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RESSOURCEN/199: Nachhaltige Zerstörung durch Tiefseebergbau (SB)


Ein hoher Preis für das postfossile Zeitalter


Auf der Suche nach Nahrung für den nimmersatten industriellen Freßapparat haben dessen zumeist börsennotierten Gehilfen eine Weltregion ins Visier genommen, die teilweise weniger bekannt ist als die Oberfläche des Nachbarplaneten Mars, den Tiefseeboden. Dort unten, in den lichtlosen Weiten des staatenlosen Raums, finden sich Manganknollen, Kobaltkrusten und Massivsulfide. Allesamt enthalten sie eine Vielzahl verschiedener Elemente wie Kupfer und Seltene Erden, die nicht zuletzt für Technologien der sogenannten Erneuerbaren Energien gebraucht werden.

Bergbau in der marinen Sphäre wäre jedoch alles andere als erneuerbar. Ein Meeresbodenbergbau würde unvermeidlich zu einem Verlust an Biodiversität führen, der auch durch Ausgleichsmaßnahmen nicht aufgefangen werden könnte. Das schreiben 15 Meeresforscherinnen und -forscher sowie Rechtsgelehrte in einem Brief, der am Montag im Journal "Nature Geoscience" veröffentlicht wurde. [1]

Bisher gibt es noch keinerlei Meeresbodenbergbau außerhalb der Bereiche, die der nationalen Jurisdiktion unterliegen. Die in Kingston, Jamaika, ansässige Internationale Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority; ISA) vergibt jedoch nach einem bestimmten Verfahren Flächen an einzelne Länder, die dann in dem "Gebiet" (area) das Potential des marinen Bergbau erforschen dürfen. Deutschland zum Beispiel zeigt ein großes Interesse und Engagement, um rechtzeitig beim sogenannten "Blue Mining" dabei zu sein, wenn die ISA endgültig zur Phase der Vergabe von Schürflizenzen übergeht.

Obgleich die Behörde bereits bei der Exploration eine Reihe von Umweltschutzmaßnahmen einfordert, drohen diese weitgehend Makulatur zu bleiben, sollte es eines vielleicht nicht mehr fernen Tages voll zur Sache gehen. Kristina Gjerde, bei der Weltnaturschutzunion (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources; IUCN) für das Globale Marine- und Polarprogramm im Gebiet der Hohen See zuständig, warnt: "In Anbetracht des exponentiell wachsenden Interesses am Tiefseebergbau ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, um sicherzustellen, daß eine dauerhafte Schädigung der Ökosysteme in der Tiefsee verhindert wird. Bei den neuen Bestimmungen für den Meeresbodenbergbau müssen die vollen Kosten für die Gesellschaft und die Umwelt in Rechnung gestellt werden."

Gjerde spricht sich nicht strikt gegen jede Form von Meeresbodenbergbau aus, sondern möchte erreichen, daß dessen potentiellen Folgen wissenschaftlich erforscht werden und die Gesellschaft sehr genau den Wert der Tiefseeminerale gegenüber dem dann nicht mehr abzuwendenen Verlust von Tiefsee-Ökosystemen abwägt. Einen ähnlichen Standpunkt vertrat bereits vor einigen Jahren die Tiefseeforscherin Cindy Lee van Loper, eine der Autorinnen des aktuellen Briefs, gegenüber dem Schattenblick: "Ein noch so gutes Umweltmanagement kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß durch den Bergbau Veränderungen entstehen, die natürlich einen Einfluß auf das Ökosystem haben werden. Vielleicht kann man einem massiven Schaden die Spitze nehmen, man kann die Auswirkungen reduzieren oder minimieren, aber es bleibt dennoch ein Schaden." [2]

Besonders an den hydrothermalen Quellen, den sogenannten Schwarzen Rauchern, haben sich einzigartige Biotope entwickelt. Die sind selbstverständlich extrem gefährdet, würden in Zukunft robotische Maschinen die für den Bergbau attraktiven Schlote abrasieren, diese sich einverleiben und über Schläuche zu einem Schiff an der Meeresoberfläche leiten. Darüber hinaus wäre damit zu rechnen, daß durch den Bergbau Sedimentfahnen entstehen, bei denen der schluffige Meeresboden in weit entfernte Gebiete verfrachtet wird. Außerdem verfügen die Schiffe nur über begrenzte Ladekapazitäten. Das bedeutet, daß der knappe Frachtraum nur für die wertvolle Ware genutzt wird, wohingegen Abraum und verschlammtes Meerwasser wieder über Bord gehen. Selbst wenn das unattraktive Material, wie es manche Konzepte vorsehen, ebenfalls über lange Schläuche wieder bis zum Meeresgrund geleitet würde, läßt sich ein Aufwirbeln von Sedimenten nicht verhindern.

Meeresbodenbergbau kann man sich so ähnlich vorstellen wie Braunkohletagebau an Land, nur daß nicht so exorbitant tiefgreifend geschürft würde. Selbst wenn man ein einmal abgeerntetes Lizenzgebiet anschließend in Ruhe läßt, so daß die Sedimente zu Boden sinken, wird die Region anschließend nicht die gleiche sein wie vorher. Jahrzehnte-, vielleicht sogar jahrhundertelang nicht. Neben der Bildung kilometerlanger Sedimentfahnen kommt es beim Tiefseebergbau auch zur Lärmbelästigung der ansonsten sehr stillen Regionen, zu bis dahin für deren Bewohner unbekannten Vibrationen und zur Freisetzung toxischer Substanzen.

Die Wiederherstellung durch Bergbau zerstörter Ökosysteme in der Tiefsee ist nicht realistisch, heißt es in dem Brief. Darin wird allerdings kein striktes "Nein!" zum Meeresbodenbergbau gefordert, obgleich nur ein konsequent ablehnender Standpunkt weitere Schädigungen der bereits mit Plastikteilchen und anderen Umweltschadstoffen kontaminierten Tiefsee verhindern könnte.

Womöglich werden ausgerechnet Maßnahmen zur Bewahrung des gegenwärtigen Weltklimas, wie sie mit der Transformation der fossilen auf die postfossilen Gesellschaften angestrengt werden, eine ökologische Katastrophe in der noch weitgehend unerforschten Tiefsee auslösen.


Fußnoten:

[1] https://www.iucn.org/news/secretariat/201706/deep-sea-mining-threatens-unique-marine-life-experts-warn

[2] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0052.html

28. Juni 2017


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