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RESSOURCEN/094: Artenschutz ade - neuer Gesetzentwurf der US-Regierung (SB)


Kurzfristige Profitinteressen versus Artenschutz

US-Regierung will bei Bauprojekten auf wissenschaftliche Beratung hinsichtlich der Gefährdung von Tier- und Pflanzenarten verzichten


Gegner des Artenschutzes bringen manchmal Argumente vor wie, daß es sie wirklich nicht kümmert, wenn die Eisbären aussterben, weil den Tieren im Zuge der Erderwärmung die Eisschollen unter den Tatzen wegschmelzen und sie nicht mehr Jagd auf Robben machen können. Das ist eine ziemlich einfältige Vorstellung, denn in ihr wird nicht berücksichtigt, daß Artenschutz den Schutz des Menschen einschließt. Der gegenwärtige, rasante Schwund an Tier- und Pflanzenarten birgt einige Gefahren auch für die Menschheit. Es kann zu Entwicklungen kommen, die ihrer Natur nach unvorhersehbar sind, aber daß sie eintreten, davon sollte besser ausgegangen werden.

Ein offensichtliches und für jedermann nachvollziehbares Beispiel, auf das sich die Notwendigkeit des Artenschutzes jedoch keinesfalls beschränkt, betrifft den Verlust ganze Völker von Bienen, die gemeinsam mit Vögeln, Fledermäusen und anderen Bestäubern unter den Insekten eine wichtige Funktion bei der Vermehrung von Pflanzen erfüllen. Die ohnehin ungenügende Nahrungsproduktion des Menschen würde ohne diese Bestäuber massive Einbrüche erleben; etwa 30 Prozent des Anbaus von Pflanzen, die für die Ernährung genutzt werden, sind auf diese Form der Vermehrung angewiesen.

Ohne auf natur-verklärende Konzepte zurückgreifen zu müssen, die den gnadenlosen Freß- und Verdrängungscharakter der Tier- und Pflanzenwelt zu harmonisieren trachten, bleibt festzustellen, daß Artenschutz auch für die Spezies Mensch zur Überlebensfrage gerät. Vielleicht wird sich ausgerechnet der räuberische Eisbär, zu dem auch die Knut-verliebten Berliner Zoobesucher aus gutem Grund einen Sicherheitsabstand wahren, innerhalb eines noch viel zu wenig verstandenen ökologischen Beziehungsgeflechts im nachhinein, also nach dem Aussterben, als die "Honigbiene" erweisen, die erforderlich war, einen bedeutenden Teil der menschlichen Nahrung sicherzustellen.

Die republikanische Regierung von US-Präsident George W. Bush will davon offensichtlich nichts wissen. Sie verfolgt sehr kurzfristige Interessen, wie an dem Anfang der Woche vorgelegten Gesetzentwurf erkennbar ist, in dem das bestehende Artenschutzgesetz (Endangered Species Act) drastisch gelockert werden soll.

Teile des Artenschutzgesetzes sind vom Aussterben bedroht, schrieb die Nachrichtenagentur Associated Press [1] am Dienstag über die jüngste aus einer langen Reihe von Maßnahmen der US-Administration zur Auflösung von Umwelt- und Klimaschutzbestimmungen. Künftig soll es den einzelnen Bundesbehörden vollständig überlassen bleiben, ob sie glauben, daß Autobahnen, Staudämme, Minen und andere Bauvorhaben Tier- und Pflanzenarten gefährden oder nicht.

Dem neuen Gesetzentwurf zufolge soll für solche Vorhaben nicht mehr die Zustimmung des Kongresses eingeholt werden. Dadurch werden Expertisen unabhängiger Regierungswissenschaftler, die seit 35 Jahren die US-Administration beraten, wegfallen. US-Innenminister Dirk Kempthorne behauptet, daß die Veränderungen notwendig geworden sind, damit das Artenschutzgesetz nicht als "Hintertür" benutzt wird, um den Ausstoß von Treibhausgasen, die für die globale Erwärmung verantwortlich gemacht werden, zu begrenzen.

