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KLIMA/766: Was, wenn nicht alle ... (SB)


"Die meisten Länder haben inzwischen die Notwendigkeit einer Transformation zur kohlenstoffarmen Wirtschaft erkannt, und nichts sollte uns von der höchsten Priorität ablenken, die Treibhausgasemissionen weltweit zurückzufahren. Wenn aber solche Reduzierungen zu gering und zu spät sind, wird sicherlich Druck entstehen, einen 'Plan B' in Betracht zu ziehen - um nach Wegen zu suchen, den klimatischen Auswirkungen der Treibhausgasemissionen durch 'Geoengineering' entgegenzuwirken."

(Martin Rees, Vorsitzender der Royal Society, im Vorwort zum Report "Geoengineering the climate: science, governance and uncertainty", September 2009. Übersetzung des Zitats: Schattenblick)


Wenn die Not aufgrund der globalen Erwärmung zunimmt, wird die Bereitschaft in Politik und Gesellschaft wachsen, unausgegorene, riskante Maßnahmen der gezielten und schnell wirksamen Beeinflussung des Klimas zu ergreifen. So lautete vor sieben Jahren eine häufig zu vernehmende Prognose auf der ersten internationalen Geoengineering-Konferenz CEC14 (Climate Engineering Conference 2014: Critical Global Discussions) im Hotel Scandic Berlin, die vom Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) organisiert worden war. Ein gängiger Standpunkt unter denen, die Geoengineering erforschen, lautet, dass, sollte die Politik an die Wissenschaft herantreten und nach radikaleren Maßnahmen der Klimabeeinflussung fragen, es doch besser sei, man habe die unterschiedlichen Optionen bereits analysiert, anstatt erst zum Zeitpunkt der Anfrage mit den Untersuchungen zu beginnen und dann womöglich unter Zeitdruck zu geraten. An Geoengineering zu forschen bedeute deshalb nicht, seine Umsetzung gutzuheißen.

Die Debatte, die fünf Jahre zuvor Rees mit seiner eingangs zitierten Einführung in den Geoengineering-Report zwar nicht initiiert, der er jedoch einen merklichen Schub verliehen hat, hält bis heute an. Die wissenschaftlichen Projektionen des Weltklimarats (IPCC) und anderer Institutionen sprechen eine unmissverständliche Sprache: Nur eine radikale Abkehr vom eingeschlagenen Pfad der ansteigenden anthropogenen Treibhausgasemissionen und zeitgleich damit ein entschlossenes Abwenden sämtlicher sozioökonomischer Schadensfolgen aus den notwendigen Klimaanpassungsmaßnahmen bietet zumindest die geringe Chance, die längst weltweit angelaufenen klimatischen Verwerfungen und Verluste unter den sozioökonomisch Schwächsten, vom Globalen Süden bis zu den marginalisierten Gruppen innerhalb der Wohlstandsgesellschaften, zu verringern. Offenbar ist für die vorherrschenden gesellschaftlichen Kräfte die Vorstellung, Produktionsverhältnisse zuzulassen, die nicht mit der Profitlogik begründet werden, ein rotes Tuch. Obschon doch der gegenwärtig eingeschlagene Kurs zur Folge hat, dass die Wirtschaft wachsen muss - unter unwiederbringlichem Verbrauch immenser Naturressourcen und zu Lasten der Um- und Mitwelt, sieht selbst der Weltklimarat Methoden wie CCS, bzw. "negativen Emissionen", als unverzichtbar an, um die Klimaschutzziele einzuhalten.

Im Oktober 2021, sieben Jahre nach der CEC14, hat das in Potsdam ansässige IASS zum zweiten Mal (nach 2017) eine Nachfolgekonferenz organisiert; diesmal coronabedingt online. Vom 4. bis 8. Oktober trafen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im virtuellen Raum, um über Maßnahmen der gezielten, großmaßstäblichen und rasch wirksamen Beeinflussung des Klimas und ihre Implikationen zu debattieren.

