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RESSOURCEN/082: Teure Nahrung - OECD gegen Biodieselförderung (SB)


Lebensmittel werden knapp

OECD warnt vor Folgen der Subventionen für Biotreibstoff


Wenn auf der ganzen Welt von heute auf morgen kein Essen mehr auf den Tisch käme, setzte ein Hauen und Stechen um die letzten Nahrungsreserven ein. Jeder Versuch seitens der Staaten, dies mittels ihrer Polizei- und Militärapparate zu verhindern, scheiterte unvermeidlich an der Wucht, mit der Menschen, deren Mägen leer sind und nach Nahrung schreien, ihre existentielle Not zu lindern trachteten. Das würde keine staatliche Ordnung überdauern.

Was aber geschähe, wenn sich der Nahrungsmangel schleichend, Schritt für Schritt, ausbreitete? Dann bestünde die Chance, den Mangel so geschickt zu verwalten, daß die vorherrschende, notgenerierende Administration als vermeintlich unverzichtbare Instanz unangetastet bliebe. Und wer sollte über diese Möglichkeit besser Bescheid wissen, als die administrativen Vertreter selbst?

In diesem Zusammenhang ist eine aktuelle Meldung von Bedeutung: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat in einem internen Arbeitspapier, das am Dienstag auf dem Treffen von Ministern und Vertretern der Mitgliedsländer zu nachhaltiger Entwicklung in Paris vorgelegt wurde, vor der Subventionierung von Biodiesel gewarnt. Die staatlichen Zuschüsse für die Biodieselherstellung führten zu rasant steigenden Lebensmittelpreisen, gefährdeten die natürlichen Lebensräume und seien unwirtschaftlich.

Die Kriterien "Wirtschaftlichkeit" und "Gefährdung der natürlichen Lebensräume" sind zwar wichtig, aber letztlich der Konsequenzen einer Verteuerung der Nahrung nachgeordnet. Eine noch genauere Beschreibung für "steigende Lebensmittelpreise" lautet, daß Lebensmittel knapper werden. Die Folgen dieses Trends liegen auf der Hand: Immer mehr Menschen werden hungern.

Die OECD mit ihren 29 Mitgliedern, die allesamt als Industriestaaten gelten, ist Bestandteil jener globaladministrativen Strukturen, deren Bestand durch allzu starke Unwuchten, wie sie beispielsweise eine weltweite Hungerkrise auslösen könnte, gefährdet ist. Es besteht somit der begründete Verdacht, daß mit der Warnung vor Biodiesel-Subventionen vermieden werden soll, daß es zu dem eingangs angeführten Bild des schlagartigen Nahrungsmangels kommt.

Angesichts der Brisanz der Möglichkeit einer weltweiten Hungerausbreitung muß festgestellt werden, daß kaum über den gegenwärtig weltweit rapide wachsenden Nahrungsmangel berichtet wird. Die Weltmarktpreise für Weizen sind binnen eines Jahres um 85 Prozent gestiegen. Aus China wird eine erhebliche Verteuerung der Lebensmittel gemeldet, und deutsche Verbraucher spüren es im Geldbeutel, daß Molkereiprodukte um bis zu 50 Prozent teurer geworden sind und sich der landesweit größte Discounter eigenen Angaben zufolge gezwungen sah, einen erheblichen Teil seiner Lebensmittel empfindlich zu verteuern.

Es stimmt, was in dem OECD-Gutachten gesagt wird, nämlich daß die Subventionierung von Biodiesel dazu geführt hat, daß Mais, Weizen, Raps und andere landwirtschaftlichen Produkte nicht mehr zu Viehfutter oder Nahrung verarbeitet werden, sondern statt dessen an Raffinerien und Destillierbetrieben gewandert sind, und Landwirte aufgrund der Subventionen vor allem auf Mais umgesattelt haben. Insofern ist die OECD-Warnung vollkommen berechtigt. Dennoch verharmlost sie das Problem.