Damit spielte der Minister auf die Eisbären an, die im Mai dieses Jahres auf die Liste der bedrohten Tierarten gesetzt wurden, weil ihr Bestand aufgrund des Klimawandels, respektive des Ausstoßes anthropogener Treibhausgase, gefährdet ist. Eisbären sind die erste Spezies, die aufgrund der klimatischen Entwicklung als bedroht eingestuft werden. Die Bundesbehörden sollen jedoch nicht verpflichtet werden, die Treibhausgasemissionen von Projekten zu berechnen, nur weil sie zur Erderwärmung beitragen und somit Einfluß auf Arten und Habitate haben. Man müsse seine Anstrengungen darauf konzentrieren, wo man das meiste erreichen könne, sagte Kempthorne im typischen Jargon eines Politikers. Es sei wichtig, Zeit und Ressourcen auf den Schutz der gefährdetsten Arten zu verwenden. Es sei "nicht möglich", eine Verbindung zwischen Treibhausgasemissionen und weit entfernten Beobachtungen zu ihrem Einfluß auf die Arten zu ziehen.

Was der Minister als "nicht möglich" bezeichnet, ist eine andere Formulierung für "wir haben kein Interesse". Selbstverständlich können solche Verbindungen gezogen werden, es würde allerdings bedeuten, daß der gesellschaftliche Stellenwert des Artenschutzes nach oben rückte und - welch frevelhafte Vorstellung - den kurzfristigen und kurzsichtigen Profitinteressen beispielsweise der Erdölwirtschaft vorangestellt würde.

Sollte die Regierung den Gesetzentwurf durchbringen, wäre dies die tiefgreifendste Veränderung des Artenschutzgesetzes seit 1986, schrieb AP, und die konservativen Republikaner hätten erreicht, was ihnen bislang im Kongreß nicht gelungen sei, nämlich den Kosten verursachenden, zu Verzögerungen führenden Umwelt-Evaluationen ein Ende zu bereiten.

Der Vorsitzende des House Natural Resources Committee, der demokratische Abgeordnete Nick Rahal aus West-Virginia, zeigte sich "zutiefst besorgt" über die Veränderungen in dem Gesetzentwurf. Damit werde den Bundesbehörden ein inakzeptabel großer Ermessensspielraum hinsichtlich der Einhaltung des Artenschutzgesetzes zugestanden, erklärte er.

Nicht nur inhaltlich, auch die Art und Weise, wie der Gesetzentwurf zustande kam, zeigt die Absicht der US-Administration. Ausgearbeitet vom Innen- und vom Handelsministerium, bekamen die Wissenschaftler dieser beiden Institutionen den Entwurf vergangene Woche zum ersten Mal zu Gesicht.

Wenn man bedenkt, daß Regierungsexperten in den USA bislang jedes Jahr bei Zehntausenden von Bewertungen hinsichtlich des Naturschutzes zu Rate gezogen wurden, läßt sich das gewaltige Ausmaß erahnen, das die Neuerung bringen könnte, wenn jede Bundesbehörde für sich beschließen darf, ob ein Bauprojekt im Einklang mit dem Artenschutzgesetz steht oder nicht. Darüber hinaus sieht der Entwurf einen maximalen Aufschub von 60 Tagen vor, sollte eine Behörde den Rat von Naturschutzexperten einholen. Falls man sich bis dahin nicht einig ist, darf das Projekt fortgeführt werden.

Es hat den Anschein, als wolle die Bush-Regierung in den letzten Monaten vor den Wahlen noch ein Gesetz erlassen, das den Schutz von Habitaten aufhebt und damit letztlich den Erholungs- und Lebensraum der Bevölkerung weiter verschlechtert. Damit setzen die Republikaner eine Politik fort, die es dem Establishment ermöglicht, sich exquisite, "naturbelassene" Gebiete zu kaufen und sich dort niederzulassen, während die Bevölkerungsmehrheit von der Nutzung ausgeschlossen wird. Hierbei handelt es sich sicherlich um kein anderes Kalkül als eines, das zutage tritt, wenn eine Regierung den Befehl erteilt, andere Länder zu überfallen, ganze Regionen zu verwüsten und auf unabsehbare Zeit aufgrund des Beschusses mit uranhaltiger Munition unbewohnbar zu machen. Der Schutz der Arten ist zugleich ein Schutz jenes Menschen, der nicht zu Lasten der eigenen Art seine Vorteile zu sichern versucht.


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Anmerkungen:

[1] http://ap.google.com/article/ALeqM5hXBV9U9SBb_hysHw0UpNdHvcmx4gD92GCKR80

13. August 2008