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RESSOURCEN/183: Risikotechnologie - Shell bohrt in fast drei Kilometer Meerestiefe nach Erdöl (SB)


Im Golf von Mexiko nimmt die tiefste Offshore-Bohrstelle ihre Produktion auf

Schäden der schweren Erdölkatastrophe aus dem Jahr 2010 noch nicht behoben


Die Erde erwärmt sich in beispielloser Geschwindigkeit. Monat für Monat werden Rekordtemperaturen gemeldet, auch der August hat wieder die seit 136 Jahren regelmäßig aufgezeichneten Werte deutlich übertroffen. [1] Um zu verhindern, daß die globale Durchschnittstemperatur unumkehrbar davongaloppiert, müssen die menschengemachten Treibhausgasemissionen rasch und drastisch reduziert werden, fordert die Wissenschaft. Dazu sei es erforderlich, das Verbrennen von fossilen Energieträgern wie Erdöl, Erdgas und Kohle zu beenden. Rund 80 Prozent der bekannten Ressourcen dürfen nicht gefördert werden, will man die globale Erwärmung auf einem Niveau halten, auf dem zwar - jetzt schon nicht mehr zu vermeiden - Naturkatastrophen wie Dürren und Überschwemmungen zur Tagesordnung gehören, aber wodurch zumindest nicht ganze Landstriche völlig lebensfeindlich werden. In Wissenschaft und Politik wird diese Grenze als die 2-Grad-Leitplanke bezeichnet. Damit ist gemeint, daß die Durchschnittstemperatur um nicht mehr als zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau vor 150 bis 200 Jahren steigen darf.

Es sieht nicht so aus, als werde sich die Menschheit darauf verständigen, einen Großteil der Lagerstätten an fossilen Energieträgern unangetastet zu lassen. Vor wenigen Tagen hat die Erdölgesellschaft Royal Dutch Shell die Produktion an der bislang weltweit tiefsten untermeerischen Öl- und Gasquelle aufgenommen. [2]

Das 2,9 Kilometer unter dem Meeresspiegel liegende Stones-Feld, rund 320 Kilometer südwestlich von New Orleans im Golf von Mexiko gelegen, befindet sich also ausgerechnet in einem Seegebiet, das vor sechs Jahren eine der schwersten Erdölkatastrophen der Welt erlebt hat. Noch heute sind die Spuren jenes mehrere Monate währenden Erdölaustritts aus dem havarierten Bohrloch des Macondo-Felds der Förderplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko und an den Küsten zu bemerken.

Shell hat sich zum Ziel gesetzt, bis Ende 2017 die maximale Menge von 50.000 Barrel Erdöl pro Tag aus der mehrere Kilometer tief im Meeresboden liegenden Lagerstätte, die an mehreren Stellen angebohrt wird und deren förderbare Kapazität auf ca. zwei Milliarden Barrel geschätzt wird, heraufzuholen. Über flexible Rohre soll das Erdöl zu einem Spezialtanker mit dem Kürzel FPSO (floating production, storage and offloading), der mit einer abtrennbaren Boje verbunden ist, gepumpt werden. Falls sich ein Hurrikan dem Meeresgebiet nähert, soll der Tanker die Boje, die das flexible Rohrsystem an der Meeresoberfläche hält, abtrennen und den Sturm in sicherer Entfernung abwettern. Shuttle-Tankschiffe nehmen das Erdöl von dem FPSO-Schiff auf und bringen es zu einer Raffinerie an die Küste von Louisiana. Das ebenfalls aus Stones geförderte Erdgas wird über eine Pipeline abgeführt. [3]

Vom Standpunkt des Unternehmens aus erscheint es vernünftig, weiter in die mit höheren Risiken verbundene Tiefseebohrung einzusteigen; zumal man bereits mehrere Milliarden Dollar in die Erschließung des 2005 entdeckten Stones-Felds investiert hat. Nachdem sich das Unternehmen vorläufig von seinen Plänen, in der Arktis nach Erdöl zu bohren und in Kanada Teersande abzubauen, verabschiedet hat - beides lohnt sich nicht beim gegenwärtigen, niedrigen Ölpreis -, wäre es gegenüber den Aktionären schwer zu vertreten, wenn nun auch noch die innovative Tiefseebohrung im Golf von Mexiko preisgegeben würde.

