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RESSOURCEN/242: Meeresboden - Sourcenraub und Lebensmord ... (SB)



Auch 26 Jahre nach Abschluß eines Tests zu den Umweltauswirkungen von Meeresbodenbergbau in der Tiefsee hat sich das mikrobische Leben in der damals umgepflügten obersten Sedimentschicht noch nicht wieder erholt. Das zeigt, wie lange anhaltend bereits die bekannten Folgen des Rohstoffabbaus in der Tiefsee sind. Wie schwerwiegend müssen erst die unbekannten Folgen sein, sollten Rohstoffe im industriellen Maßstab vom Tiefseeboden heraufgeholt werden?

Von 1989 bis 1997 wurde vor der Küste Perus das Experiment DISCOL (DISturbance and reCOLonization experiment of a manganese nodule area of the southeastern Pacific. Zu deutsch: Störungs- und Rekolonisierungsexperiment in einem Manganknollengebiet des südöstlichen Pazifik) durchgeführt. Federführend waren daran Hjalmar Thiel und Gerd Schriever auf dem deutschen Forschungsschiff "Sonne" beteiligt. Mit im Boot saßen die Unternehmen Deep Ocean Mining Corp. aus Japan, International Nickel Comp. Ltd. aus Kanada und die South East Drilling Corp. (USA). Es handelte sich um das erste größere Experiment zur Erforschung der Umweltfolgen durch den Abbau sogenannter Manganknollen, auch polymetallische Knollen genannt.

Diese etwa kartoffelgroßen Knollen liegen auf den Tiefseeböden unter anderem des Pazifiks und sind im Laufe von Jahrmillionen entstanden. Neben Mangan enthalten sie unter anderem Eisen, Kupfer, Nickel, Kobalt, Seltene Erden. Bei der Ernte der Manganknollen wird der Meeresboden kräftig aufgewühlt. Es entstehen Sedimentfahnen, die lange Zeit in der Schwebe bleiben und womöglich kilometerweit davongetragen werden.

Die mit den Manganknollen geförderten Tailings - Schlämme - müssen wieder ins Meer geleitet werden. Und auch wenn sie nicht einfach so über die Bordwand gekippt, sondern unterhalb der rund 1000 Meter mächtigen Meeresschicht, in dem das Zooplankton einmal pro Tag auf- und wieder absteigt, oder gar unmittelbar am mehrere Kilometer tiefen Meeresboden eingeleitet werden würden, käme es zu großräumigen Störungen einer bis dahin weitgehend unberührten Meeresumwelt. (Sieht man von den Plastikteilen ab, die sich inzwischen an den tiefsten Punkten der Meere und damit auch in den Mägen der Meeresbewohner finden lassen.)

Die Spuren des DISCOL-Experiments am Meeresboden sind bis heute nicht verschwunden. Der mikrobiologische Ökologe Tobias Vonnahme, der gegenwärtig an der Arktischen Universität von Norwegen in Tromsø tätig ist, wollte herausfinden, wie sich rund ein Vierteljahrhundert nach Abschluß der ursprünglichen Experimentierphase das mikrobische Leben entwickelt hat. Die Ergebnisse veröffentlichten er und andere Forschende aus einer Reihe von deutschen Instituten in dem Journal "Science Advances". [1]

Die Forschungsgruppe verglich die 26 Jahre alten Spuren vor der Küste Perus mit fünf Wochen alten Spuren, die sie im Jahr 2015 selber in den Meeresboden gepflügt hat. Demnach enthielten die Sedimentproben der frischen Spuren rund 50 Prozent der Mikrobenanzahl verglichen mit Proben aus ungestörten Gebieten. In den alten Spuren wurde noch immer eine 30prozentige Verringerung der Zahl der Mikroben festgestellt. Rechnet man die Rückbesiedlungsgeschwindigkeit hoch, kommt die Forschungsgruppe auf einen Wert von über 50 Jahren, bis sich der durch den Bergbau gestörte Meeresboden erholen wird.

Ein halbes Jahrhundert! Und das betrifft nur die Lebensform der Mikroben, nicht einmal das lokale marine Ökosystem, das auch diverse Arten von Megafauna birgt. Von anderen Ökosystemen her ist bekannt, daß durch einzelne Störgrößen Akkumulations- und Synergieeffekte auftreten können. Das heißt, Einflüsse können sich addieren oder sich sogar verstärken und damit eine größere Schadenswirkung entfalten, als bei der Analyse eines Teilaspekts jemals hervortritt. Das wurde bislang kaum erforscht.

Ob eines Tages Rohstoffe vom Meeresboden aus der Tiefsee abgebaut werden, hängt vor allem von den Kosten der Förderung, der Verfügbarkeit von landgebundenen Rohstoffen und somit vom Preis, der mit den Rohstoffen aus mehreren tausend Metern Meerestiefe erzielt werden kann, ab. Daß das bisher am weitesten gediehene Vorhaben, Rohstoffe aus der Tiefsee zu fördern, gescheitert ist - das Unternehmen Nautilus Minerals, das in der Bismarcksee vor Papua-Neuguinea Massivsulfide abbauen wollte, ist 2019 Konkurs gegangen - verdeutlicht die hohen ökonomischen (nicht aber ökologischen) Hürden eines solchen Vorhabens.

Analysen wie in der hier zitierten neuen Studie bilden die Begleitforschung, die eines Tages Meeresbodenbergbau ermöglichen könnte.

Vom Standpunkt der profitorientierten industriellen Verwertung der Rohstoffe her würde es vermutlich als Hemmnis angesehen, wenn auf die mikrobischen Lebensformen in der Tiefsee irgendeine Rücksicht genommen werden müßte. Insofern legt die Forschung der Wirtschaft Steine in den Weg. Diese erfüllen allerdings eine Doppelfunktion und erweisen sich schlußendlich als Trittsteine, um sicher ans Ziel zu gelangen, nämlich unter Auflagen die Sourcen am Tiefseeboden zu plündern. Dabei würde eine Umweltkatastrophe größten Ausmaßes riskiert. Wenn sich der Meeresbodenbergbau bereits als schwierig erweist, wie groß müssen da erst die Schwierigkeiten sein, die dort unten in der lichtlosen Tiefe angerichteten Umweltschäden durch den Bergbau zu beheben?


Fußnote:

[1] https://advances.sciencemag.org/content/advances/6/18/eaaz5922.full.pdf

13. Mai 2020


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