In diesem Jahr wurde entschieden, dass das Akronym CEC für Climate Engineering in Context steht, weil der Kontext, in dem die Maßnahmen ergriffen werden, höchst unterschiedlich sein kann, wie Mark Lawrence vom Veranstaltungsteam und wissenschaftlicher Direktor des IASS in seiner Eröffnungansprache sagte. Er hob mit dieser Anmerkung auf die Unterschiede zwischen den beiden Hauptkategorien des Geoengineerings ab, das langfristige Entfernen des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre (CDR - Carbon Dioxide Removal) auf der einen Seite und auf der anderen die Beeinflussung des Strahlungshaushalts (SRM - Solar Radiation Management) zwecks Reduzierung der Erderwärmung.

Wer die Absicht hat, in der oberen Atmosphäre Schwefelaerosole zu versprühen oder im Weltraum Spiegelflächen am Lagrange-Punkt L1 zwischen Sonne und Erde auszubringen, um dort das Sonnenlicht zu reflektieren, bevor es die Erde erreicht, betreibt SRM und greift damit wahrscheinlich weitreichender in das Klimageschehen der Erde ein als beim CDR. Zu dessen Varianten, bei denen es immer darum geht, der Atmosphäre Kohlenstoffdioxid zu entziehen, rechnet man beispielsweise, wer tropische Ozeane mit Eisenpartikeln düngt, damit dort das CO₂-bindende Algenwachstum angeregt wird, wer ein zuvor trockengelegtes Moor wiedervernässt, oder wer in den Abgasen von Kohlekraftwerken enthaltenes CO₂ abfängt, verflüssigt und dauerhaft lagert. Letzteres wird üblicherweise mit dem englischsprachigen Akronym CCS (Carbon Capture an Storage) beschrieben.


Lawrence-Porträt beim Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Die Modifikation der Sonneneinstrahlung könnte höchstens eine ergänzende Maßnahme dazu sein, wenn tatsächlich Extrembedingungen des Klimas eintreten. Aber bevor man solche Maßnahmen als Plan B in Betracht zieht, müsste man natürlich alle derzeit bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich der Auswirkungen solcher Klimamanipulationen auf unser Erdsystem klären und auch die dadurch aufgeworfenen Fragen der Ethik und Regulierung beantworten können."
(Mark Lawrence, 20.08.2014, CEC14 in Berlin)
Foto: © 2014 by Schattenblick

Eine dritte, prinzipiell nochmals andere Form von Geoengineering zielt auf die Verstärkung der Wärmerückstrahlung der Erde. Die unter Atmospheric Convection Management oder auch Earth Radiation Management subsumierten Methoden erinnern an die phantastischen Einfälle des Romanautors Jules Verne, werden vergleichsweise wenig erforscht und beim Stichwort Geoengineering in der Regel gar nicht erst erwähnt. Auf der CEC14 hatte der französische Forscher Renaud de Richter von der Universität von Montpellier im Rahmen einer Postersession Konzepte zur Rückstrahlungsverstärkung präsentiert. Eines sieht vor, in heißen, ariden Gebieten mindestens einen Kilometer hohe Schlote zu bauen, die an ihrem Fuß von ausgedehnten, zum Zentrum hin ansteigenden Glasflächen umgeben sind, in denen sich die Hitze staut, die dann in den riesigen Schloten aufsteigt, Turbinen zur Stromgewinnung antreibt und in höhere Schichten der Atmosphäre befördert wird. Die dort freigesetzte Wärme würde in alle Richtungen abstrahlen und damit auch in Richtung Weltraum. Die Wärme würde also nicht, wie normalerweise ein Teil der vom Erdboden reflektierten Sonneneinstrahlung, an den Wolkenuntergrenzen aufgehalten.

