waldfläche gerodet, daß in den letzten zwanzig Jahren eine meßbare Austrocknung der Luft stattfand und der Wald die Fähigkeit eingebüßt hat, wie bisher seinen eigenen Regen zu produzieren.

Wenn vom Klimawandel die Rede ist, dann ist damit nicht einfach nur der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur gemeint, wie es häufig kolportiert wird. Auch andere physikalische Größen ändern sich, beispielsweise die relative Luftfeuchtigkeit [1]. Welche Folgen ihr Wandel unter dem Einfluß der Erwärmung hat, wird seit längerem in zahlreichen Studien hinsichtlich der land- und forstwirtschaftlichen Produktivität erforscht.

Die relative Luftfeuchtigkeit findet auch Eingang in Berechnungen zum sogenannten Sättigungsdefizit (engl.: vapor pressure deficit, VPD), um die Photosyntheseleistung von Pflanzen zu bestimmen. So berichtete im August dieses Jahres eine internationale Forschungsgruppe im Journal "Science Advances", daß seit Ende der 1990er Jahre das Sättigungsdefizit global zugenommen hat. Das heißt, die Spanne zwischen der relativen Luftfeuchtigkeit und der Luftfeuchtigkeit, die unter einer bestimmten Temperatur (und einem bestimmten Luftdruck) maximal aufgenommen werden kann, bevor eine Sättigung eintritt, hat sich im weltweiten Durchschnitt vergrößert. [2]

Auf dieses Defizit stellen sich die Pflanzen offensichtlich ein. So wurde in derselben Studie festgestellt, daß noch bis Ende der neunziger Jahre ein Trend zu mehr Pflanzenwachstum vorgeherrscht hat, aber dann zum Stehen kam oder sogar umgedreht wurde. Die sogenannte Terrestrische Bruttoprimärproduktion nahm ab, was auch nicht durch die Zunahme an Kohlenstoffdioxid, durch die das Pflanzenwachstum angeregt wird, kompensiert wurde. Bislang hat die Forschung keine ausreichende Erklärung dafür, warum es vor rund zwanzig Jahren zum plötzlichen Anstieg des Sättigungsdefizits kam.

Wenn die Luft zu wenig Feuchtigkeit enthält, schließen die Pflanzen ihre Spalten (Stomata) an den Blättern, damit die Feuchtigkeit nicht entweicht. Das bedeutet, daß das Wachstum der Pflanze gestoppt wird. Das wiederum hat zur Folge, daß beispielsweise die tropischen Regenwälder weniger CO₂ aufnehmen und von ihnen auch weniger Sauerstoff freigesetzt wird. Auf den landwirtschaftlichen Anbau bezogen bedeutet es, daß die Erntemenge geringer ausfällt. Um weiterhin auf die gleiche Erntemenge zu kommen, müßte also noch mehr Wald gerodet und die landwirtschaftliche Fläche vergrößert werden. Ein Teufelskreis.

Das langsame Austrocknen der Atmosphäre ist besonders deshalb problematisch, weil schon jetzt, unter den gegebenen Produktionsverhältnissen, nicht genügend Nahrung für alle Menschen erzeugt wird (rund 850 Mio. Menschen hungern regelmäßig, etwa 2 Mrd. Menschen leiden unter chronischem Nährstoffmangel). Außerdem könnte es aufgrund des Klimawandels immer schwieriger werden, die Getreideernte zu steigern. Dabei haben Meeresspiegelanstieg, Hitzewellen, Überschwemmungen, Dürren, Verkarstung der Böden nicht nur natürliche Ursachen sondern werden durch die industrielle Landwirtschaft begünstigt. Außerdem schwächt die generelle Abnahme der Luftfeuchtigkeit auch die Wälder, macht sie anfälliger für Schadinsekten und Pilzbefall und erhöht die Waldbrandgefahr. Das Sättigungsdefizit ist also ein wichtiges Kennzeichen dafür, wie die Vegetation weltweit auf den Klimawandel reagiert.

In einer weiteren, noch aktuelleren Studie wird anhand von Satellitendaten der NASA festgestellt, daß - ebenfalls in den letzten zwanzig Jahren - die Atmosphäre über dem Amazonas-Regenwald zunehmend trockener geworden ist. Das Sättigungsdefizit wurde zwar in den extremen Dürrejahren 2005, 2010 und 2015 vergrößert, aber dennoch gelten menschliche Aktivitäten als eine der Ursachen (neben der allgemeinen Erwärmung), die diesen Trend ausgelöst haben.

So werden bei der Brandrodung Rußpartikel freigesetzt, die wärmeabsorbierend wirken, und der Verlust von Bäumen verringert die Verdunstungsrate. Diese Effekte zusammengenommen bewirken, daß der Amazonas-Regenwald weniger als früher seinen eigenen Regen produziert. Das wirkt sich bis in die südbrasilianische Region um Rio de Janeiro aus, in der normalerweise gewaltige Wolkenmassen aus dem Amazonas-Becken heranrollen.

Der Amazonas-Regenwald produziert rund 80 Prozent seines eigenen Regens selbst, was insbesondere in der trockeneren Jahreszeit relevant ist. Wird das System durch das zunehmende Sättigungsdefizit gestört, kann das langfristig zum Absterben der trockengestreßten Bäume führen. Das gilt vor allem für den Südosten des Amazonas-Regenwalds, in dem die trockene Saison vier bis fünf Monate anhält. Der Nordwesten des tropischen Regenwalds kennt normalerweise keine solche Trockenperiode. Deshalb wird er auch als "immerfeuchter Regenwald" bezeichnet. In den letzten zwanzig Jahren kam es hier allerdings zu sehr schweren Dürren, was ein Hinweis auf eine Störung des gesamten Systems gedeutet wird.

Sollten sich eines Tages der Amazonas-Regenwald insgesamt oder größere Teile von ihm nicht mehr gegen das Austrocknen schützen, könnte das sogar einen Kippunkt im globalen Klimasystem auslösen. Dann würde sich die abnehmende Verdunstungsrate, bzw. das zunehmende Sättigungsdefizit weiter verstärken. Eine für das globale Klima wichtige Kohlenstoffsenke würde sich in eine -quelle wandeln, was wiederum durch Prozesse in anderen Weltregionen - wie das Abschmelzen des grönländischen Eispanzers oder das Auftauen des arktischen Permafrosts - die allgemeine Erderwärmung weiter verstärken wird.


Fußnoten:

[1] Relative Luftfeuchtigkeit bemißt sich an der maximalen Luftfeuchtigkeit, die bei einer bestimmten Temperatur aufgenommen werden kann, bis daß die Luft gesättigt ist. Bei einer weiteren Zufuhr von Feuchtigkeit würden sich Wassertropfen bilden. Warme Luft kann also mehr Wasser aufnehmen als kalte. In einem geschlossenen Gefäß, in dem Luft- und Wassermenge konstant sind, aber die Temperatur steigt, nimmt die relative Luftfeuchtigkeit ab, weil die Luft bei höherer Temperatur mehr Wasser aufnehmen könnte, als sie es tut.

[2] https://advances.sciencemag.org/content/5/8/eaax1396

[3] https://www.nature.com/articles/s41598-019-51857-8.pdf

6. November 2019


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