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RESSOURCEN/102: Biosprit oder Biomasse-Verstromung? (SB)


Kritische Betrachtung einer neuen Studie im Wissenschaftsmagazin "Science"

Biomasse-Verstromung angeblich energieeffizienter und
klimafreundlicher als Biosprit-Produktion

US-Forscher liefern Green New Deal weitere Munition


Wie können die gegenwärtigen Produktionsverhältnisse und Verwertungsbedingungen nicht nur in eine neue Zeit hinübergerettet, sondern sogar qualifiziert werden, in der ihr seit über 100 Jahren wichtigster Schmierstoff, das Erdöl, nicht mehr preisgünstig zur Verfügung steht? Diese Frage glauben die Anhänger einer globalen staatlich/nicht-staatlichen öko-keynesianischen Bewegung, die einen Green New Deal propagieren, beantworten zu können. Auch die neue Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika schwenkt auf diesen Kurs ein. Das Energieproblem soll vor allem durch die Förderung Erneuerbarer Energien und durch Energieeinsparungen in Angriff genommen werden. So hat die US-Regierung eine Biofuel Interagency Working Group einberufen, die neue Bestimmungen und Forschungen zum Einsatz von Biosprit überprüfen und bewerten soll.

Nach wie vor hält die Regierung von Präsident Barack Obama an dem Ziel fest, den Biospritanteil am Treibstoffverbrauch bis zum Jahr 2020 auf 36 Milliarden Gallonen (gut 136 Milliarden Liter) pro Jahr zu erhöhen. Zu diesem Zweck wurden fast 800 Milliarden Dollar für die Forschungsförderung zugesagt. Eine hohe Summe für die Unterstützung von Energieformen, die von der Vorgängerregierung regelmäßig schlecht gemacht wurden, auch wenn sie ihr "Öko-Image" längst abgelegt und sich zu einem nennenswerten Wirtschaftszweig gewandelt haben. Mit Energie aus Sonne, Wind und Biomasse wird prinzipiell nicht anders ausbeuterisch gewirtschaftet als mit Kohle, Erdöl und Uran. Die Produktionsbedingungen unterscheiden sich weniger, als es dem oberflächlichen Blick erscheinen mag. Auf einen kurzen Nenner gebracht: Das Abschöpfen des Mehrwerts kennt keine Ausnahme innerhalb des marktwirtschaftlichen Akkumulationsregimes.

Vor diesem Hintergrund verdient eine neue Studie, in der US-Forscher einen Effizienz- und Klimaschutzvergleich zwischen Ethanol als Treibstoff für Verbrennungsmotoren und Biomasse-Verstromung für den Antrieb von Elektroautos aufgestellt haben, Aufmerksamkeit. Nicht, weil sich die Methoden und Schlußfolgerungen der Autoren durch ihre bestechende Plausibilität auszeichneten, sondern weil damit ein typisches Beispiel für Umwelttechnologien, wie sie im Green New Deal propagiert werden, geliefert wird. Es werden Lösungen angeboten oder, wie in diesem Fall, wenigstens in Aussicht gestellt, bei denen wesentliche Voraussetzungen und Folgen des menschlichen Zusammenlebens, die zu der globalen Wirtschafts-, Energie- und Klimakrise geführt haben, ausgeblendet werden. Man kann diese drei Krisen (und weitere, die hinzugerechnet werden könnten) als eine einzige Dauerkrise beschreiben. Sie reicht nicht nur bis in eine Zeit zurück, als es den Begriff Kapitalismus noch nicht gab, sondern noch viel weiter in die Vergangenheit, in eine Zeit, an die der Mensch keine Erinnerung mehr besitzt und die als den Beginn der Feuer-Rad-Entwicklung bezeichnet werden kann.

Im Wissenschaftsmagazin "Science" schrieben J. E. Campbell und D. B. Lobell von der Universität von Kalifornien in Merced sowie C. B. Field von der Stanford-Universität in Kalifornien, daß, da die Landfläche für den Anbau von Biospritpflanzen begrenzt sei, wenn dadurch nicht die Lebensmittelpreise und die Treibhausgasemissionen als Folge der Bewirtschaftung erhöht werden sollen, aus der verfügbaren Fläche für die Biomasseherstellung das Maximum an Energie herausgeholt werden sollte. Den Berechnungen zufolge ist es flächenmäßig deutlich günstiger, Biomasse im Kraftwerk zu verstromen und damit Elektroautos anzutreiben, als aus der Biomasse Ethanol zu gewinnen und Autos mit Verbrennungsmotor zu versorgen.

