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RESSOURCEN/119: Deepwater Horizon - Ökokatastrophe auch durch ihre Bekämpfung (SB)


Ölkatastrophe im Golf von Mexiko

Bekämpfungsmaßnahmen der Ölkatastrophe sind ebenfalls umweltschädlich


Wer kennt das nicht: Man will einen Fleck auf der Jacke wegmachen, und der wird immer größer, je mehr man ihn reibt und behandelt. Um mehrere Dimensionen größer geschieht dies gegenwärtig im Golf von Mexiko, wo seit Wochen täglich schätzungsweise 800.000 Liter Erdöl aus dem Bohrloch der Ölplattform "Deepwater Horizon" hervorquellen. Versuche, das Leck zu schließen, den Ölteppich einzudämmen, das Öl abzubrennen oder es chemisch aufzulösen, sind entweder gescheitert oder haben den "Fleck" noch vergrößert, also eher Umweltschäden erzeugt als behoben.

Am 20. April hatte es auf der Bohrplattform eine schwere Explosion gegeben, bei der vermutlich elf Arbeiter ihr Leben verloren; zwei Tage darauf sank die Insel. Der Ölteppich hat inzwischen eine Größe von 20.000 Quadratkilometern angenommen und bedroht die Küste der vier US-Bundesstaaten Florida, Louisiana, Mississippi und Alabama, in denen der Notstand ausgerufen wurde.

Der für die Katastrophe hauptverantwortliche Mineralölkonzern BP hatte zwischenzeitlich versucht, einen Teil des Ölteppichs abzutrennen und zu verbrennen, weil, so die Vorstellung, das weniger umweltschädlich sei. Da sich das zähe Erdöl nicht so leicht entzünden kann, wurden bei dem Test Brandbeschleuniger verwendet. Eine riesige tiefschwarze Qualmwolke, die sich vom Versuchsfeld in den Himmel wand, war das sichtbare Zeichen des Scheiterns dieses Versuchs, einen schweren Schaden durch einen vermeintlich weniger schweren Schaden zu beheben.

Inzwischen wurde das kleinste von insgesamt drei Ölaustrittstellen am Meeresgrund geschlossen, das größte soll mit einer Stahlglocke verschlossen werden. In der 100 Tonnen schweren, pyramidenförmigen Glocke soll sich das Öl sammeln und durch einen Schlauch nach oben abgeleitet und in einen Tanker gepumpt werden. Damit das ganze System nicht verklumpt, ist vorgesehen, das Erdöl zu erwärmen und ihm zur Verdünnung Methanol beizufügen.

Weniger spektakulär als der Glockeneinsatz, aber von weitreichender ökologischer Bedeutung: Es wurden bereits große Mengen an chemischen Dispersionsmitteln ausgebracht. Durch die Chemikalie soll das Erdöl bis auf feine Tröpfchen zerlegt werden, so daß es auf den Meeresgrund sinken oder auch leichter von Bakterien verdaut und unschädlich gemacht werden kann.

Laut der britischen Zeitung "The Guardian" [1] hat BP bereits 637.000 Liter, das sind ein Drittel der Weltvorräte, dieses Chemiecocktails im Golf von Mexiko eingesetzt und schafft nun weitere Mengen heran. Das Dispersionsmittel Corexit 9500 ist seinerseits nicht harmlos. Welche ökologischen Schäden schwerer wiegen, die aufgrund der Ölverseuchung oder die aufgrund der Ölverseuchung plus ihrer -bekämpfung, steht noch gar nicht fest. Die Dispersionsmittel lösen womöglich genetische Mutationen und Krebs aus, spekuliert der "Guardian". Nun seien die Delphine und Wale, die bereits in dem Ölteppich gesehen wurden, sowie die Meeresschildkröten, der Thunfisch und andere Meeresbewohner einer doppelten Vergiftungsgefahr ausgesetzt.

Erstmals wurde bei einer Ölbekämpfungsmaßnahme Dispersionsmittel direkt ins Bohrloch gepumpt. Inzwischen dürfte es mit der Strömung zu weiter entfernten Meeresregionen verfrachtet worden sein. "Man versucht, das Ausmaß der Verseuchung mit einem Dispersionsmittel zu verringern, doch der Preis, den man dafür bezahlt, besteht in zunehmender Giftigkeit", warnte Richard Charter, wissenschaftlicher Berater der Umweltorganisation Defenders of Wildlife, in dem "Guardian"-Bericht.

