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RESSOURCEN/077: Naturschutzgebiete - attraktive Beute der Reichen (SB)


Privileg Naturschutz

US-Multimillionär erwirbt große Landflächen in Südamerika


Muß ein politisches System nicht als zynisch bezeichnet werden, das einigen Menschen ermöglicht, so viel abstrakte Verfügungsgewalt - unter anderem in Form von Geld - anzuhäufen, daß sie davon Eigentumsansprüche auf Land durchsetzen können, während die große Mehrheit der Menschen weitgehend unbemittelt bleibt und ständig unter existentieller Not leidet? Und müßte es nicht als die Spitze des Zynismus angesehen werden, wenn sich die wenigen Großgrundbesitzer dann auch noch als Naturschützer aufspielen und unter diesem Vorwand Landflächen der allgemeinen Verfügbarkeit entziehen?

Eigentum ist prinzipiell ein soziale Kategorie und definiert sich über den Mangel, den er Eigentum bei anderen Menschen erzeugt. Wohingegen mehr als fraglich ist, ob Baum, Fluß, Acker oder Hase wissen, geschweige denn anerkennen, wessen Eigentum sie sind. Das bedeutet, daß Eigentum eine rein menschliche Abmachung bleibt und somit etwas mit dem Vorenthalt und der allgemeinen Nichtverfügbarkeit von Baum, Fluß, Acker, Hase, etc. zu tun hat.

Das vorherrschende politische System sichert dem Eigentümer die Verfügungsgewalt über Land mit Gesetzen und letztlich mit Waffengewalt. Diese Herrschaftsordnung durchzusetzen hat auf allen bewohnten Kontinenten zahllosen Ureinwohnern, die keinen oder zumindest einen anderen Eigentumsbegriff kannten, das Leben gekostet. Die Geschichte der Unterwerfung der Indianer Nord- und Südamerikas, der Aborigines in Australien und Bewohner Tasmaniens, der zahllosen Stämme vom indischen Subkontinent über die Mongolei bis in den eisigsten Winkel Sibiriens, von den Pyrenäen bis in den Kaukasus, und nicht zuletzt der versklavten afrikanischer Ureinwohner, ist nicht einfach nur lang, sondern das ist die Geschichte. Das ist die Geschichte der zivilisatorischen Eroberung.

Vor diesem Hintergrund erweckt der seit Jahren zu beobachtende Trend unter einigen reichen US-Bürgern oder wohlhabenden Organisationen, die große Landflächen in anderen Teilen der Welt erwerben, weil sie es vor der Nutzung bewahren wollen - was unter der uneingeschränkt positiv besetzten Bezeichnung "Naturschutz" erfolgt -, als höchst räuberische Form der Eigentumsvermehrung.

Einer der "Gutmenschen" ist der Multimillionär Douglas Tompkins, Gründer der Bekleidungsunternehmen North Face und Esprit. Zunächst hatte er sich Ländereien in Südchile gesichert, jetzt will er weitere tier- und pflanzenreiche Feuchtgebiete in Nordwestargentinien hinzugewinnen und hat bereits mehrere hunderttausend Hektar des Marschlands Esteros del Ibera erworben, wie Shane Romig für Associated Press (9.6.2007) berichtete.

In einem Interview mit AP stellte der 64jährige Tompkins die Entwicklung auf den Kopf. Die industrialisierte Landwirtschaft hat sich seiner Meinung nach in die ökologisch empfindliche argentinische Savanne und das Marschlands ausgedehnt, infolgedessen drohe die wichtige Bodenkrume zu verschwinden. Was Tompkins geflissentlich übersieht: Jene industrialisierte Landwirtschaft ist Voraussetzung einer globalwirtschaftlichen Entwicklung, die Firmen wie North Face und Esprit überhaupt erst zur Existenz verholfen hat. Es würde sie nicht geben, wenn nicht auch die Produktionsweisen in der Landwirtschaft eine Wandlung in Richtung Maximierung der Ausbeutung erfahren hätten.

