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INTERVIEW/005: Reiner Braun (IALANA) - Die Rio+20-Konferenz ist eine Farce! (SB)


Telefoninterview mit Reiner Braun von der Organisation IALANA am 21. Juni 2012

Übergabe des 'Rio-Appells' beim offiziellen UN-Gipfel - Foto: (CC BY 2.0) Lucas Wirl

Reiner Braun (vordere Reihe, vierter von rechts) bei der Übergabe des Appells 'Abrüstung für nachhaltige Entwicklung' an den brasilianischen Entwicklungsminister Fernando Damata Pimentel vor dem Rio-Konferenzgebäude
Foto: (CC BY 2.0) Lucas Wirl

Die am Freitag zu Ende gegangene, dreitägige UN-Konferenz zur Nachhaltigen Entwicklung, kurz Rio+20, hat schwere Kritik seitens zahlreicher Umwelt- und Entwicklungsorganisationen einstecken müssen. Mit dem dort propagierten Konzept der Grünen Ökonomie (green economy) würden die letzten noch nicht dem Privateigentum unterworfenen Naturgüter ökonomisiert werden; Nachhaltigkeit sei zu einem hohlen Begriff verkommen, den wachstums- und profitorientierte Unternehmen nach Belieben füllen könnten, nur um ihren Produkten ein grünes Mäntelchen umzuhängen, lauten zwei der gewichtigen Vorwürfe.

Einen auffällig wenig beleuchteten, aber bestechend naheliegenden Aspekt der nachhaltigen Entwicklung wirft Reiner Braun, Geschäftsführer der deutschen Sektion der IALANA e.V. (International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms) und zur Zeit vor Ort in Rio, in die Debatte um die Zukunft der Erde ein: Abrüstung.

Zum einen fließen in den Aufbau von Rüstungsgütern weltweit ungeheure Summen, die besser anderweitig genutzt werden könnten, zum anderen erweist sich der Einsatz dieser Rüstung in Friedens- wie in Kriegszeiten als extrem umweltschädlich. Beispielsweise werden vom US-Militärapparat so viele Treibhausgase erzeugt wie von ganz Schweden. Und die Kriege gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, Afghanistan und Irak haben in jenen Ländern neben dem menschlichen Leid verheerende Umweltschäden hinterlassen.

Am Donnerstag, dem zweiten Tag der Rio+20-Konferenz, ergab sich für den Schattenblick die Gelegenheit, per Skype ein Telefoninterview mit Reiner Braun in Brasilien zu führen.

Schattenblick: Sie sind Mitglied der Organisation IALANA, die den Appell "Abrüstung für eine nachhaltige Entwicklung" [1] unterstützt. Was genau wird da gefordert?

Reiner Braun: Der Appell wurde bislang von mehr als 50 Wissenschaftsnobelpreisträgern und Alternativen Nobelpreisträgern sowie sehr vielen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unterzeichnet. Kern dieses Appells ist es, von den Staats- und Regierungschefs hier in Rio zu fordern, jedes Jahr zehn Prozent abzurüsten und dieses Geld für Umwelt- und Entwicklungsherausforderungen zur Verfügung zu stellen. Es ist ein Abrüstungsprozeß, der die Abrüstungsfrage (disarmament) mit der Entwicklungsfrage (development) verbindet. Damit wird an die Reports von Willy Brandt und Gro Harlem Brundtland sowie ähnliche Berichte in den neunziger Jahren angeknüpft, um die Abrüstungs- mit der Entwicklungsthematik zu verbinden, weil wir uns eine nachhaltige Welt - wenn man dieses Wort überhaupt noch in den Mund nehmen darf, nachdem was hier die letzten Tage geschehen ist - oder zukunftsgerechte Welt nicht ohne einen umfassenden Abrüstungsprozeß vorstellen können. Das Thema muß wieder auf die Agenda der internationalen Politik.

SB: Haben Sie irgendeinen Hinweis aus dem Abschlußdokument oder den offiziellen Debatten, daß die Regierungen willens sind, die Frage des Umweltschutzes mit der der Abrüstung zu verknüpfen?

