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RESSOURCEN/135: Land-Grabbing unter dem Deckmantel des Naturerhalts und der Ökosystemforschung? (SB)


Sind die Wissenschaftler von heute Wegbereiter eines
Neo-Kolonialismus?

Jeffrey Sachs und andere Forscher wollen ein permanentes, globales Überwachungs-Netzwerk für Agrarflächen und Ökosystemen einrichten


Irrtümlicherweise werden Ökonomie und Ökologie als Gegensatz angesehen, da Wirtschaftsunternehmen profitorientiert arbeiten, indem sie Nachteile meiden und Vorteile anstreben. Da kommt dem Erhalt der Natur solange keine Bedeutung zu, wie das Unternehmen nicht für die von ihm angerichteten Schäden aufkommen muß oder umgekehrt nicht für die Schonung der Ressourcen belohnt wird. Ökonomie und Ökologie haben jedoch viel gemeinsam, was sich bereits von ihrer Wortherkunft her erschließt. Unter Ökonomie verstanden die alten Griechen die "Verwaltung des Haushalts", mit Ökologie ist die "Lehre vom Haushalt" gemeint. In beiden Fällen besteht die Tätigkeit im Haushalten, was eine Ähnlichkeit der Methoden nahelegt. Das kausalgestützte Zählen , Abmessen, Einordnen, Vergleichen, Kategorisieren und Modelle-Bilden in der Ökologie findet sich in ähnlicher Form in der Ökonomie wieder. Es wundert also nicht, daß ausgerechnet der Harvard-Ökonom, Weltbankberater und Apologet der mit massiver Verarmung einhergehenden "Schocktherapie" (blitzschnelle Privatisierung) Jeffrey Sachs heute als Direktor des Earth Institute an der Columbia University in ökologischen Belangen um die Welt jettet.

Sachs treibt schon seit längerem der Wunsch um, weltweit landwirtschaftliche Flächen, aber auch verschiedenartige Ökosysteme zu erfassen und zu überwachen. Aus diesem Anlaß traf sich Ende September eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern, Stiftungsvertretern und Konzernmitarbeitern an der Columbia Universität in New York City und hat über das Aufstellen eines "global agricultural monitoring network", ein weltweites landwirtschaftliches Beobachtungsnetzwerk, diskutiert. Das Wissenschaftsmagazin "Nature" [1] zitiert Gastgeber Sachs mit den Worten: "Wir wollen die Ökosysteme und die Menschen, die in ihnen leben, verstehen."

Das gilt womöglich auch umgekehrt, zumindest wenn jene Menschen, deren Wohl den Ökologen angeblich am Herzen liegt, davon erführen, daß Wissenschaftler aus den Metropolen des Nordens sich Gedanken über den Wert ihres angestammten Lebensraums machen. Ob aber Anajé aus dem brasilianischen Regenwald oder Ayele aus dem äthiopischen Hochland das gleiche Interesse hegen wie Sachs und seine Kollegen, ist insofern fraglich, als daß letztere ein Verwaltungs- und Verfügungsinteresse, erstere wahrscheinlich ein Verteidigungsinteresse ihrer Kultur und Lebensweise gegenüber jedweden fremdnützigen Zugriff haben werden.

Von jeher waren Forschungsreisende - neben Abenteurern, Jägern, Fallenstellern und Missionaren - Wegbereiter kolonialzeitlicher Eroberungen. Der Entdeckung beispielsweise von Lebensgemeinschaften im Regenwald folgte das Markieren ihres Jagd -, Sammel- und Siedlungsgebiets auf Karten, die Erforschung ihrer Kultur und selbstverständlich auch der besitzeinnehmende Blick auf den Naturreichtum ihres gesamten Lebensraums (Gold, Kautschuk, potentielles Agrarland, etc.). Die zumeist blutige und opferreiche Geschichte der Eroberung Nord- und Südamerikas, Afrikas, Australiens, Teilen Asiens sowie der pazifischen Inselstaaten lehrt, daß es nicht beim Blick blieb ...

Da stellt sich die Frage, welche Absicht die Forschungsreisenden von heute verfolgen. Was bezwecken Sachs und Co. mit dem Aufstellen ihres "global agricultural monitoring network"? Unterscheidet sich ihr Anliegen von dem ihrer Berufskollegen in zurückliegenden Jahrhunderten? Oder werden die Zugriffsformen heutzutage nur etwas mehr verschleiert als in früherer Zeit, als der Daumenabdruck eines Indigenen den Tausch von ein paar Perlen und bunten Tüchern gegen eine riesige Landfläche besiegelte?