Shell macht also weiter wie bisher, als hätte es die Warnung der Klimaforschung nie gegeben. Das Problem ist jedoch nur vordergründig ein einzelnes Unternehmen oder eine Branche, zugrunde liegt vielmehr die ökonomische Ratio, nach der die Unternehmen handeln. Solange das Wirtschaften in einer Weise organisiert wird, daß es vernünftig ist, wenn ein Unternehmen seine Umsätze erhöht, Profite erwirtschaftet und seine Konkurrenten ausschaltet, werden aus Gründen der Kostenersparnis Unfälle, bei der Menschen ums Leben kommen und große Meeresgebiete verseucht werden, unvermeidlich sein.

Für die Havarie der Förderplattform Deepwater Horizon, die elf Arbeiter das Leben kostete und bei der die Plattform zwei Tage nach dem Blowout sank, waren mehrere Faktoren wesentlich, nicht zuletzt der Druck auf das Unternehmen BP, nun endlich mit der Erkundungsbohrung zu beginnen. Denn man war schon mehrere Wochen in zeitlichem Verzug, und jeder weitere Tag kostete den Konzern rund eine Million Dollar.

Shells weltweit tiefste Bohrung unterhalb des Meeresspiegels birgt einige technische Risiken, wie Curtis Lohr, Leiter des Shell-Projekts zur Erschließung des Stones-Felds, vor drei Jahren berichtete. [4] Die Risiken fangen schon damit an, daß man noch wenig über die Eigenschaften der geologischen Schicht des Paläogens aus dem unteren Tertiär, in der die Lagerstätte eingebettet ist, weiß. Erstmals wurde 2010 aus dieser Gesteinsschicht Erdöl gefördert, ebenfalls von Shell. Auch jenes Perdido-Feld liegt im Golf von Mexiko, bei einer Meerestiefe von 2,4 Kilometern. (BP hat mit Deepwater Horizon "nur" 1,5 Kilometer unterhalb des Meeresspiegels gebohrt.)

Die Gesteinsschicht des unteren Tertiärs ist weniger porös und somit nicht so durchlässig für Erdöl, was die Fördermenge grundsätzlich begrenzt. Die Industrie hat bislang rund acht bis zwölf Prozent aus so einer Lagerstätte herausgeholt, was weniger ist, als üblicherweise etwa aus der geologischen Schicht des Miozäns genutzt wird. [5]

Man hat noch keine Erfahrungen mit Bohrungen in fast drei Kilometer Meerestiefe. Somit besteht die Notwendigkeit, neue, noch nicht unter solchen Realbedingungen getestete Technologien einzusetzen. Nun befindet sich aber der Standort in einem Meeresbecken, durch das eine starke, warme Strömung fließt. Diese Loop Current fließt einmal im Kreis im Golf von Mexiko und ein Teil des Stroms wandert in den atlantischen Golfstrom. Man kann also erwarten, daß sich bei einer Havarie austretendes Erdöl zügig über ein großes Gebiet verteilen wird.

Nachdem die Erdölindustrie die leicht erreichbaren, lukrativen Erdöllagerstätten an Land und auf dem flachen kontinentalen Schelf erkundet hat, wendet sie sich immer mehr den riskanter zu erschließenden Lagerstätten unterhalb der Tiefsee zu. Solange die Politik diesem Treiben keinen Riegel vorschiebt, ist es aus unternehmerischer Sicht vernünftig, so zu handeln. Bei der Havarie der Deepwater Horizon kam hinzu, daß die Behörden die Exploration freigegeben hatten, obgleich nicht einmal die Technologie zur Bewältigung einer Havarie vorlag. Womit nicht behauptet werden soll, daß andernfalls die Erdölförderung unproblematisch gewesen wäre.

Es sind weder die politischen Entscheidungsträger noch die Unternehmensmanager, die als erste von den Folgen eines ungebremsten Klimawandels bei fortgesetztem Verbrennen fossiler Energieträger betroffen wären. Beide Berufsgruppen haben aufgrund ihrer überdurchschnittlich hohen Einkünfte die Option, sich in klimatisch weniger gefährdete und naturräumlich komfortablere Gebiete zurückzuziehen, sich gegebenenfalls zu verschanzen und zuzusehen, wie beispielsweise flache Inseln im Pazifik untergehen, sich die Trockenheit in Ostafrika ausdehnt oder den Bewohnern der Hochgebirge das Wasser ausgeht, weil die Gletscher verschwunden sind.


Fußnoten:

[1] http://climate.nasa.gov/news/2490/nasa-analysis-finds-august-2016-another-record-month/

[2] https://www.theguardian.com/business/2016/sep/11/shell-begins-production-at-worlds-deepest-underwater-oil-field

[3] http://www.shell.com/about-us/major-projects/stones.html

[4] http://tinyurl.com/z7fozj6

[5] http://www.houstonchronicle.com/business/article/Shell-deep-Gulf-venture-comes-at-uncertain-time-6648019.php

13. September 2016


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