Die Forscher haben ein Jahr lang bereits veröffentlichte Daten für Mais und Rutenhirse analysiert und verschiedene Fahrzeugklassen (Kleinwagen, SUV) ausgewertet. Die Rechnung geht wie folgt: Mit der Energie aus dem Anbau von 4000 Quadratmetern (1 acre) mit Rutenhirse könnte ein kleiner Geländewagen mit Elektromotor rund 24.000 Kilometer weit fahren, ein vergleichbares Fahrzeug mit Verbrennungsmotor höchsten 13.000 Kilometer. Die Verstromung von Biomasse ist demnach um 81 Prozent günstiger. Auch könnten durch das Elektrofahrzeug 108 Prozent mehr Kohlendioxidemissionen (vier Tonnen CO2 pro Hektar) eingespart werden. Berücksichtigt wurde sowohl der Energieverbrauch für die Herstellung der Biomasse als auch der für die Fahrzeuge.

Die Forscher räumen ein, daß sie in ihrer Bilanz nur den Flächenkonsum und die Treibhausgasemissionen untersucht haben, nicht aber zum Beispiel Wasserverbrauch, Luftverschmutzung und finanzielle Kosten. Campbell und seine Ko-Autoren verstehen ihre Arbeit deshalb nicht als abschließende Beurteilung der Frage nach der Verwertungsform von Biomasse, sondern als Diskussionsbeitrag.

Das ehrt die Forscher, soll sie aber offenbar auch vor Kritik in Schutz nehmen. Die Auslassungen in dieser Studie sind in der Tat beträchtlich. Bei einer umfassenderen Analyse müßten sämtliche energieverbrauchenden Prozesse bei der Produktion von Treibstoff, dem Verbrauch des Treibstoffs und der Bereitstellung einer Infrastruktur, die den Verbrauch des Treibstoffs ermöglicht - Zapfstellen für elektrische Energie, neue Stromnetze und Kraftwerke, etc. - bilanziert werden. Das neue System müßte parallel zur bestehenden Infrastruktur, die bereits eine flächendeckende Verteilung von Benzin (bzw. Ethanol) erlaubt, aufgebaut werden, es könnte diese nicht ersetzen. Der Aufbau einer Elektroauto-Infrastruktur wäre jedoch enorm energieaufwendig - das fehlt in der Bilanz. Es könnte also sein, daß sich das Verhältnis zwischen "Ethanol-Auto" und Elektroauto für die nächsten vermutlich zwanzig Jahre, in der landesweit Strom-Tankstellen, ein neues Leitungsnetz und neue Biomassekraftwerke gebaut werden würden, umkehrt, sollte die US-Regierung ihre Politik an die "Science"-Studie anlehnen.

In zwanzig Jahren könnte aber der nach Ansicht vieler Klimaforscher entscheidende Punkt erreicht sein, an dem der Mensch so viele Treibhausgasemissionen in die Atmosphäre entlassen hat, daß der Schwellenwert einer Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur um zwei Grad verglichen mit der Zeit vor der industriellen Revolution erreicht oder sogar überschritten wird. Selbst wenn man die in die Vergleichsstudie eingeflossenen Werte zugrundelegt, könnten bei einem Umstellen der Gesellschaft auf Elektroautos bis über den entscheidenden Schwellenwert hinaus mehr Treibhausgase produziert werden. Das würde zu einer Entwicklung beitragen, die man angeblich zu verhindern angetreten war. Unstrittig ist, daß es ein großes Versprechen gibt, daß das kapitalistische Wirtschaftssystem durch Investitionen in "grüne" Technologien aus der Krise geführt werden.

Die Studienautoren halten sich mit politischen Vorschlägen zurück und erheben auch nicht den Anspruch, eine ausreichend fundierte Arbeit für konkrete Handlungsanweisungen an die Politik erstellt zu haben. Sie machen sogar auf Probleme aufmerksam, die sich aus der Massenherstellung von Batterien mit ihren giftigen Inhaltsstoffen ergeben könnten. Dennoch bleibt festzustellen, daß hier eine Vergleichsstudie zwischen zwei Energieverwertungsformen vorgestellt wurde, die, wohlwollend formuliert, nur Teilaspekte in Rechnung stellt, weniger wohlwollend formuliert, mangelhaft ist.

Im Rahmen des Green New Deal kommen derzeit zahllose ähnlich orientierte Studien, Berechnungen und Vorschläge auf. Deren gemeinsamer Nenner besteht in einem reformistischen, systemstabilisierenden Ansatz. Anders wäre es beispielsweise, wenn die Autoren, bevor sie mit ihrer Arbeit zum Einläuten des nächsten Akkumulationszyklus beitragen, ihrem eigenen Anspruch getreu, Fragen zu stellen, die bislang nicht gestellt wurden, das System an sich hinterfragten. Kapitalismus (und Staatskapitalismus) bilden die Spitze einer menschheitsgeschichtlichen Entwicklung, in der Energie nie anders als Exergie verstanden wurde: Ein Baum wird verbrannt, damit es der Mensch warm hat; ein Acker mit Mais oder Rutenhirse wird unter beträchtlichem Energieverbrauch geerntet, um die Biomasse unter Beteiligung verschiedenster exergetischer Vorgänge zu gewinnen, um letztlich wiederum verbrannt zu werden (im Kraftwerk oder im Motor). Das gewährleistet eine Mobilität, die unter den herrschenden Produktions- und Reproduktionsbedingungen unverzichtbar ist.