Zur Begriffsklärung: Noch vor rund zehn Jahren war "Geoengineering" ein geläufiger Begriff zur Beschreibung der gezielten Beeinflussung des globalen Klimas. Auf der CEC14 wurde er ebenso häufig wie "climate engineering" verwendet. Heute wird vergleichsweise seltener von Geoengineering und an seiner statt nur noch von "Climate Engineering" oder "Climate Intervention" gesprochen. In diesem Bericht haben wir uns dafür entschieden, bei "Geoengineering" zu bleiben. So spricht eine Arbeitsgruppe der Internationalen Stratigraphiekommission vom gegenwärtigen Zeitalter des Anthropozäns. In ihm habe sich der Einfluss des Menschen in den geologischen Schichten niedergeschlagen. Das heißt, dass die menschliche Spezies bereits zu einem einflussreichen Geofaktor geworden ist. Die Vorsilbe "Geo-" wird also schon längst mit menschlichem Handeln in Verbindung gebracht.

Sollten aber jemals gezielte, lang anhaltende und hochwirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel ergriffen werden, dann hätte das ebenfalls globale Konsequenzen. Vielleicht würde eine weitere Arbeitsgruppe der Stratigraphiekommission eines Tages das Anthropozän weiter unterteilen und den Beginn von Geoengineering-Maßnahmen als geologische Stufe innerhalb dieses neuen Zeitalters markieren. Die Folgen solcher gezielten Eingriffe beträfen nicht nur das Klima, sondern die Ozonschicht, die Niederschlagsverteilung und damit auch die landschaftsformende Erosion, die Vereisung und vieles mehr. Das rechtfertigt unseres Erachtens die Verwendung des umfänglichen Begriffs "Geo"-Engineering.

Die Idee, ein menschengemachtes Zeitalter namens Anthropozän festzulegen, stammt von dem im Januar dieses Jahres verstorbenen Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen, der den Begriff zusammen mit Eugene F. Stoermer aufgebracht hatte. Crutzen war bis zum Jahr 2000 Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz und Doktorvater von IASS-Direktor Mark Lawrence. Crutzen war es auch, der 2006 die SRM-Methode, das globale Klima durch die Injektion von Schwefelpartikeln in die obere Atmosphäre (Stratosphäre) zu beeinflussen, publiziert und einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht hatte.

Die inzwischen in Fachkreisen weiter erforschte Methode hätte absehbar beträchtliche Auswirkungen auf andere Natursysteme. Beispielsweise könnte die Ozonschicht geschädigt werden, und darüber hinaus wäre kein Ende der Versauerung der Ozeane in Sicht, da die Menschheit es sich leisten könnte, weiter CO₂ und andere Treibhausgase zu emittieren, da ja im Denken der Befürworterinnen und Befürworter des Geoengineerings der Erwärmungs- durch den Abkühlungseffekt aufgehoben würde.

Das bleibt jedoch Wunschdenken. Ein Zustand wie vor Beginn der Industrialisierung würde auch mit Geoengineering nicht wieder hergestellt. Seit Crutzens Publikation, in der es diesem vor allem um die Berechnungen zum Strahlungshaushalt und zu den erwartbaren Kosten gegangen war, wurde das Konzept zwar in verschiedene Richtungen weiterverfolgt. In den Computersimulationen wird beispielsweise auch mit Calciumcarbonat oder Aluminiumoxid an Stelle von Schwefel gerechnet, was die Ozonschicht weniger angreifen würde. Dennoch, die Nebenwirkungen eines SRM auf andere Natursysteme fielen erheblich ins Gewicht. Das wiederum wäre konfliktträchtig und böte sogar Anlass für kriegerische Auseinandersetzungen unter den Nationen.

Verglichen mit den Überlegungen, an den Knöpfen des Strahlungshaushalts zu drehen, fallen die Auswirkungen von CDR womöglich weniger drastisch aus, zumindest über kürzere Fristen gerechnet. Die Unsicherheit geht so weit, dass gefragt wird, ob CDR überhaupt einen Abkühlungseffekt auslöst. Wie Mark Lawrence beim Abschluss-Panel der CEC21 sagte, sei selbst unter günstigen Bedingungen nicht vor 2050 damit zu rechnen, dass CDR eine globale Wirkung entfaltet. Er trat damit dem Argument des "moral hazard" entgegen. Seiner Einschätzung nach besteht nicht die Gefahr, dass die Forschungen zu Geoengineering als Begründung herhalten, um weiter wie bisher Treibhausgase zu emittieren. Denn laut dem "Sonderbericht 1,5 Grad" des IPCC vom Oktober 2018 müssten in den nächsten Jahren wirksame Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden, um unterhalb der im Klimaübereinkommen von Paris beschlossenen Höchstgrenze von 1,5 Grad C Erderwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit zu bleiben. 2050 sei viel zu spät.


