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RESSOURCEN/230: Erdöl - Bürger zahlt für die Folgen ... (SB)



In der kanadischen Provinz Alberta gibt es über 300.000 alte Bohrlöcher, aus denen einst Erdöl oder Erdgas gefördert worden war und die nun nicht mehr genutzt werden. Die Kosten für Umweltschutzmaßnahmen wie zum Beispiel die Beseitigung der Installationen werden auf bis zu 70 Milliarden Dollar veranschlagt. Dafür werden am Ende nicht die Unternehmen, sondern die Steuerzahlenden aufkommen. Hieran zeigt sich exemplarisch, daß die Folgekosten der Gewinnung von Energieträgern - Erdöl, Erdgas, Kohle, aber auch Uran - größtenteils externalisiert werden, wohingegen die Unternehmen davon häufig komplett freigehalten bleiben. Eine Einpreisung der Schadensbehebung würde die Energie viel teurer machen und zugleich den Verbrauch senken. Die höheren Kosten komplett sozial abzufedern wäre indessen bei entsprechendem politischen Willen überhaupt kein Problem.

Weit über die Landesgrenzen hinaus ist Alberta für die verheerenden Umweltschäden bekannt, die der Abbau von Teersanden zur Gewinnung von Erdöl auslöst. Das Fördern fossiler Energieträger hinterläßt ein Erbe, das niemand annehmen will, das aber auch nicht von sich aus verschwindet. Abgesehen von den zahlreichen Förderbrunnen und den Tagebauen gibt es in dieser kanadischen Provinz auch riesige Absetzbecken mit mehr als 1,4 Billionen Litern toxischer Ölschlämme und 400.000 Kilometern ober- und unterirdischer Pipelines. All diese Installationen und Hinterlassenschaften stellen eine permanente Gefahrenquelle für Leckagen dar. Luft, Boden und Wasser drohen nicht nur zu kontaminieren, sie werden es, und das in einem erheblichen Ausmaß. Der relative Wohlstand, den die fossile Energiewirtschaft der kanadischen Gesellschaft ermöglicht, beruht auf einer immens großen Kloake mit den giftigen Ausscheidungen der petrochemischen Industrie.

Zwar hat das Oberste Gericht Kanadas Ende Januar dieses Jahres zwei frühere Entscheidungen untergeordneter Instanzen revidiert und geurteilt, daß Energieunternehmen auch dann zur Erfüllung ihrer Umweltschutzverpflichtungen angehalten sind, wenn sie Konkurs angemeldet haben, doch ist damit das Problem noch längst nicht behoben. [1]

Am 8. April dieses Jahres hat eine Koalition von Personen, die einst in den Behörden gearbeitet haben, in der Wissenschaft tätig sind oder Land besitzen und sich alle wegen des schmutzigen Erbes der fossilen Energiewirtschaft Sorgen machen, die Gründung des Alberta Liabilities Disclosure Projects (ALDP) bekanntgegeben. Dieses hat nun unter Berufung auf offizielle Daten der Regulierungsbehörde Alberta Energy Regulator (AER) herausgefunden, daß sich die Kosten für die Beseitigung der Umweltschäden von mehr als 300.000 Erdöl- und Erdgasförderanlagen nicht auf 18,5 Milliarden Dollar belaufen, wie von der Behörde behauptet, sondern auf zwei- bis dreieinhalbmal so viel, nämlich 40 bis 70 Milliarden Dollar. Und diese Summe beträfe nur die unmittelbaren Förderanlagen. Würde man noch die Absetzbecken, Tagebaue und Pipelines hinzurechnen, wären die Kosten noch um vieles höher, heißt es. Die Provinzregierung habe bisher lediglich 200 Mio. Dollar oder 0,3 Prozent der erforderlichen Summe für Umweltmaßnahmen bereitgestellt. [2]

Obschon die Regulierungsbehörden die Aufgabe haben, die Beseitigung der Umweltschäden sicherzustellen und die Unternehmen dafür heranzuziehen, kommen sie anscheinend der Wirtschaft entgegen, indem sie das Ausmaß der Kosten herunterspielen. Außerdem bedient sich die Wirtschaft selbst einiger Tricks, um sich nach ihrem Beutezug aus der Affäre zu ziehen. Beispielsweise indem sie die Verbindlichkeiten auf immer kleinere Unternehmen überträgt, die gar nicht über die Mittel verfügen, um ihren Sanierungsverpflichtungen nachzukommen. Das gehe schon seit Jahrzehnten so, berichtete ALDP. Die Durchsetzung der Rückgewinnungsstandards werde permanent untergraben. Am Ende dürften wahrscheinlich die Steuerzahler für die Entschädigung der Grundeigentümer haften, mutmaßt die Organisation wohl nicht zu Unrecht.

Profite werden privatisiert, Schäden sozialisiert - die kanadische Provinz Alberta steht hier beispielhaft für eine Einstellung der Unternehmen letztlich nicht nur aus der fossilen Energiewirtschaft, die unvermeidlich entstehenden Hinterlassenschaften ihrer Produktion abzuschieben und anderen aufzudrücken, das heißt, die Gesellschaft dafür aufkommen zu lassen. Der Sozialismus als politisches System ist zwar verpönt und wird geradezu verteufelt, doch an dieser Stelle wird er, wenngleich in pervertierter Form, in Anspruch genommen. Das wird nicht nur von den Regierungen gedeckt, die gegebenenfalls Lücken in der Gesetzgebung lassen, oder von den Regulierungsbehörden, die an manchen Stellen beide Augen zudrücken, sondern letztlich sogar von den Wählerinnen und Wählern selbst, die regelmäßig ihre Stimme abgeben, mit dem Resultat, daß sie anschließend nichts mehr zu sagen haben.


Fußnoten:

[1] https://www.cbc.ca/news/business/supreme-court-redwater-decision-orphan-wells-1.4998995

[2] https://www.aldpcoalition.com/news

14. April 2019


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