Die Ökologin Sandy Andelman von der US-amerikanischen Umweltschutzgruppe Conservation International stellte auf dem Treffen an der Columbia Universität ihr Pilotprojekt aus dem südlichen Tansania vor. Dort hat sie in einem bestimmten Gebiet eine Bestandsaufnahme der Böden, Nährstoffe, Landbedeckung und Bewirtschaftungsformen durchgeführt. Außerdem hat sie Daten über Faktoren wie Einkommen, Gesundheit und Ausbildung der Einwohner erfaßt - eine Art Volkszählung sozusagen -, damit sie nun in der Lage ist, genaue Angaben bis hinunter zu individuellen Haushalten zu machen. Die tansanische Regierung habe auf dieser Grundlage prompt Veränderungen bei der Ausweisung von landwirtschaftlicher Fläche in jener Region getroffen, sagte Andelman vermutlich mit einiger Zufriedenheit darüber, daß ihre Arbeit einen konkreten Nutzen abwirft. Für alles in allem nur zwölf Millionen Dollar jährlich könnten ähnliche Systeme in ganz Afrika, Asien und Südamerika aufgestellt werden, meinte die Naturschützerin.

Worin aber genau die Veränderungen bestanden, die die tansanische Regierung vorgenommen hat, erfahren wir nicht. Verschiedene Maßnahmen sind vorstellbar: Vielleicht hat die Regierung erkannt, daß ein bereits für die Verpachtung an ausländische Investoren vorgesehenes Stück Land traditionell von der lokalen Bevölkerung genutzt wird und deshalb aus dem Programm der Landvergabe herausgenommen werden sollte. Andererseits könnte die Regierung auch auf einen besonders nährstoffhaltigen Boden aufmerksam geworden sein und jenes Gebiet als zukünftiges Agrarland für finanzstarke Hedge Fonds ausgewiesen haben. Das Erfassen von Ökosystemdaten sagt also noch nichts darüber aus, wie ein Gebiet später genutzt wird, und kann das Land-Grabbing verhindern oder fördern.

Abgesehen davon kann ein Projekt, das dem Erhalt der Biodiversität gilt, ebenfalls zu einer Form des Land-Grabbings werden. Dafür ist ausgerechnet Tansania ein gutes Beispiel, denn dort sind rund 40 Prozent des Staatsgebiets irgendeiner Form des ökoadministrativen Naturerhalts unterworfen. Das betrifft auch Gebiete, die traditionell von der Landbevölkerung für den Wanderfeldbau, die Weidehaltung oder das Sammeln von Feuerholz oder Früchten genutzt wird, wie in dem Report "Conservation and Land-Grabbing in Tanzania" festgestellt wurde. Da der 30seitige, aufschlußreiche Entwurf auf Wunsch der Autoren nicht zur Zitation genommen werden sollte, wollen wir ihn hier nur in allgemeiner Form zwecks Problematisierung des Naturerhalts aus vermeintlich guten Absichten erwähnen. [2]

Die Landbevölkerung Tansanias hat demnach gute Gründe, nicht nur Unternehmen, sondern auch Naturschutzorganisationen gegenüber eine gesunde Skepsis walten zu lassen. Zumal Conservation International weder die Partnerschaft mit Regierungen noch mit Konzernen oder großen Stiftungen scheut, die ihre Budgets wiederum aus der Wirtschaft beziehen oder bezogen haben.

An der Konferenz an der Columbia Universität nahmen auch einige Vertreter finanzstarker Stiftungen teil. Diese zeigten sich laut "Nature" [1] ziemlich "begeistert" über Andelmans Tätigkeit. Beispielsweise hat die John D. and Catherine T. MacArthur Foundation aus Chicago, Illinois, der Naturschützerin die Finanzierung eines zweiten Ökosystemstandorts in Ruanda zugesagt; die Bill and Melinda Gates Foundation aus Seattle, Washington, kündigte an, in den nächsten Monaten über die Einrichtung von drei weiteren Standorten in Afrika zu entscheiden, und die Gordon and Betty Moore Foundation aus Palo Alto, Kalifornien, erwägt die Finanzierung von drei neuen Überwachungsgebieten, die im nächsten Jahr in Südamerika installiert werden sollen.