RB: Es sind ja nicht nur die Regierungen, die nicht willig sind. Es war klar, daß Abrüstung nicht von Anfang an auf der Tagesordnung der Regierungspolitik steht. Der Grund ist ganz einfach: Die Verantwortlichen für Aufrüstung wollen natürlich nicht über ihre Schandtaten reden. Und es sind natürlich die Europäische Union, die USA, Rußland und auch die Schwellenländer, die dramatisch aufrüsten und dieses möglichst hinter dem Rücken der Weltöffentlichkeit machen wollen. Von daher wollten sie vom ersten Augenblick der Planung der Konferenz an - übrigens in der Logik des Gipfels von Rio 1992, bei dem die Abrüstungsfrage ja auch herausgeschnitten worden ist - niemals über diese Frage reden und haben es nicht auf die Agenda gesetzt.

Aus meiner Sicht ist es problematisch, daß auch bei den Positionen der Zivilgesellschaft Abrüstung keine Rolle spielt. Weder auf dem People's Summit noch in den Aktivitäten, Appellen, Aufrufen der verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen, seien es Umwelt- oder Entwicklungsgruppierungen, spielt das Thema irgendeine Rolle. Das heißt, wir haben auch bei unseren Freunden und Partnern noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, damit Umweltschutz untrennbar mit dem Abrüstungs- und Friedensprozeß verbunden wird.

SB: Wird auf der Rio+20-Konferenz ausschließlich auf freiwilligen Umweltschutz gesetzt oder gibt es irgendeine Abmachung, die mit Rechtsmitteln durchgesetzt werden soll?

RB: Wenn wir dieses Dokument anschauen, das in einer Mauschelaktion in der Nacht, bevor die Konferenz begonnen hat, entwickelt worden ist - also ich will mal einen Vergleich aus dem Fußball nutzen: Das ist wie, als wenn das Ergebnis schon feststeht, noch bevor das Fußballspiel begonnen hat. Da würde jeder "Foul!" schreien, und genauso ist es hier auch. Die Abschlußerklärung ist ein einzigartiger Skandal! Sie enthält überhaupt keine einklagbaren Zielprojektionen, keine Aktionsschritte, die nachvollziehbar politisches Handeln erfordern. Es ist sogar noch weniger als Wort-Bla-Bla. Die Erklärung wurde aus den schlechtesten Teilen schlechter Dokumente der letzten zwanzig Jahre zusammengeschnitten und kopiert. Das Dokument ist ein Rückschritt und bleibt weit hinter dem zurück, was in Rio 1992 und von den Konferenzen danach formuliert worden ist! Es bringt die Menschheit keinen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit, sondern lenkt von allen Herausforderungen dieser Zeit ab.

Um es an einem Beispiel deutlich zu machen - Sprache ist ja manchmal verräterisch. In Rio 1992 hieß es "sustainable growth", nachhaltiges Wachstum, was ja schon ein mehr als zweifelhaftes Ansinnen ist. In dem aktuellen Dokument jedoch heißt es ungefähr an zehn Stellen "sustained growth", was "dauerhaftes Wachstum" bedeutet. Und das bei einem Planeten mit begrenzten Ressourcen. Das ist unmöglich und zeigt den Rückschritt, den dieses Dokument beinhaltet - einige verbale positive Formulierungen zur Konsumentenentwicklung und zu Lifestyles nehme ich mal aus. Dieses Dokument ist eine Farce und gehört auf den Müllhaufen der Geschichte!

Der 'Brot-Panzer' in der Favela St. Marta in Rio - Foto: (CC BY 2.0) Lucas Wirl

Brot statt Bomben - eine klare Botschaft
Foto: (CC BY 2.0) Lucas Wirl

SB: Wissen Sie, wie mit Widersprüchen oder Meinungsunterschieden im Vorfeld der Erstellung dieses Abschlußdokuments umgegangen wurde?

RB: Es ist jetzt die Frage, welche Meinungsunterschiede Sie meinen. Wenn Sie die Meinungsunterschiede zwischen der Europäischen Union und beispielsweise Brasilien, die das Dokument letztendlich ausgehandelt haben, meinen, dann ging es um Fragen wie: Wieviel fossile Energien, wieviel Atomkraft, wieviel großtechnologische Entwicklungen und wieviel Gentechnik werden wir in Zukunft noch brauchen. Meinungsverschiedenheiten beispielsweise zu Fragen, wie ich eine nachhaltige Entwicklung auf den Weg bringen will, gab es bei diesem Dokument überhaupt nicht. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Regierungen dieser Welt waren Meinungsunterschiede von der Art wie: Wie gruseliger kann ein Gruselkabinett sein und wie will ich in dieses Kabarett noch mehr Farce hineinschreiben!?