Die Nalco Holding Company, Hersteller von Corexit 9500, behauptet, daß die Substanz kaum giftig und biologisch abbaubar ist. [2] Diese Einschätzung wird keineswegs von allen Experten einschränkungslos geteilt. Anita George-Ares und James R. Clark bestätigen zwar, daß Corexit (9500, 9527 und 9580) eine niedrige bis moderate Toxizität aufweist, aber ein längerer Test habe relevantere Daten hinsichtlich der Folgewirkungen auf Meeresbewohner geliefert, berichten sie. Insbesondere hinsichtlich der Entwicklung von Jungtieren hegen die Forscher schwere Bedenken. [3]

Bei der Einschätzung der Umweltschäden durch Dispersionsmittel sollte eines grundsätzlich bedacht werden: Die aufzulösende Masse, das Rohöl, verschwindet nicht, nur weil es chemisch behandelt wurde. Alles, was passiert, ist, daß die klebrige Masse zerlegt wird und sich aufgrund der elektrochemischen Eigenschaften der einzelnen Öl-Wasser-Dispersionsmittel-Tröpfchen nicht wieder verbindet, während die Partikel allmählich zum Meeresgrund absinken. Ein nicht zu unterschätzender Effekt beim Einsatz von Dispersionsmitteln besteht somit darin, den Eindruck zu erzeugen, daß, nur weil sich der Ölteppich aufgelöst hat, auch keine Umweltgefahr mehr besteht. Tatsächlich verlängert man mit dieser Methode die Katastrophe, denn ein Ölteppich läßt sich gegebenenfalls mechanisch abschöpfen, mit den feinen Ölpartikeln geht das nicht. Ihr Einfluß auf die marine Flora und Fauna ist von längerer Dauer.

Selbstverständlich hat die US-Küstenwache, die bereits Behandlungen mit Corexit durchgeführt hat, abzuwägen, ob sie möchte, daß die klebrige Ölmasse die Küste erreicht und dort die Ökosysteme zerstört, oder ob sie nicht besser versuchen sollte, die Verseuchungsgefahr mit Hilfe von Dispersionsmitteln abzuwenden. Dadurch würde die Umweltkatastrophe aufs Meer, unter die Wasseroberfläche, verschoben. Für Frederic Hauge, Präsident der Umweltorganisation Bellona, besteht die Hauptsorge ganz klar darin, daß der Ölteppich von den Marsch- und Mündungsgebieten, dem Hauptbrutgebiet für Seevögel und andere Tierarten, abgehalten wird. [4]

Sollte der Ölteppich größere Küstenabschnitte erreichen, so wächst die Gefahr von Gesundheitsschäden für die Bevölkerung, die bereits jetzt das Öl und anscheinend auch das Dispersionsmittel riechen kann. Die feinen Tröpfchen aus Öl, Wasser und Dispersionsmittel verteilen sich in der Luft und werden eingeatmet, gelangen in die Augen oder setzen sich auf der Haut ab. Entsprechende Reizungen von Augen und Haut wären allerdings noch harmlose Folgen. Das Einatmen der Tröpfchen kann zu Atemwegs- und Lungenproblemen sowie im Extremfall zu Schädigungen von Leber und Nieren führen. Deswegen empfiehlt die Firma Exxon, die (unfreiwillig) reichlich Erfahrung mit Dispersionsmitteln sammeln durfte, daß bei der Anwendung rundum Schutzkleidung getragen wird, daß betroffene Hautstellen sofort abgewaschen werden und daß das Mittel nicht gegen den Wind ausgebracht wird. [5]

Corexit, das nach Möglichkeit innerhalb von ein, zwei Tagen, nachdem das Öl an die Wasseroberfläche gelangt ist, eingesetzt werden sollte, zerlegt das Erdöl. Das klingt harmlos. Aber ausgerechnet damit wird die Giftigkeit von Erdöl verstärkt! Bei der Dispersion nimmt laut Bellona nicht nur die Verteilung und Bewegung der Ölpartikel zu, gleiches gilt auch für die wasserlöslichen und flüchtigen aromatischen Bestandteile des Öls, die jedoch toxisch sind. Die Umweltorganisation beruft sich auf ein Informationsblatt, das ihr von dem Meeresbiologen und Ölexperten Richard Charter zugesandt wurde.

Des weiteren berichtete die Organisation, daß sie bislang noch nicht in Erfahrung bringen konnte, ob das kürzlich von Norwegen in die USA verschickte Dispersionsmittel aus der Corexit-Familie den Bestandteil 2-BE bzw. 2-butoxyethanol enthält oder nicht. Diese Chemikalie hat sich als besonders schädlich für Mensch und Tier erwiesen. Laut Bellona wird Corexit 9500 mit Kopfschmerzen, Erbrechen und Problemen bei der Reproduktivität assoziiert, sofern jemand einer höheren Konzentration ausgesetzt wurde, beispielsweise eine Reinigungskraft. 2-BE jedoch kann nach Bellona-Angaben zur Verringerung der Zahl der roten Blutkörperchen, zu Blut in Urin und Stuhl sowie zu Schäden an Nieren, Leber, Milz und Knochenmark führen. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangte auch eine Fachpublikation der OECD und SIDS (Small Island Developing States), die von der UNEP veröffentlicht wurde. [6]