Der interessensbedingt begrenzte menschliche Erfindungsgeist, nämlich Dinge ausschließlich über Verbrennung, Verbrauch und Vernichtung in Bewegung setzen zu wollen, entspricht exakt dem sozialen Verhältnis der vergesellschafteten Menschen untereinander. Das sichert den Fortbestand der Herrschaft des Menschen über den Menschen. Einen anderen Umgang mit der Mit- und Um-Welt als den der Vernutzung kann sich der Mensch nicht einmal vorstellen.

Wer verfiele nicht augenblicklich in die Beschwörung des gesunden Menschenverstands, wenn er sich auch nur als bloßes Gedankenspiel vorstellen soll, daß ein Baum, der nicht verbrannt wird, mehr Energie enthält, als einer, der zerlegt, in den Ofen geschoben und verfeuert wird? (Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Damit soll nicht den Baum-Umarmern das Wort geredet werden.) Und doch: Nur weil der Mensch irgendwann einen anderen Weg eingeschlagen und sich mit der Antwort zufrieden gegeben hat, daß ihm der umgelegte und verbrannte Baum von Nutzen ist, bedeutet das nicht, daß deshalb andere Formen des Umgangs ausgeschlossen sind. Das hat insofern etwas mit der "Science"-Studie zu tun, als daß die Forscher ihre eigenen Rechenvoraussetzungen nicht in Frage stellen und eine - wie sie selber eingestehen - ungenügende Arbeit vorlegen, die jedoch auf ihre Weise zum Eindruck beiträgt, der Green New Deal habe das Potential, die Wirtschafts-, Energie- und Klimakrise zu lösen.

Übrigens wurde die Studie aus einem 100-Millionen-Dollar-Etat finanziert, den der Ölkonzern ExxonMobil an die Universität Stanford vergeben hat, wie "Zeit Online" meldet. [2] Das Unternehmen lehne Treibstoffe aus landwirtschaftlichen Produkten ab. Haben die Autoren also ein Gefälligkeitsgutachten geschrieben? Diese Absicht kann und soll ihnen nicht unterstellt werden. Es fällt lediglich auf, daß sie ihre Bilanz nicht bis in einen Bereich hinein ausgedehnt haben, bei dem zum Beispiel vorhandene Infrastrukturen gegen noch zu bauende verrechnet werden. Das kann nicht als Lappalie abgetan werden, steht doch die Studie vor dem Hintergrund der Frage, welche Energiepolitik die US-Regierung einschlagen soll. Angenommen, die USA stellten sich auf Biomasse-Verstromung um und wären in zwei Jahrzehnten so weit, daß flächendeckend Elektroautos fahren könnten - was dann? Die vermeintliche Lösung wäre keine, der Umbau der Gesellschaft käme zu spät. Abgesehen davon wäre zu fragen, ob auch nur ein einziger Hektar landwirtschaftliche Fläche "frei" für die Biomasseverwertung sein kann, solange irgendein Mensch in der Welt Hunger leidet.

Die Frage nach der Zukunft nicht nur der US-Gesellschaft muß viel grundlegender gestellt werden, damit die Chance nicht verspielt wird, unterhalb des von der Wissenschaft angenommenen Schwellenwerts einer Erderwärmung um zwei Grad zu bleiben. Vielleicht muß die Frage sogar so grundlegend gestellt, wie wir es weiter oben angedeutet haben. Der Green New Deal, dem wir die US-Studie zugerechnet haben, dürfte ähnliche gesellschaftliche Verhältnisse wie der New Deal aus der Roosevelt-Ära, auf die die Bezeichnung Bezug nimmt, herausbilden. Der New Deal hatte allerdings die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß sich die kapitalistische Variante des Neoliberalismus global weitgehend durchsetzen konnte. Wohin führt der Green New Deal, wenn nicht ebenfalls in höhere Formen der Verwertung und Vernutzung menschlicher Arbeitskraft?


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Anmerkungen:

[1] J. E. Campbell, D. B. Lobell, C. B. Field: "Greater Transportation Energy and GHG Offsets from Bioelectricity Than Ethanol", published online May 7, 2009. Science DOI: 10.1126/science.1168885

[2] "Biomasse für Elektroautos", Zeit Online, 8. Mai 2009
http://www.zeit.de/online/2009/20/elektro-auto

11. Mai 2009