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RESSOURCEN/195: Der Antarktis-Vertrag ist sicher ... (SB)


40. Treffen der Konsultativstaaten des Antarktisvertrags


Welche Absichten verfolgt ein Staat, wenn er vorschlägt, man müsse bei der Nutzung eines bislang unberührten Gebiets ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Ökonomie und Ökologie wahren? Beabsichtigt dieser Staat, auf den Abbau von Rohstoffen vollkommen zu verzichten? Das ist nicht zu erwarten, und so haben die Erklärungen des diesjährigen Gastgeberlandes des 40. Treffens der Konsultativstaaten des Antarktisvertrags (Antarctic Treaty Consultative Meeting, ATCM), China, ein wenig Geschmäckle.

Am Montag, zur Eröffnung des noch bis zum 1. Juni in Peking abgehaltenen Treffens von rund 400 Vertreterinnen und Vertretern aus 42 Staaten und zehn internationalen Organisationen, sagte der chinesische stellvertretende Premierminister Zhang Gaoli laut einer Meldung von Associated Press: "Es muß eine ausgewogene Balance zwischen Schutz und Nutzung der Antarktis geben, um die Umwelt intakt zu halten sowie wirtschaftliches Wachstum und kulturelle Stabilität für die Menschheit zu stärken." [1]

Der Antarktis-Vertrag sieht vor, daß auf dem eisigen Kontinent überhaupt kein Rohstoffabbau betrieben wird. Die ins Gespräch gebrachte "Balance" wäre folglich eine Vertragsverletzung. Für eine Änderung der bis 2048 geltenden Umweltschutzbestimmungen bedürfte es der Zustimmung aller Unterzeichnerstaaten. Das weiß auch die chinesische Führung, und so scheint sie mit ihrem vorsichtigen Vorstoß zunächst einmal die Stimmung unter den Delegierten ausloten zu wollen. Wohingegen es unnötig konfrontativ, das heißt, dem eigenen Nutzungsinteresse zuwiderlaufend wäre, hätte sie ihr Interesse am Bergbau auf der Antarktis, wo im Zuge der globalen Erwärmung vom Rand her eine immer größere Fläche eisfrei und somit zugänglich wird, unverhohlen zum Ausdruck gebracht.

Aber vielleicht ist ja alles nur ein Mißverständnis. Jedenfalls behauptete laut AP der stellvertretende chinesische Außenminister, Liu Zhenmin, Zhangs Stellungnahme hinsichtlich des wirtschaftlichen Wachstums habe sich auf die wachsende Zahl chinesischer Touristen in der Antarktis und Chinas Fischfangflotte in diesen Seegebieten bezogen. Sein Land verstehe den Vertrag so, daß Bergbau in der Antarktis "für alle Zeiten verboten" sei.

Ins gleiche Horn stieß Lin Shanqing, stellvertretender Leiter der Staatlichen Ozeanischen Administration. Er sagte am Montag zur Eröffnung des Treffens gegenüber der Presse, daß China als "verantwortungsbewußtes und großes Land einen Beitrag zum friedlichen Nutzen der Antarktis leisten will". Seines Wissens nach bestehen keine Pläne, Bergbau in der Antarktis zu betreiben. Zu diesem Zeitpunkt zielten Chinas Antarktis-Expeditionen und Forschungen hauptsächlich darauf, ein tieferes Verständnis von der Antarktis zu erlangen und ihre Umwelt besser zu bewahren. [2]

Formulierungen wie "seines Wissens nach" und "zu diesem Zeitpunkt" scheinen jedoch die angebliche Anerkennung eines strikten Bergbauverbots zu relativieren. China wäre mit einem weichgespülten Standpunkt nicht allein. Das Delegationsmitglied der USA, Kelly Falkner, hält es für unwahrscheinlich, daß unter den internationalen Abmachungen des 1959 geschlossenen Antarktisvertrags Bergbau betrieben wird. Auch das klingt nicht wie eine kategorische Absage, sondern ebenfalls wie ein Lavieren. Denn wer sagt, daß es bei diesem mehr als ein halbes Jahrhundert alten Vertrag bleibt?