Welche konkreten Folgen die Corexit-Behandlung des Ölteppichs auf die Meeresumwelt hat, läßt sich nach Ansicht von Charles Henry, wissenschaftlicher Koordinator der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA), nicht sagen. Auf einer Pressekonferenz erklärte er: "Die Analysen laufen noch, zur Zeit gibt es noch keinen Konsens. Wir stehen noch ganz am Anfang. Sie können sich vorstellen, daß wir über so etwas niemals nachgedacht haben." [7]

Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Tatsächlich läßt sich schwer vorstellen, daß sich ausgerechnet eine für die Ozeane und Atmosphäre zuständige Behörde noch KEINE Gedanken über eine solche Katastrophe in der Tiefsee vor der US-Küste gemacht haben soll. Falls aber doch, wie verschiedentlich von den Medien kolportiert, so besteht genau darin ein ungeheures Versäumnis. Das wäre so, als würde sich eine nukleare Sicherheitsbehörde keinen Super-GAU vorstellen können. Ganz anders verhielte es sich, wenn Henry erklärt hätte, daß man sich solch eine Katastrophe nicht habe vorstellen WOLLEN. Dann wäre daran deutlich geworden, daß nicht allein BP Verantwortung für die Katastrophe trägt, sondern auch die US-Administration, die das Bohren nach Öl vor der Küste erlaubt hat und sich vor dieser Entscheidung bei Wissenschaftlern, wie sie bei der NOAA arbeiten, über die Risiken informiert haben dürfte.

Der Bogen der Verantwortlichkeitsbeteiligung müßte sogar noch weiter gespannt werden - ohne daß damit BP aus der Pflicht der Schadensbehebung entlassen werden soll! Eine Gesellschaft, die so sehr dem Konsumismus huldigt wie die US-amerikanische und sich zur Aufrechterhaltung und globalen Durchsetzung dieses Lebensstils einen Militärapparat leistet, der über mehr Geld verfügt als die Militärapparate aller anderen Nationen zusammengenommen und der innerhalb eines Jahres so viel Treibstoff verbraucht wie ganz Schweden, ist für die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko mitverantwortlich.

Die vorübergehende Aussetzung der Erlaubnis durch die US-Regierung, offshore vor der eigenen Küste nach Öl zu bohren, und auch ein entsprechender Sinneswandel beim kalifornischen Gouverneur Arnold Schwarzenegger, findet bei der Bevölkerung erwartungsgemäß Zustimmung. Was aber bedeutet das für andere Weltregionen? Es bedeutet, daß sich statistisch gesehen vermehrt dort die Umweltkatastrophen ereignen; beispielsweise im Offshore-Bereich von Angola oder Nigeria oder auch in arktischen Regionen, die Jahr für Jahr zugänglicher werden und nicht nur bei den USA große Begehrlichkeiten geweckt haben.

Selbstverständlich wäre es zu begrüßen, wenn die US-Regierung nicht mehr offshore nach Erdöl bohren läßt. Durch ein Verbot würde jedoch das Problem auf andere Weltregionen umgelastet, solange der eigene Verbrauch aufrechterhalten wird. Unter den Entscheidungsträgern in den Vereinigten Staaten wird jedoch keine Debatte darüber geführt, daß solche Katastrophen eine faktisch unvermeidliche Begleiterscheinung des eigenen Lebensstils sind, und schon gar nicht werden die eigenen Privilegien hinterfragt. Somit bleibt zu resümieren: Die nächste Ölkatastrophe wird nicht lange auf sich warten lassen, wo auch immer sie auftritt.


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Anmerkungen:

[1] "Dispersant 'may make Deepwater Horizon oil spill more toxic'", The Guardian, 5. Mai 2010
http://www.guardian.co.uk/environment/2010/may/05/dispersant-deepwater-horizon-oil-toxic

[2] Beschreibung zu COREXIT ® 9500 (EC9500A) Oil Spill Dispersant. Online abgerufen am 7. Mai 2010
http://www.nalco.com/

[3] "Acute Aquatic Toxicity of Three Corexit Products: An Overview", Anita George-Ares und James R. Clark, Exxon Biomedical Sciences
www.iosc.org/papers/00020.pdf

[4] "Chemical dispersants seem to be keeping oil from Gulf shore, but results may range from simply cosmetic to very toxic". Online abgerufen am 7. Mai 2010
http://www.bellona.org/articles/articles_2010/chem_dispersants_work_at_cost

[5] "DISPERSANT BASICS. Mechanism, Chemistry, and Physics of Dispersants in Oil Spill Response. Presentation to NRC Committee", Jim Clark, ExxonMobil Research and Engineering, 15. März 2004
http://www.uni-regensburg.de/

[6] SIDS Initial Assessment Report for 6th SIAM, Paris, 9. - 11. Juni 1997, Chemical Name: 2-Butoxyethanol, CAS No.: 111-76-2
http://www.inchem.org/documents/sids/sids/111762.pdf

[7] "Toxic Oil Dispersant Used in Gulf Despite Better Alternative", Brandon Keim, 5. Mai 2010
http://www.wired.com/wiredscience/tag/corexit/

7. Mai 2010