Auch ohne Biospritsubventionen steht die Menschheit vor dem Problem des Nahrungsmangels. Nach UN-Angaben haben 854 Millionen Menschen nicht genügend zu essen. Dieser Mangel bestand bereits zu einer Zeit, als es noch keine staatlichen Zuschüsse für Biosprit gab. Somit kommt man nicht umhin festzustellen, daß das Nahrungsproblem der Menschheit älter und noch sehr viel größer ist, als daß es lediglich mit einem Abschalten der Förderung von Biodiesel gelöst werden könnte.

Allen Klimasimulationen zufolge wird die Diskrepanz zwischen der wachsenden Weltbevölkerung und der schwindenden landwirtschaftlichen Fläche in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zunehmen. Wenn der globale Meeresspiegel aufgrund der allgemeinen Erderwärmung steigt, gehen fruchtbare Agrarflächen verloren. Viele Böden sind bereits heute ausgelaugt, ihre Qualität nimmt weltweit ab, auch wenn (oder gerade weil) immer mehr Dünger eingesetzt wird. Einer Ausweitung der vorhandenen landwirtschaftlichen Fläche sind natürliche Grenzen gesetzt. Unter anderem deshalb warnt die OECD, daß ökologisch wertvolle Waldbestände und Feuchtgebiete dem Anbau von Pflanzen für die Biodieselproduktion weichen werden.

Forscher der Universität von Leeds haben vor einiger Zeit ausgerechnet, daß ein zehnprozentiger Ersatz von Benzin und Diesel durch Biokraftstoffe 38 Prozent der Landwirtschaftsfläche Europas und 43 Prozent der Landwirtschaftsfläche der USA in Anspruch nehmen würde.

Wie der Name "Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung" bereits sagt, hat sich diese Institution die wirtschaftliche Entwicklung auf die Fahne geschrieben. Dabei ist die marktwirtschaftliche Entwicklung gemeint. Mit dieser Funktion ist die OECD kein unwichtiger Bestandteil der Globaladministration. Und wenn die Organisation bereits zum jetzigen Zeitpunkt, da die Biospritproduktion gerade erst angelaufen ist und, gemessen an den Plänen der USA und EU, noch gar nicht auf Hochtouren läuft, davor warnt, daß die Subventionierung der mit Lebensmittel konkurrierenden Pflanzen für Biosprit die Nahrung verteuere, so verdeutlicht es das Ausmaß der nicht mehr zu vermeidenden und in den kommenden Wochen und Monaten sich abzeichnenden Not.

Nirgends sind Hinweise zu erkennen, daß der Anstieg der Getreide- und Lebensmittelpreise gestoppt würde. Deshalb könnte die aktuelle Entwicklung zur Folge haben, daß wichtige Grundnahrungsmittel in einem Jahr um ein Mehrfaches teurer sein werden als heute. Das betrifft nicht nur die sogenannten Entwicklungsländer wie Simbabwe, in dem die Inflationsrate teils um einen vierstelligen Prozentsatz gestiegen ist, sondern auch für Exportweltmeister Deutschland, die Militärmacht Nummer eins USA, das wirtschaftliche boomende Reich der Mitte China, das von seiner einstigen Weltmacht träumende Rußland und viele andere mehr.

"Der derzeitige Vorstoß, die Nutzung von Biokraftstoff auszuweiten, führt zu unhaltbaren Spannungen, die die Märkte stören werden, ohne dass bedeutende Vorteile für die Umwelt geschaffen werden", zitiert die "Financial Times Deutschland" (12.9.2007) aus dem OECD-Papier. Daran wird deutlich, daß die OECD nicht zur Beendigung des Mangels aufruft, sondern zu seiner Administrierung. Es wird nicht davor gewarnt, daß Menschen verhungern, damit andere Menschen weiter ihre Autos fahren können - Autofahren verstanden als Sinnbild für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit -, sondern es wird vor dem möglichen Kontrollverlust gewarnt, der eine zu rasche Entwicklung der Not mit sich bringen könnte.

12. September 2007