Die modernen Hochertragssorten des Getreides, ihre maschinelle Abbaubarkeit, die regelmäßige Versorgung mit Dünger und der Schutz durch Pestizide, das alles setzt eine Infrastruktur voraus, die der entspricht, die auch von der Ernte der Baumwolle bis zur Fertigung und dem Vertrieb von Kleidung zwingend erforderlich ist. North Face und Esprit befinden sich in der gleichen Kette der Produktion, die auch den exzessiven Anbau von Getreide in Argentinien ermöglicht und somit zum beklagten Bodenverlust in der Savanne beigetragen hat.

Mit Sicherheit sieht sich Tompkins selbst als ein guter Mensch, der "das Richtige" tut und niemandem schaden will. Er behauptet sogar, daß er die von ihm erworbenen Landflächen irgendwann den Regierungen als Naturschutzgebiete überlassen werde. Das wird zwar von einigen Kritikern, die glauben, daß sich der Multimillionär lediglich einen Zugriff auf wertvolle Grundwasserspeicher sichern will, bezweifelt, aber selbst wenn man Tompkins beste Absichten unterstellte, so bliebe das, was er der Gesellschaft zurückgibt (also aus der eigenen Verfügbarkeit entläßt), nur ein Bruchteil dessen, was er zuvor aufgrund der Gesellschaftsordnung an Eigentum anhäufen durfte - also was er zuvor aufgrund seiner Beteiligung an dem Wirtschaftssystem an Mangel und Not bei anderen Menschen erzeugt hat.

Das mag abstrakt klingen, ist es aber nicht: Nach Angaben der Vereinten Nationen müssen weltweit 854 Millionen Menschen regelmäßig hungern. Von diesen sterben mehrere Dutzend Millionen jährlich, weil sie nicht genügend zu essen haben, was nicht nur, aber auch an einer mangelnden eigenen Anbaufläche liegt. Viele weitere Menschen sterben an Krankheiten, die deshalb Einzug halten konnten, weil die Menschen mangels Hunger über keine ausreichenden Abwehrkräfte verfügten. Zwei Milliarden Menschen haben keinen ausreichenden Zugang zu Wasser. Das ist kein Zufall oder Schicksal, sondern Ergebnis einer mangelgenerierenden Eigentumsordnung, von der eine kleine globale Oberschicht, zu der Tompkins gerechnet werden muß, profitiert.

Reiche Ausländer haben in den letzten 15 Jahren allein im dünn besiedelten Süden Argentiniens und Chiles 1,8 Millionen Hektar Land erworben. Neben Tompkins zählen dazu der Schauspieler Sylvester Stallone ("Rocky"), der italienische Modemacher Luciano Benetton und der US-Fernsehmogul Ted Turner. Ihnen gehören nun urtümliche Seen, Sümpfe und Bergregionen - damit sind andere ausgeschlossen.

Turner ist sogar einer der größten Privatbesitzer von Land innerhalb der USA. Ganz oben aber steht die Naturschutzorganisation Nature Conservancy. Mit dem gleichen Argument wie Tompkins wollen die Mitglieder von Nature Conservancy - unter anderem einige Hollywood-Größen - die Natur bewahren, die Ausbreitung der Industriealisierung verhindern, das Klima schützen, die Artenvielfalt retten. Das alles besitzt einen extrem hohen moralischen Wert, und kaum jemand macht auf die oben erläuterte systembedingte Voraussetzung des Naturschutzes aufmerksam.

Von den Einwohnern Chiles und Argentiniens wird der Landerwerb Tompkins' unterschiedlich aufgenommen. Wobei tendenziell zu beobachten ist, daß jene, die nie auch nur in die Nähe jener verkauften Landflächen gekommen sind, den Erwerb eher positiv wahrnehmen, wohingegen die Anwohner der Regionen, die teilweise davon abgehalten werden, alteingesessene Wege zu benutzen und somit an ihrem gewohnten Nutzungsverhalten der Gebiete gehindert werden, auf die schleichende Invasion reicher Privatiers aus den USA schimpfen.

