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RESSOURCEN/153: Fracking - Radionuklide im Natur-Idyll Pennsylvanias (SB)


US-Studie zur Verschmutzung des Blacklick Creek durch Fracking

Radiumbelastung übersteigt zulässige Grenzwerte für Trinkwasser



Verglichen mit den gewaltigen Mengen an Radionukliden, die in Folge der dreifachen Kernschmelze im havarierten japanischen Atomkraftwerk Fukushima Daiichi in den Pazifik gelangt sind und fortlaufend eingebracht werden, ist die Freisetzung radioaktiver Partikel aus der unkonventionellen Gasförderung nahezu unbedeutend. Aber eben nur "nahezu", eine Kontamination von Luft, Boden und vor allem Wasser findet nachweislich statt und weitet sich laufend aus.

Beim Fördern von Erdgas aus unkonventionellen Quellen wird das Gestein (in der Regel Schiefer- oder Sandstein) regelrecht aufgebrochen, so daß der darin auf viele Poren und Einschlüsse verteilt vorliegende fossile Energieträger zusammenströmen kann. Die eingesetzte Methode nennt sich Fracking (von engl. to frack = "aufbrechen"). Dabei wird zunächst ein Loch bis in die erdgashaltige Gesteinsschicht gebohrt und dann horizontal weitergeführt. Anschließend wird Wasser, das mit Chemikalien und Sand versetzt ist, in das Bohrloch gepumpt und unter so hohen Druck gesetzt, daß das Gestein aufbricht. Manchmal wird das Gestein zuvor zusätzlich mittels einer Perforationskanone durchlässiger gemacht. Vor dem eigentlichen Beginn der Gasförderung wird noch das chemikalienversetzte Produktionswasser wieder hinaufgepumpt, wobei in der Regel ein beträchtlicher Teil zurückbleibt.

Radionuklide sind natürlicherseits nur in bestimmten geologischen Schichten enthalten, was bedeutet, daß die Gasförderung nicht zwingend die Umwelt mit Strahlenpartikeln belasten muß, sofern das Ausgangsgestein frei von Uran und anderen natürlichen radioaktiven Elementen ist. Wo sie aber mit dem Produktionswasser an die Oberfläche gebracht werden und in die Umwelt wandern, können sie sich zu gesundheitlich bedenklichen Mengen akkumulieren.

So berichteten kürzlich US-Forscher der Duke University's Nicholas School of the Environment in Boston über ihre Untersuchungsergebnisse der Chemikalienverschmutzung des Blacklick Creek in Indiana County, Bundesstaat Pennsylvania. [1] In Sedimentproben, die zwischen August 2010 und November 2012 bis zu eineinhalb Kilometer flußabwärts der Einleitungen aus der Josephine Brine Treatment Facility, einer Trinkwasseraufbereitungsanlage, die große Mengen Produktionswasser aus der Öl- und Gasgewinnung der geologischen Marcellus-Formation verarbeitet, aus dem Flußbett entnommen wurden, wiesen die Forscher neben einer relativ starken Konzentration an Salzen auch eine auffällig hohe Radiumbelastung nach. Die lag um das 200fache über der Belastung mit Radium in Proben von Entnahmestellen 300 Meter flußaufwärts der Einleitungsstelle. Einzelheiten der Studie wurden Anfang Oktober 2013 im Journal "Environmental Science and Technology" veröffentlicht. [2]

Die Marcellus-Formation, die ausgiebig "gefrackt" wird, ist bekannt für ihren relativ hohen Anteil an radioaktiven Partikeln. Vergleichsweise stark belastet ist deshalb auch das Produktionswasser. Avner Vengosh, Professor für Geochemie und Wasserqualität an der Duke University, berichtete, daß die Aufbereitungsanlage sogar erhebliche Mengen, mehr als 90 Prozent, an Radioaktivität abfängt. Dennoch lagen die radioaktiven Belastungswerte in der Nähe der als "gereinigt" entlassenen Einleitungen in einer Konzentration vor, für deren Handhabung die Betreiber einer Aufbereitungsanlage normalerweise eine spezielle Lizenz benötigen. So habe die jahrelange Behandlung von Abwasser aus der Erdöl- und Erdgasgewinnung mit einem hohen Radioaktivitätsgehalt ein potentielles Umweltrisiko für Tausende von Jahren erzeugt, berichtete Vengosh.