Als Vertreter einer weiteren gesellschaftlichen Gruppe, der Wirtschaft, nahm Robert ter Kuile, der beim Getränkekonzern PepsiCo für Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen zuständige Direktor, teil. Er glaubt, daß das globale Netzwerk der Industrie "wertvolle Informationen" liefern kann. PepsiCo (das in einer Stadt mit dem bedeutungsvollen Namen Purchase ansässig ist) suche laufend nach Daten, um seine Versorgung mit Mais, Kartoffeln, Orangen und Hafer einzuschätzen. Auch für die Wasserversorgung und Bodenverhältnisse sowie das Einkommen und der Gebrauch von Agrochemikalien auf der individuellen Ebene der Bauern interessiert sich das Unternehmen. Ob aber die Bauern mit einer solchen Abschätzung ihres Umfelds einverstanden sind?

Der Ökonom und Ökologe Sachs möchte die Industrie stärker in das globale Netzwerk einbinden und auch auf bestehende Standorte zurückgreifen. So könnte seiner Einschätzung nach innerhalb von zwei, drei Jahren das Netzwerk auf rund 500 Standorte ausgedehnt werden. "Wir müssen die Dinge beschleunigen", wendet er sich gegen Bedenkenträger und endlos lange Organisationstreffen. "Ich will darauf keine zehn Jahre verschwenden." [1]

In der US-Regierung treffen Sachs, Andelman und all die anderen, die von einem globalen Netzwerk an permanent überwachten Ökosystemen träumen, inzwischen auf offene Ohren. Nach zehn Jahren Anlaufzeit wird in den Vereinigten Staaten das Netzwerk NEON (National Ecological Observatory Network) aufgebaut, das aus 20 festen Beobachtungsstandorten, die unterschiedliche Ökosysteme repräsentieren, sowie befristeten Einrichtungen besteht. [3]

Es soll mindestens 30 Jahre unterhalten werden und sieht die Einrichtung von bewohnten Forschungsstationen vor. Wissenschaftlicher Projektleiter David Schimel preist NEON als Forschersmaßnahme, die sich darum bemüht, "die Biologie eines ganzen Kontinents und nicht eines spezifischen Ortes" zu erfassen. An dem von dem Unternehmen NEON Inc. betriebenen, aber auch von der amerikanischen National Science Foundation (NSF) mit 434 Mio. Dollar über den Verlauf von zehn Jahren finanzierten Vorhaben sind 140 Personen, davon rund 60 Wissenschaftler und Ingenieure, beteiligt. Die Auswertung der aus 15.000 Sensoren für fast 500 verschiedene Meßkategorien gewonnenen Daten bildet "eine riesige Herausforderung", erklärte Andelman. [3]

Theoretisch kann das jahrzehntelange Erfassen verschiedenster ökologischer Daten in einem globalen Netzwerk die gegenwärtig laufende Verwertung des Naturhaushalts durch eine wachstumsgetriebene Wirtschaft ausbremsen oder gar umkehren. Da jedoch die Inbesitznahme der bis dahin noch nicht in Wert gesetzten Naturbestandteile (Boden, Wasser, Pflanzen, Tiere) in der Vergangenheit immer mit ihrem Zählen, Bemessen, mithin Erfassen und Ausgrenzen einherging, wird jenes Netzwerk den noch im Aufbau begriffenen und wahrscheinlich mit den multiplen Krisen (Mangel an Energie, Nahrung, Wasser, Ackerflächen, strategischen Rohstoffen) zu begründenden globaladministrativen Institutionen dazu dienen, ihre Verfügungsgewalt weiter auszudehnen.


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Fußnoten:

[1] "Scientists push for agricultural monitoring", Nature online, 30. September 2011, doi:10.1038/news.2011.566
http://www.nature.com/news/2011/110930/full/news.2011.566.html?WT.ec_id=NEWS-20111004

[2] "Conservation and Land Grabbing in Tanzania", von Tor A. Benjaminsen, Ian Bryceson, Faustin Maganga, Tonje Refseth. Das Papier wurden auf der International Conference on Global Land Grabbing vom 6. bis 8. April 2011 präsentiert.
http://www.future-agricultures.org/index.php?option=com_docman&task=doc_download&gid=1297&Itemid=971

[3] "US launches eco-network", Nature 476, 135 (2011), 9. August 2011, doi:10 .1038/476135a
http://www.nature.com/news/2011/110809/full/476135a.html

19. Oktober 2011