Luftbildaufnahme des Industriekomplexes - Foto: XTUV0010, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons

Kemper County Power Plant im Aufbau, 16. September 2013.
Die Anlage im US-Bundesstaat Mississippi sollte das größte Kraftwerk der USA werden, in dem Braunkohle in Gas umgewandelt wird, um es anschließend zu verstromen. Etwa 65 Prozent des Kohlendioxids in den Abgasen sollten abgeschieden, verflüssigt und in anderen Industrieprojekten zur tertiären Erdölförderung genutzt werden. Die vermeintlich saubere Kraftwerksanlage stand im Zentrum von US-Präsident Barack Obamas Klimapolitik und sollte Vorbild für weitere Industrieprojekte werden. Baubeginn war 2010, fertiggestellt werden sollte die Anlage 2014. Daraus wurde nichts. Die Kosten explodierten von ursprünglich veranschlagten 2,4 Mrd. Dollar auf 7,5 Mrd. Dollar (2017). Um weitere Kosten zu sparen, beschlossen die Betreiber im Jahr 2017, keine Kohle zu verbrennen, sondern nur noch Gas. Große Teile der Anlage wurden am 9. Oktober 2021 per Sprengung zu Fall gebracht und werden abgerissen, weil sie nicht mehr gebraucht werden.
Foto: XTUV0010, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons

Auch wenn die bereits in die Wege geleiteten CDR-Maßnahmen noch keine nennenswerte globale Wirkung entfalten, werden hier und heute die energie- und industriepolitischen Weichen in Richtung Geoengineering gestellt, ungeachtet des zweifellos nach wie vor großen Gesprächsbedarfs. Noch betrifft es nur eines der beiden Standbeine der großmaßstäblichen Klimabeeinflussung, das Entziehen von Kohlenstoff aus der Atmosphäre. Das gegenwärtige Vorpreschen von Politik und Wirtschaft legt jedoch die Vermutung nahe, dass man sich beim zweiten Standbein, der Beeinflussung des Strahlungshaushalts, ebenfalls keine Zurückhaltung auferlegen würde. Das könnte beispielsweise dann so weit sein, wenn sich der Klimanotstand auch in den industrialisierten Ländern, die sich Solares Geoengineering finanziell überhaupt nur leisten könnten, verschärft. Die anhaltende Dürre in Kalifornien und im Mittleren Westen der USA könnte ein solcher Auslöser sein, da sie schon heute die Nahrungsmittelproduktion des Landes beeinträchtigt.

Es ist pervers, doch je umfassender und detaillierter Geoengineering erforscht wird, desto machbarer erscheint es auch. Denn genau darum geht es ja bei der Erforschung. Auch wenn dieser Effekt von den Beteiligten bereits auf der CEC14 erkannt und sicherlich mehrheitlich nicht erwünscht worden war, scheint die jahrelange Beschäftigung mit dem Thema einen Gewöhnungseffekt bewirkt zu haben. Das hatte bereits damals der Klimaforscher Jürgen Scheffran von der Universität Hamburg gegenüber dem Schattenblick angedeutet.

Nach einem Abstand von nunmehr sieben Jahren kam allein schon anhand der Themenauswahl der CEC21 tatsächlich der Eindruck auf, dass sich ein solcher Gewöhnungseffekt eingestellt hat. Wenngleich sehr behutsam und keinesfalls mit der Befürwortung von Geoengineering durch die Beteiligten gleichzusetzen, war es doch auffällig, wie häufig Fragen auf die gesellschaftliche Akzeptanz und die dazu erforderlichen Schritte abzielten. Wieder einmal lag der Schwerpunkt des Treffens auf der Diskussion, sogar mehr noch als vor sieben Jahren, weil damals Vorträge einen größeren Stellenwert besessen hatten.