Auch die weitere Erklärung Falkners, daß die Antarktis sehr abgelegen ist und dort die meiste Zeit des Jahres schlechtes Wetter herrscht, vermag nicht davon zu überzeugen, daß sich die USA einer auf Bergbau abzielenden Modifikation des Antarktisvertrags mit aller Macht entgegenstemmen würden. Zumal die Antarktis gar nicht so entlegen sein kann, wenn eine Jahr für Jahr wachsende Zahl von Touristen ihren Fuß auf den Boden des sechsten Kontinent setzt. Im Südsommer 2015/16 kamen immerhin 38.478 Touristen in der Antarktis (elf Prozent davon stammten aus China). [3]

Mit dem Verbot von Bergbauaktivitäten auf dem südlichen Kontinent könnte es sich so ähnlich verhalten wie mit dem Bergbau in den Meeresgebieten außerhalb der nationalen Jurisdiktion, der "Area" (Gebiet). Laut dem Internationalen Seerechtsübereinkommen (UNCLOS) liegt die Verantwortung zum Meeresbodenbergbau bei einer in Kingston, Jamaika, ansässigen Einrichtung, die gegenwärtig Lizenzen zur Erkundung (Exploration) erteilt, nicht jedoch zur Ausbeutung (Exploitation). Bislang jedenfalls nicht. Ziel ist es durchaus, eines Tages interessierten Staaten den Zugang zum "gemeinsamen Erbe der Menschheit" zu ermöglichen. Wobei bereits bei der Erkundung eine Reihe von Umweltschutzmaßnahmen ergriffen werden muß.

Gut vorstellbar, daß eines Tages für die Antarktis ähnliche Regelungen zwischen den Vertragsstaaten vereinbart werden. Dann könnte man behaupten, daß eine unabhängige Partei sehr genau auf die Wahrung der Balance zwischen Ökonomie und Ökologie achten werde. Aber das hatte der chinesische Vizepremierminister selbstverständlich nicht gemeint ...

Ob das Engagement der USA, Deutschlands, Australiens, Argentiniens, Rußlands und einer Reihe weiterer Staaten in der Antarktis allein von der tiefen Sorge um das Wohl des eisigen Kontinents und seiner tierischen und pflanzlichen Bewohner sowie von rein wissenschaftlichen Fragestellungen wie beispielsweise zum globalen Klima oder zur Ozonschicht angetrieben wird oder ob es nicht auch darum geht, sich frühzeitig zu positionieren, um Ansprüche reklamieren zu können, sollte es eines Tages zu einer rechtsverbindlichen Aufteilung der antarktischen Einflußgebiete kommen, sei dahingestellt. China jedenfalls könnte Schritt für Schritt den USA als unangefochtene Führungsnation auf der Antarktis den Rang ablaufen. Es hat dort vier Forschungsstationen aufgebaut und will noch in diesem Jahr eine Landebahn auf der Eisfläche fertigstellen. Für Anfang 2018 hat es den Bau einer fünften Forschungsstation geplant. Außerdem baut das Land zur Zeit an einem neuen Eisbrecher, der Nachfolger des "Xuelong" werden soll.

Vom diesjährigen Treffen der Unterzeichnerstaaten des Antarktisvertrags ist zwar keine neue Weichenstellung in Richtung Ausbeutung industrieller Rohstoffe in der Antarktis zu erwarten, aber es entsteht durchaus der Eindruck, als legten einige Staaten schon mal die Hand auf den Hebel ...


Fußnoten:

[1] http://hosted.ap.org/dynamic/stories/A/AS_CHINA_ANTARCTICA_ASOL-

[2] https://www.castanet.net/edition/news-story-197600-5-.htm

[3] https://chinadigitaltimes.net/2017/05/china-promises-research-no-mining-antarctica/

23. Mai 2017


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