SB: Worüber wird denn jetzt noch auf der Konferenz diskutiert?

RB: Zunächst einmal gibt es die bekannten Statements der Regierungen. Es gibt natürlich auch Regierungen, die mehr oder weniger unzufrieden sind mit dem, was geschehen ist, und die jetzt anfangen, ihre Stimmen zu artikulieren. Das sind die linken Regierungen in Lateinamerika, das sind aber auch die Regierungen, die von der Klimakatastrophe als erstes betroffen sind. Die Inselstaaten haben entschieden gegen ein Dokument ohne Aktionen protestiert, weil es die Inseln in zwanzig Jahren womöglich gar nicht mehr gibt! Es werden also nach wie vor kleinere Diskussionen geführt, aber ansonsten hält man Statements über mitgebrachte Papiere ab, die keine ernsthafte Antwort auf grundsätzliche Herausforderungen der Zukunft enthalten.

SB: Länder wie Ecuador sind in der Staatengruppe G-77 zusammengeschlossen, um eine Süd-Süd-Kooperation aufzubauen. Wissen Sie, inwiefern sich die G-77 auf der Konferenz Gehör verschaffen können?

RB: Die G-77, das muß man leider sagen, spielt hier eine sehr beschämende Rolle. Weil sich der Großteil der G-77-Staaten völlig dem Industrieentwicklungsmodell des Westens unterworfen hat und keine große Rolle in einer positiven Nachhaltigkeitsdebatte spielt. Sie setzen mehr oder weniger alle - Ecuador und einige wenige andere nehme ich tendenziell aus - auf ein nachwachsendes Industriemodell, das dem Westen nacheifert. Das einzige, das sie immer wieder einfordern, ist ein bißchen mehr Geld von den Industriestaaten. Eine positive Rolle der G-77-Staaten oder der Non-Aligned Movement [2] ist leider bisher auf diesem Gipfel nicht festzustellen.

SB: Normalerweise würde man von der Rio-Konferenz erwarten, daß sie von Umweltschützern besucht wird. Gibt es für Juristinnen und Juristen ein besonderes Interesse an dem Treffen, das über den eingangs angesprochenen Appell für nachhaltige Entwicklung hinausginge?

RB: Natürlich gibt es ein großes Interesse. Juristinnen und Juristen haben ein Interesse an der Entwicklung des Völkerrechts. Es besteht nicht nur die Frage, wie sich humanitäres Völkerrecht weiterentwickelt, sondern auch, welche Umweltprobleme auftreten und wie sich Umweltvölkerrecht weiterentwickelt. Außerdem ist zu fragen, wie sich das Völkerrecht hinsichtlich des Gerechtigkeitsanspruch des Südens weiterentwickelt, der sich ja auch durchsetzt und manifestiert. Beim Völkerrecht handelt es sich um keine historische Konstante, sondern es entwickelt sich angesichts gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und Potentiale dieser Auseinandersetzungen weiter. Von daher sind wir natürlich sehr an der Rio-Konferenz interessiert.

Wir zeigen hier sowohl zusammen mit Kolleginnen und Kollegen als auch ganz allgemein auf, daß Recht bei einer positiven, nachhaltigen Entwicklung eine Rolle spielen kann. Denn letztendlich muß ja auch eine positive Entwicklung juristisch handhabbar manifestiert, dokumentiert und aufgeschrieben werden. Dabei können Juristinnen und Juristen eine Hilfe leisten, wenn auch nur eine kleine. Hier in Rio sind wir im wesentlichen als ein Faktor der Protestbewegung gegen das, was sich auf diesem Gipfel abspielt.

Massen-Demo in Rio - Foto: (CC BY 2.0) Lucas Wirl

Internationale Organisationen protestieren gegen Landnahme, Krieg und Kapitalismus
Foto: (CC BY 2.0) Lucas Wirl

SB: Wie geht die offizielle Rio-Konferenz mit dem People's Summit, dem zivilgesellschaftlichen Gegengipfel, um? Gibt es da Kontakte?