Auf der CEC21 wurde über Strategien zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung eines stärkeren öffentlichen Engagements in den Forschungen zum Solaren Geoengineering diskutiert, mal ging es um die stärkere Beteiligung des Globalen Südens an der Forschung. In einer Session wurde erläutert, warum eine genaue CDR-Bilanzierung für interdisziplinäre Machbarkeitsstudien wichtig ist. Ein weiteres Anliegen bestand darin, die Darstellung von Technologien zum Kohlenstoffdioxidentzug in integrierten Bewertungsmodellen zu verbessern.

Fraglos sind das Themen, die angesprochen werden müssen, will die Forschung auf den Tag X vorbereitet sein, und doch erscheint damit "Plan B" machbarer zu werden, und die Naturwissenschaft, die sich streng genommen der politischen Bewertung entsagt, läuft Gefahr, jenen gesellschaftlichen Kräften in Politik und Wirtschaft in die Hände zu spielen, die kein (Profit-)Interesse an der realen und raschen Reduzierung von Treibhausgasemissionen haben. Im vergangenen Jahr hat die National Academy of Sciences der USA einen Report zum Management der Sonnenrückstrahlung vorgelegt, in dem diese umstrittenen Methoden sogar befürwortet werden, auch wenn intensivere Forschungen hierzu empfohlen wurden.

Um zu unterstreichen, wie schnell die Entwicklung in den letzten Jahren vorangeschritten ist, sagte beim Abschlusspanel die in Norwegen und dem Vereinigten Königreich tätige Klimaforscherin Jenniver Clare Heyward, die zum Organisationkomitee der CEC14 und CEC17 gehörte und bei der CEC21 beratend tätig war, dass vor vier Jahren ein Projekt wie SCoPEx ihrer Meinung nach nicht vorstellbar gewesen wäre. Diese Einschätzung wurde von anderen Beteiligten bestätigt.

SCoPEx ist das Akronym für "Stratospheric Controlled Perturbation Experiments". Dabei sollen unter Federführung der britischen Universität Harvard Versuche zum Geoengineering in der Variante des Solar Radiation Managements durchgeführt werden. Nach Einwänden unter anderem des Volks der Saami, die nicht in die Vorbereitung eines Experiments in Lappland eingebunden waren und erst wenige Tage vor dem im schwedischen Kiruna geplanten Ballonstart davon erfahren hatten, hat die schwedische Regierung im März 2021 den Versuch gestoppt. Damit ist SCoPEx nicht prinzipiell gestorben, das Programm existiert noch und die Experimente können jederzeit andernorts aufgegriffen werden.

Auch wenn die Methoden des CDR weniger spektakulär erscheinen, bedeutet das nicht, dass sie harmlos und von vornherein der Notwendigkeit einer kritischen Bewertung enthoben sind. Nicht zuletzt Konzerne der fossilen Energiewirtschaft bemühen sich derzeit nach Kräften darum, einen neuen, pseudoklimafreundlichen Geschäftszweig zu eröffnen und CCS zu betreiben. Die Taktrate, mit der dazu neue Programme aufgelegt, Initiativen angestoßen oder Konferenzen abgehalten werden, war im zurückliegenden Jahr bereits hoch, hat sich aber in den letzten Wochen vor Beginn der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow nochmals beschleunigt.