In einigen US-Bundesstaaten hat die Erdgas- und Erdölindustrie auf die von der Öffentlichkeit vorgetragenen Bedenken reagiert und den Anteil an Produktionswasser, der erneut zum Fracking verwendet wird, erhöht. In Pennsylvania wird beispielsweise 70 Prozent des Produktionswasser wiederverwendet, berichteten die Forscher der Duke University. Dadurch wird zwar der Verbrauch an Trinkwasser gesenkt, aber gleichzeitig die Gefahr eher noch verstärkt, daß durch eine Aufkonzentration von umwelttoxischen Substanzen bestimmte Schadstoffgrenzwerte überschritten werden.

Problematisch ist insbesondere die Praxis, Produktionswasser in die alten Bohrlöcher zurückzupumpen. Dadurch wird das Risiko einer Kontamination des Trinkwassers erhöht, denn obgleich die beim Fracking durchstoßenen grundwasserführenden Schichten mittels einer röhrenförmigen Betoneinfassung des Bohrlochs geschützt werden sollen, kann es in Folge einer ungenügenden Verarbeitung, durch Erdbeben oder aufgrund der Verwitterung des Betons über einen längeren Zeitraum hinweg zu Lecks kommen. Die umwelttoxische Belastung hat sogar zugenommen, weil die Fracking-Unternehmen auf diesem Wege ihren Giftmüll verschwinden lassen. Ein geringerer Trinkwasserverbrauch wird offenbar mit einer höheren Belastung des Produktionswassers erkauft.

Das Isotop Radium-226, das eine Halbwertszeit von 1600 Jahren hat und dessen Konzentration bei früheren Ermittlungen in der Josephine-Aufbereitungsanlage entdeckt wurde, lag im Innern des Einleitungsrohrs um das 44fache über dem Grenzwert für Trinkwasser. Die US-Umweltbehörde (Environment Protection Agency - EPA) hat im Zusammenhang mit Umweltverschmutzungen durch Produktionswasser aus der Erdöl- und Erdgasindustrie im Mai dieses Jahres gegen den Eigner der Anlage, Fluid Recovery Services, LLC, eine Strafe in Höhe von 83.000 US-Dollar verhängt. Das Unternehmen hat angekündigt, diese und zwei weitere Anlagen mit einer Investition von 30 Mio. Dollar nachzurüsten. [3]

Auch wenn bisher von keiner akuten Gesundheitsgefahr durch die Akkumulation von Radionukliden des Blacklick Creek die Rede war, kann man nicht erwarten, daß sämtliche, durch die Aufbereitungsanlage gewanderten Radionuklide frühzeitig sedimentiert wurden. Manche können auch von Tieren und Pflanzen aufgenommen worden oder aber vom Blacklick Creek weiter in den Conemaugh River und von da in den Allegheny River, aus dem die Bewohner Pittsburghs und anderer Städte Pennsylvanias ihr Trinkwasser beziehen, geflossen sein.

In einer weiteren aktuellen Studie mit dem Titel "Fracking by the Numbers", die einen Überblick über die Menge an Giftstoffen liefert, die beim Fracking in den Vereinigten Staaten produziert werden, schreibt das Autorengespann Elizabeth Ridlington von der Frontier Group und John Rumpler vom Environment America Research & Policy Center: "Unsere Analyse zeigt, daß die Schäden durch Fracking weit verbreitet sind und ein Ausmaß erreicht haben, das man sich vor wenigen Jahren noch nicht vorgestellt hat." [4]

Die Erfahrungen über Folgeschäden des Frackings in den USA sind insofern für Deutschland, in dem bisher kaum gefrackt wurde, interessant, als daß es Bestrebungen seitens der Regierung gibt, die Förderung von unkonventionellem Erdgas zuzulassen. Bisher ist das politisch nicht durchsetzbar, weil die Menschen mehrheitlich gegen Fracking sind und deswegen auch im Bundesrat keine Einigung über einen gemeinsam vom Wirtschafts- und Umweltministerium vorgelegten Entwurf für ein neues "Fracking-Gesetz" erzielt werden konnte. Damit sind die Pläne noch lange nicht vom Tisch, zumal auch aus Brüssel Druck auf die Mitgliedsländer der Europäischen Union ausgeübt und eine europaweite Freigabe des Frackings gefordert wird. So hat sich EU-Energiekommissar Günther Oettinger, der bereits die deutsche Energiewende "torpediert", wiederholt dafür ausgesprochen, daß sich Deutschland die Option zum Fracking offen halten sollte.