RB: Es gibt natürlich Menschen und Regierungsvertreter, die auf beiden Gipfeln auftreten und im wesentlichen wiederum aus den bekannten Staaten stammen, die eine etwas linkere Regierung haben. Es gibt auch durchaus Parlamentarierbesuch auf dem Gegengipfel. Ansonsten ist die Entfernung zwischen den beiden Gipfeln Ausdruck der tiefen Differenz. Der Gegengipfel und der offizielle Gipfel liegen circa 40 Kilometer auseinander, was bei diesem Verkehr hier eine Differenz von drei bis vier Stunden macht. So tief sind auch die Gräben!

Während auf dem Gegengipfel nach Lösungen gesucht wird, wie den großen Herausforderungen der Menschen - Hunger, Armut, Unterentwicklung, Gesundheit, Bildung - begegnet werden kann, wie man dafür Antworten findet, wie man systemisch darüber nachdenkt, wie Gesellschaft und Politik verändert werden muß, ist all das auf dem offiziellen Gipfel überhaupt nicht der Fall. Die Demonstration der 50.000 gestern war ein beeindruckender Ausdruck der Vielfalt, wie Zivilgesellschaft und die Kräfte der Opposition auf dem Gegengipfel nach Wegen der Gestaltung einer menschlichen und gerechten Zukunft suchen.

SB: Gibt es in Brasilien eine Berichterstattung über direkte Aktionen, wie sie beispielsweise zu Beginn der Konferenz gegen den Bau des Staudamms Belo Monte durchgeführt wurden?

RB: Ja, es gibt in der brasilianischen Presse eine sehr offene, pluralistische Berichterstattung. Das haben mir die Kolleginnen und Kollegen aus Brasilien mehrfach bestätigt. Im Fernsehen kann man durchaus die Protestaktionen sehen. Das gilt übrigens auch für unsere Protestaktion: ein Panzer aus Brot, mit dem wir auf die Rüstungsausgaben hinweisen wollen.

Auf internationaler Ebene findet meiner Einschätzung nach die altbekannte Mainstream-Berichterstattung statt mit ein paar kritischen Bemerkungen, die wohl angesichts des Skandals kaum mehr zu vermeiden sind. Aber die Aktionen spielen da nur eine geringe Rolle. Hier in Brasilien kann man zwar schon merken, daß man an den Problemen nicht vorbeikommt, aber das Staudammproblem ist ein besonderes, weil das an der brasilianischen Identität rührt. Deswegen verhalten sich die brasilianischen Mainstreammedien mit ihrer Berichterstattung sehr viel zurückhaltender. Die Kritik am Staudammbau hat auf der gestrigen Demonstration eine große, tragende und auch sehr schön auf Bildern und Plakaten präsentierte Rolle gespielt. Insofern war das Thema vertreten. Allgemein hingegen bleibt es eher eine Randerscheinung.

SB: Was halten Sie von dem viel diskutierten Konzept, Natur im Rahmen sogenannter Ökosystemdienstleistungen mit einem ökonomischen Wert zu versehen, um, vergleichbar mit dem Emissionshandel, Ökosysteme zu schützen?

RB: Würde kann man nicht abkaufen! Und so kann man auch Natur und Common Goods nicht verkaufen. Wir müssen uns gegen alles, ich betone das, gegen wirklich alles wenden, was auf diesem Planeten, der Erde, besteht und zur Ware gemacht werden soll. Es gibt mehr als Ware, es gibt Wichtigeres als Profit! Dazu gehört Würde, dazu gehören Gemeinschaftsgüter, dazu gehören gemeinschaftliche Entwicklungen und Leistungen, Bildung, Ausbildung, und so weiter. Die Auseinandersetzung um diese Fragen wird hier auf dem Gegengipfel geführt. Hier wird die Würde beschworen und der gemeinschaftliche Geist. Früher hieß es vielleicht "Solidarität".

