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KLIMA/745: CO2 - Gefährdungsbeginn spätgeschätzt ... (SB)



Die Eigenschaft der tropischen Regenwälder, Kohlenstoff zu binden und so die globale Erwärmung zu verlangsamen, hat abgenommen. Sie schwindet nicht nur, sondern befindet sich in einem dramatischen Abstieg. Das wurde in einer internationalen, am Mittwoch in "Nature" veröffentlichten Studie festgestellt. An ihr waren mehr als 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, hinter denen jeweils eigene Forschungsteams stehen, beteiligt. Der Untersuchungszeitraum umfaßt 30 Jahre, wobei 300.000 Bäume in insgesamt 565 Gebieten beobachtet wurden. [1]

Noch gelten tropische Regenwälder als Kohlenstoffsenken. Das bedeutet, daß die Bäume der Atmosphäre mehr Kohlenstoff entziehen, als sie ihr hinzufügen. Die vergleichenden Untersuchungen in den tropischen Regenwäldern von Südamerika und Afrika zeigen nun, daß sich ersterer bereits in rund 15 Jahren von einer Kohlenstoffsenke in eine -quelle wandeln könnte und letzterer mit einer Zeitverzögerung von weiteren 15 Jahren ebenfalls.

"Unsere Ergebnisse sind alarmierend", kommentierte Prof. Douglas Sheil von der Norwegischen Universität für Lebenswissenschaften, NMBU, in einer Pressemitteilung das Ergebnis. "Das Wort 'alarmierend' sollte man nicht leichtfertig verwenden, aber in diesem Fall trifft es zu." [2]

Bereits Mitte der 1990er Jahre hatte das große Forschungsnetzwerk RAINFOR für den Amazonas-Regenwald eine erste Abnahme der Kohlenstoffbindung festgestellt. In Gebieten, die das afrikanische Forschungsnetzwerk AfriTRON untersucht hat, begann der Prozeß 15 Jahre später. Die besorgniserregenden Folgen des Klimawandels haben also längst eingesetzt. "Das ist Jahrzehnte vor selbst den pessimistischsten Klimamodellen", sagte der ebenfalls an der aktuellen Studie beteiligte Prof. Simon Lewis von der School of Geography der Universität von Leeds. [3]

"Mehr Kohlenstoffdioxid beschleunigt das Baumwachstum. Aber jedes Jahr wird dieser Effekt immer stärker durch negative Auswirkungen der höheren Temperaturen und Dürren, die das Wachstum verlangsamen und Bäume absterben lassen, konterkariert", erklärte Hauptautor Dr. Wannes Hubau, ehemaliger Postdoc-Forscher an der Universität Leeds und heute am Königlichen Museum für Zentralafrika in Belgien tätig.

Neben Mooren, Böden und Weltmeeren üben tropische Regenwälder eine wichtige Kompensationsfunktion (15 Prozent) für menschengemachte CO₂-Emissionen aus. Ohne solche Kohlenstoffsenken liefe die globale Erwärmung schneller ab. Das birgt die Gefahr, daß um so rascher Schwellenwerte überschritten und sich selbst verstärkende Prozesse schneller in Gang gesetzt werden, als man es bisher für möglich gehalten hat. Als typisches Beispiel für solche hochdynamischen Prozesse, die globale Auswirkungen zeitigen, gilt der Eispanzer von Grönland. Dieser schrumpft und wird unaufhaltsam abschmelzen, sollte seine Oberfläche den in niedriger Höhe wehenden, wärmeren Winden ausgesetzt werden. Wo genau die Grenze liegt, weiß man nicht, aber daß es sie gibt, ist sich die Forschung sicher.

Auch bezogen auf die Fläche des Regenwalds wird ein solcher Tipping Point angenommen. Im Februar 2018 schrieben Prof. Carlos Nobre, Mitglied der Akademie der Wissenschaften und des World Resources Institute in Brasilien, und Prof. Thomas E. Lovejoy von der George Mason University in Virginia im Editorial des Journals "Science Advances", daß der Zyklus aus Verdunstung und Niederschlag des Amazonas-Regenwalds abzubrechen droht. Ein solcher Tipping Point könnte unmittelbar bevorstehen, so daß die Ökosysteme des Regenwalds nicht mehr ausreichend mit Wasser versorgt werden. [4] Der südliche Teil des Regenwalds könnte sich schon binnen 10 bis 15 Jahren in eine Savanne verwandeln, warnte Nobre unlängst.