Ein weiterer Hebel, mit dem diese umstrittene Fördermethode, bei der Umweltprobleme - abgesehen von einer möglichen radioaktiven Belastung - beispielsweise sowohl aufgrund des verwendeten Chemikalien-Cocktails und seiner Entsorgung als auch aufgrund von Methanverunreinigung des Grundwasser entstehen können, in Deutschland durchgesetzt werden könnte, bildet die Transatlantische Handels- und Investment-Partnerschaft zwischen der EU und den USA (Transatlantic Trade and Investment Partnership - TTIP). Die Verhandlungen darüber wurden zwar wegen des Government Shutdowns (Stillegung der Regierung) der USA vorübergehend ausgesetzt, wurden aber bisher mit erheblichem Tempo vorangetrieben, ganz so, als solle der öffentliche Widerstand gegen das Vorhaben nicht genügend Zeit erhalten, sich zu mobilisieren.

Die für die Forscher überraschend hohe Konzentration an Radionukliden in Sedimenten des Blacklick Creek reiht sich in eine lange Geschichte von Umweltverschmutzungen ein, die mit jedem Tag fortgeschrieben wird. Auch wenn der Einzelfall manchmal nicht spektakulär erscheint oder wieder behoben wird, so zeigt sich in der Summe das enorme Gefahrenpotential durch Fracking. Davon betroffen wären auch Regionen Deutschlands wie Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen, sollte in ihnen eines Tages unkonventionelles Erdgas gefördert werden. Die Vorstellung, die Methode sei "sicher", da der Gesetzgeber Schäden an Mensch und Umwelt verhindert, erweist sich beim Fracking genauso als Irrtum wie bei der Nukleartechnologie, bei deren Einführung ähnlich unhaltbare Versprechungen seitens der Politik und Wirtschaft gemacht wurden.


Fußnoten:

[1] http://www.nicholas.duke.edu/news/radioactive-shale-gas-contaminants-found-at-wastewater-discharge-site

[2] "Impacts of Shale Gas Wastewater Disposal on Water Quality in Western Pennsylvania", Nathaniel R. Warner, Cidney A. Christie, Robert B. Jackson, Avner Vengosh. Environmental Science & Technology, 3. Oktober 2013, DOI: 10.1021/es402165b

[3] http://www.csmonitor.com/Environment/2013/1002/Fracking-waste-water-contaminated-Pennsylvania-streambeds-study-finds-video

[4] "Fracking by the Numbers Key Impacts of Dirty Drilling at the State and National Level", Elizabeth Ridlington (Frontier Group) und John Rumpler (Environment America Research & Policy Center)
http://www.environmentamerica.org/sites/environment/files/reports/EA_FrackingNumbers_scrn.pdf


Eine Auswahl an jüngeren Berichten der Schattenblick-Redaktion zum Thema Fracking mit ausführlichen Erläuterungen des Verfahrens in seiner gesamten Problematik finden Sie hier:

NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE

MELDUNG/007: Frackingschäden - eine Zwischenbilanz (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/ncme0007.html

UMWELTLABOR/275: Unbarmherzig, unbedacht - Fragen an das Fracking (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula275.html

UMWELTLABOR/276: Unbarmherzig, unbedacht - Folgen unausbleiblich (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula276.html

UMWELTLABOR/277: Unbarmherzig, unbedacht - Werbe- und PR-Chemie (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula277.html

UMWELTLABOR/278: Unbarmherzig, unbedacht - Frack as frack can (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula278.html



POLITIK → MEINUNGEN

LAIRE/1294: Konzernmacht - Werden Fracking-Gesetze in Deutschland gefrackt? (SB)
http://schattenblick.com/infopool/politik/meinung/pola1294.html



UMWELT → MEINUNGEN

LAIRE/226: Konzern klagt gegen Fracking-Verbot in Hessen (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/meinunge/umme-226.html



UMWELT → REDAKTION

RESSOURCEN/141: Strahlengefahr durch Fracking? (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-141.html

RESSOURCEN/142: Folgen des Frackings unerforscht - Beispiel durchlässige Bohrwände (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-142.html

RESSOURCEN/143: Hoher Wasserverbrauch bei Förderung von Schiefergas (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-143.html

RESSOURCEN/145: USA - Neue Bestimmungen zum Fracking vorgeschlagen (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-145.html

RESSOURCEN/146: EU-Administration setzt umstrittenes Fracking auf ihre Agenda (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-146.html

RESSOURCEN/149: Fracking beschwört Strahlengefahr aus der Tiefe herauf (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-149.html

RESSOURCEN/150: Bürger von Balcombe wehren sich gegen das Fracking (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/redakt/umre-150.html

RESSOURCEN/151: Fracking unverzichtbar? Britischer Premierminister konstruiert Sachzwänge (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-151.html

10. Oktober 2013