Luis D'Elia, im vergangenen Jahr noch Mitglied des argentinischen Kabinetts, hat sich gegen den Landbesitz von Einzelpersonen - zumal ausländischen - ausgesprochen und davor gewarnt, daß Tompkins die Kontrolle über künftig knappe Ressourcen wie Wasser erlangen könnte. Er wirft dem Multimillionär vor, daß er eine öffentliche Provinzstraße auf seinem Land gesperrt habe, was der einzige Zugang der Einwohner zu diesem Gebiet gewesen sei. Dies wird auch von dem sozial engagierten katholischen Priester Jose Luis Niella angeprangert. Es sei nicht rechtens, daß Tompkins sich nur um den Schutz der Umwelt sorge. Viele arme Menschen könnten jetzt nicht mehr in die Gebiete fahren, in denen ihre Vorfahren seit Generationen frei gelebt hätten.

Die in Argentinien erworbenen Feuchtgebiete sind im bescheidenen Maß für den Ökotourismus geöffnet. Der Multimillionär ließ zu diesem Zweck drei Ranches renovieren. Tompkins' Conservation Land Trust hat dort kürzlich den ersten Ameisenbär ausgesetzt und möchte auch wieder Otter und selbst Jaguare ansiedeln. Doch mindestens ebenso interessant wie das, was an der Erdoberfläche geschieht, dürfte für den Multimillionär das sein, was man nicht sieht, weil es als ungeheuer wertvolle Ressource im Untergrund schlummert. Tompkins' Land liegt auf dem Guarani-Aquifer, einem der größten Süßwasserreservoire Südamerikas, das sich im Untergrund von Argentinien bis hinauf nach Paraguay erstreckt.

Inzwischen hat die Provinzverwaltung von Corrientes, in der die von Tompkins erworbenen Feuchtgebiete liegen, die gesetzlichen Bestimmungen geändert, um zu verhindern, daß weiterhin Ausländer Land kaufen, das als strategische Ressource Argentiniens ausgewiesen ist. Tompkins ließ in einer E-Mail-Stellungnahme seines Pressebüros mitteilen, daß solche Gesetzesveränderungen verfassungswidrig seien und man deshalb erwäge, Klage zu erheben.

Sowohl die Opposition in Chile als auch in Argentinien hat bislang vergeblich versucht, daß Tompkins enteignet wird oder daß zumindest Obergrenzen für den Landerwerb verhängt werden. Die argentinische Regierung war jedoch dem Interesse des reichen Amerikaners von Anfang an entgegengekommen. Ende der neunziger Jahre, als die Regierung in einer schweren Wirtschaftskrise steckte und dringend Devisen benötigte, hatte sie ihn zu verschiedenen ökologisch wertvollen Gebieten geflogen. Seit 1998 hat er seinen Landbesitz von zunächst 48.000 Hektar Schritt für Schritt auf inzwischen fast 240.000 Hektar erweitert, und er besitzt nun in Chile und Argentinien zusammen mehr als 400.000 Hektar wertvollen Lands.

Von dieser Form des Naturschutzes haben die Slumbewohner Santiagos oder Buenos Aires nichts. Die Luft, die sie atmen, bleibt stickig und gesundheitsgefährdend - ob irgendwelche Millionäre Geschäfte in Sachen Naturschutz machen oder nicht. Tompkins und andere Landbesitzer wollen ihren Reichtum mit einem grünen Mäntelchen verkleiden. Das wird ihnen nur gelingen, solange die Systemfrage ungestellt bleibt, die ihnen diese privilegierte Position, sich als Naturschützer geben zu können, zugespielt hat.

11. Juni 2007