Allein die Bäume der tropischen Regenwälder haben 250 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gebunden. Das ist die Menge an Kohlenstoff, die durch menschliche Aktivitäten, gemessen am heutigen Verbrauchsniveau, über einen Zeitraum von 90 Jahren in Form von CO₂ emittiert würde.

Geschwindigkeit und Ausmaß, mit denen die Wälder auf die globale Erwärmung reagieren, legen nahe, daß die Folgen der gegenwärtigen Entwicklung in den Tropen viel gravierender sind als bisher angenommen, erklärte Sheil. Es sei daher "in unserem Interesse", daß dies nicht geschieht. Der Wissenschaftler spricht von einer Menschheitskatastrophe: "Davon werden Millionen Menschen betroffen sein, und es wird zu Hunger, Massenmigrationen und Konflikten beitragen." Der Vorgang kann jedoch aufgehalten und umgekehrt werden, wenn nur schnell und entschieden gehandelt wird, hofft Sheil.

Das geschieht zur Zeit allerdings nicht. Im Gegenteil. Unter dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro schreitet die Entwaldung des Amazonas-Regenwalds drastisch voran. Die Bergbauindustrie und Agrarlobby freuen sich. Von 2018 auf 2019 hat die gerodete Fläche um 30 Prozent zugenommen und lag bei knapp 9.166 Quadratkilometer. [5]

Der Amazonas-Regenwald durchlebt schon seit langem einen fundamentalen Wandel. Der hat sich jedoch zunehmend beschleunigt. So traten seit 2005 drei schwere Dürren auf. Vielerorts mußten deswegen Notbrunnen gebohrt werden, und das in einer als "immerfeucht" definierten Klimazone. Am Ende des vergangenen Jahrhunderts war der Wald um 1 bis 1,5 Grad Celsius wärmer als zu Beginn, und regional hat sich die Trockenzeit innerhalb der letzten 50 Jahre von vier auf fast fünf Monate ausgeweitet, wie spektrum.de berichtete. [6]

Von solchen schlechten Nachrichten will Bolsonaro nichts wissen. Im vergangenen Jahr entließ er den Direktor des Nationalen Instituts für Weltraumforschung (INPE), Ricardo Galvão, weil dieser Zahlen über die jüngsten Regenwaldrodungen veröffentlicht hatte, die das Ausmaß der Zerstörung zeigten. Eine Überprüfung dieser Anschuldigung ergab, daß sich nicht der Wissenschaftler, sondern Bolsonaro geirrt hat. Die aus dem Weltraum aufgenommenen Bilder zeigen sehr deutlich den Waldverlust.

Es läßt sich vorstellen, daß seit dieser politischen Einmischung die Forscherinnen und Forscher Vorsicht walten lassen und es in Zukunft vermeiden werden, mit unliebsamen Studienergebnissen auf sich aufmerksam zu machen. Zumal Galvão noch Glück hatte, daß er nur entlassen wurde. Schlimmeres kann bei Bolsonaro nicht ausgeschlossen werden, bewundert er doch die frühere Militärdiktatur. Auch hat er sich klar für Folter ausgesprochen und in der Vergangenheit sein Bedauern über den "Fehler" zum Ausdruck gebracht, daß die Generäle der Militärdiktatur nur gefoltert, aber ihre Opfer am Leben gelassen haben. Welcher Forscher, welche Forscherin in Brasilien wollte ihm da widersprechen ...


Fußnoten:

[1] https://www.nature.com/articles/s41586-020-2035-0

[2] https://partner.sciencenorway.no/climate-change-forests-nmbu/followed-300-000-trees-for-30-years-tropical-forests-will-soon-be-emitting-more-carbon-than-they-capture/1648776

[3] https://www.commondreams.org/news/2020/03/04/alarming-tropical-forests-shift-carbon-sponge-carbon-source

[4] http://advances.sciencemag.org/content/4/2/eaat2340

[5] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-01/amazonas-brasilien-regenwald-jair-bolsonaro-abholzung-wald

[6] https://www.spektrum.de/news/tipping-point-wann-erreicht-der-amazonas-seinen-kipppunkt/1708482

5. März 2020


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