Anfang Oktober berichtete das in Melbourne ansässige Global CCS Institute in seinem jährlichen Statusreport, dass das Volumen des mit Hilfe von CCS gespeicherten Kohlenstoffs binnen neun Monaten um mehr als 50 Prozent zugenommen hat. Dazu passt wiederum eine Reihe von Veranstaltungen aus jüngster Zeit. Die EU-Kommission hatte am 12. Oktober zum Online-Forum "Carbon capture, utilisation and storage" (CCUS) geladen. Dabei ging es um industrielle Anwendungen zum Abfangen von Kohlenstoffdioxid, seiner Verflüssigung und Lagerung. Zum gleichen Thema hat die in London und Brüssel ansässige "Carbon Capture and Storage Association" (CCAS) vom 12. bis 14. Oktober die "CCUS 2021" veranstaltet. Die Liste der Sponsoren mit Namen wie BP, Shell und Uniper zeigt, wohin die Reise gehen soll und wer das Steuerrad in die Hand nimmt.

Ähnliches gilt auch für die drei zeitgleichen Treffen am 20./21. Oktober 2021 in der Messe Bremen, erstens zum CCS, zweitens zur Wasserstofftechnologie und drittens zu Brennstoffzellen. Ebenfalls in diesem Monat wurde der "Abschlussbericht dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität" von der industrienahen Deutschen Energie Agentur herausgegeben. Der Bericht strotzt nur so von Aussagen, nach denen die Kohlenstoffabscheidung, Verflüssigung und Lagerung zum Erreichen der Klimaschutzziele unverzichtbar sei.

Kein Zweifel, Konzerne und Lobbygruppen bestimmen den (Dis-)Kurs, und auch wenn sie den negativ besetzten Begriff Geoengineering nicht verwenden, betreiben sie langfristig genau das, was mit ihm gemeint ist. Geoengineering in Form von CDR ist längst zu einem lukrativen Geschäftszweig geworden, in den kräftige Kapitalströme gelenkt werden. "Follow the money", nannte das Simon Nicholson von der American University, der ebenfalls beim Abschlusspanel der CEC21 gesprochen hat. Die Industrie will also gleich doppelt in den Kohlenstoffkreislauf eingreifen. Erstens durch das hemmungslose Verbrennen fossiler Energieträger und zweitens durch CCS.

Soll das die Spitze der technologischen Entwicklung sein, erst die Erdatmosphäre als ungeregeltes Endlager für klimarelevante Abgase aus der Energieerzeugung zu missbrauchen und deren kohlenstoffhaltigen Bestandteile anschließend - unter erneutem Verbrauch großer Mengen an Energie - wieder einzufangen, zu verflüssigen und womöglich dahin zu pressen, wo man zuvor den fossilen Energieträger Erdgas herausgeholt hat, nämlich in ausgeschöpfte Lagerstätten? Das ist bei weitem kein Null-Summen-Spiel, denn zwischenzeitlich werden Substanzen unwiederbringlich zerstört. Der Brand als Treibmittel der Technologieentwicklung, die zu der multiplen planetaren Krise wesentlich beigetragen hat, unter der schon jetzt so viele Menschen leiden, wird mit CDR ein weiteres Mal angefacht, anstatt ihn einzudämmen.

Die CEC21 war weniger darauf ausgerichtet, über technische oder naturwissenschaftliche Detailfragen zu diskutieren, als vielmehr über gesellschaftspolitische Aspekte der großmaßstäblichen Klimabeeinflussung. Charakteristisch für die Onlinekonferenz war, dass in einer Session die Frage aufgeworfen wurde, welche gesellschaftlichen Gruppen nicht am Diskurs über Geoengineering beteiligt sind. Das waren, stichwortartig zusammengefasst, unter anderem indigene Gruppen, die Jugend, ältere Menschen, Nicht-Eliten, lokale Gruppen, kleine Inselstaaten, people of colour. Auffällig viele der genannten Gruppen wurden und werden schon seit Jahren erwähnt, wenn auf mangelnde "Klimagerechtigkeit" aufmerksam gemacht wird. Inzwischen fordert auch die Bewegung Fridays for Future Klimagerechtigkeit für die Menschen des Globalen Südens und indigene Gemeinschaften.

Keinen nennenswerten Widerhall auf der CEC21 fanden dagegen Menschen, die sich radikaleren Bewegungen wie Extinction Rebellion oder den Baumbesetzerinnen und -besetzern im Hambacher Forst, Dannenröder Wald, etc. zugehörig fühlen oder einst noch extremeren Bewegungen angeschlossen waren wie Earth Liberation Front (ELF), die bereit waren, die Grenzen der Legalität zu überschreiten. Niemand ist gezwungen, solche Aktionen gutzuheißen, doch die Ratio, der Menschen folgen, wenn sie ihr Leben oder ihre Freiheit für den Klimaschutz einsetzen, ist sehr wohl von gesellschaftlicher Relevanz und diskutierenswert.

Dennoch, dass die Beteiligten der CEC21 auch um Problemkomplexe rangen, die all das, was nicht exakt mathematisch abzählbar erscheint wie die Wirkung von Geoengineering auf die Strahlungsbilanz oder den Kohlenstoffkreislauf, hatte bereits die CEC14 besonders sympathisch gemacht. Hier wurde und wird eine disziplinenübergreifende Gesprächskultur gepflegt, die nicht unverzüglich in klingende Münze umzusetzen sein soll, wie es häufig von angewandten Wissenschaften erwartet wird. Damals lobte der Historiker James Rodger Fleming vom Colby College im US-Bundesstaat Maine im Gespräch mit dem Schattenblick das Konzept des IASS:

"Die Überlegung, Vertreter der angewandten Sozialwissenschaften, angewandten Philosophie oder selbst des angewandten Humanismus einzuladen, halte ich für sehr ergiebig. Es sind auch viele Filmemacher, Künstler und andere sehr kreative Menschen hier. Die Perspektive des angewandten Humanismus, wie ich ihn nennen würde, halte ich für sehr inspirierend. Denn wenn man sich Gedanken macht zu einem Thema und Sorgen hat, dann hat man auch eine Meinung und kann sagen, was man weiß oder für das Richtige hält. Und dafür muß man kein langjähriger Wissenschaftler oder Umweltaktivist sein."


Fleming beim Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

Der Historiker James Rodger Fleming hat mehrere Bücher zum Geoengineering geschrieben.
Foto: © 2014 by Schattenblick

Während das IASS noch "critical global discussions" anregt, wird andernorts bereits großmaßstäbliches Carbon Dioxide Removal in die Wege geleitet - sollte man sich nicht die Diskussionen über Geoengineering sparen? Nein, ganz und gar nicht. Nur weil einige gesellschaftliche Gruppen bereits loslegen, heißt das nicht, dass die Fragen an Geoengineering und dessen möglichen Implikationen auch nur annähernd geklärt sind. Von der CEC14 bis zur CEC21 wurde um viele Grundsatzfragen gerungen. Wo hat man das schon, dass sich ein Forschungsinstitut darum bemüht, Fragen zu stellen, wo andere längst vermeintliche Antworten liefern ... allerdings ohne jemals diese Fragen berührt zu haben?

"Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch", schrieb einst Friedrich Hölderlin in der Hymne "Patmos". Darauf zu hoffen, dass eben die Technik, die jene Gefahr heraufbeschworen hat, auch die Lösung zur Abwendung der Gefahr liefert, macht sich vielleicht als religiöser Lobgesang gut oder entspricht der philosophischen Vorstellung einer sinnhaften, geordneten Welt, die sich trefflich beim Spazierengehen heideggern lässt, aber entlässt all die Menschen aus der Verantwortung, die historisch den Klimawandel wesentlich verursacht haben oder aktuell davon profitieren, dass der Ressourcenstrom der fossilen Energieträger nicht abreißt.


Hinweis in eigener Sache: Der Schattenblick hat die Climate Engineering Conference 2014 mit vier Berichten und 18 Interviews nachbereitet. Online veröffentlicht, jeweils mit dem kategorischen Titel "Klimarunde, Fragestunde" versehen, sind sie nachzulesen unter

INFOPOOL → UMWELT → REPORT → BERICHT bzw. INTERVIEW

18. Oktober 2021

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 169 vom 23. Oktober 2021


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