Auf dem anderen Gipfel feiert der primitive Neoliberalismus noch einmal seinen Triumph. Das kann man auch daran sehen, wer diesen Gipfel sponsort: Die großen Konzerne dieser Welt, von Monsanto angefangen bis BMW, sind die Hauptsponsoren dieses Gipfels. Sie stehen für ein Entwicklungsmodell, das überholt ist und das an den Realitäten dieses Planeten scheitern muß, wenn dieser Planet Erde nicht scheitern soll.

SB: Bundeskanzlerin Merkel kommt nicht zur Rio-Konferenz. Wird ihr Fernbleiben außerhalb Deutschlands überhaupt zur Kenntnis genommen?

RB: Ja, die Brasilianer sind sehr ungehalten darüber. Weil sie es für unwürdig halten - und der Begriff "Würde" ist in Brasilien etwas durchaus Wichtiges -, daß die Regierungschefin eines der zentralen Länder, das auf dem Gipfel von 1992 noch eine wichtige Rolle bei der Formulierung zum Beispiel der Agenda 21 gespielt hat, nicht hierherkommt und nicht deutlich macht, daß für sie die Fragen der Entwicklung, die Fragen, die zwei Drittel der Menschheit beschäftigen, eine so große Rolle spielen, daß sie sich dafür über den Atlantik bewegt. Das ist hier - ich glaube man kann sogar sagen, in Lateinamerika - sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen worden und wird als immer noch nicht überwundene koloniale Attitude angesehen.

SB: Deutschland sieht sich gern als Vorreiter in Sachen Umweltschutz. Wie ist Ihr Eindruck, wird das im Ausland auch so gesehen?

RB: Leider. Weil es nicht der Realität entspricht. Bei Gesprächen hier merkt man, daß Deutschland ein umweltpolitisches Ansehen hat, das eigentlich nur der Opposition, der Straße, zugute kommen sollte. Was die Umweltbewegung, die Friedensbewegung und entwicklungspolitische Bewegungen gefordert haben, nämlich den Ausstieg aus der Atomenergie, das ist ja erreicht und erstritten und nicht von oben geschenkt worden. Leider wird das mehr oder weniger der offiziellen Politik zugeordnet. Wir sind es hier, die immer wieder darauf hinweisen, daß auch der Atomausstieg noch nicht ehrlich und hundertprozentig ist. Das sieht man unter anderem daran, daß die Bundesrepublik mit Hermes-Bürgschaften Atomkraftwerke in Brasilien absichert. Wir müssen auch unsere Freundinnen und Freunde in den Umwelt- und Entwicklungsbewegungen verdeutlichen, daß die offizielle Politik Deutschlands sicher keine ist, die das Siegel Umweltschutzpolitik in irgendeiner Weise verdient. Da gibt es noch viel zu tun.

Reiner Braun schlägt mit Hammer auf Schußwaffe - Foto: (CC BY 2.0) Lucas Wirl

Aufsehenerregende Aktion in einer Favela
Foto: (CC BY 2.0) Lucas Wirl

SB: Der größte Handelspartner des Gastgeberlandes der Rio-Konferenz ist China. Beide Staaten bauen Mega-Staudämme, die höchst umstritten sind. Inwiefern hat diese Kooperation Einfluß auf die Umweltdebatten?

RB: China ist ein ganz großes Problem auf dieser Konferenz. Für alle, auch für die Zivilgesellschaft. China spielt hier öffentlich nach außen hin kaum eine Rolle. Das führen wir auf die großen, internen Probleme des Regierungs- und Machtwechsels zurück. China versucht sich als Land zu verkaufen, das Umwelt- und Entwicklungspolitik betreibt und sehr stark in erneuerbare Energien investiert. Es ist aber wie überall: dieses Gesicht Chinas ist eines mit zwei Seiten. Auf der einen Seite haben wir den Ausbau der Erneuerbaren, gleichzeitig den der Atomenergie, auf der anderen werden in China zahlreiche Megaprojekte großtechnologischen Zukunftsglaubens realisiert.

Es zeigt sich, daß über Umweltpolitik für China und in China noch eine große Aufklärungsarbeit notwendig ist. Auch wenn in der offiziellen chinesischen Politik erkannt wird, welchen Stellenwert diese Fragen haben, spielen sie unserer Meinung nach in der praktischen Politik des Landes eine zu geringe Rolle. Ich kann es daher nur begrüßen, daß eine ganze Reihe führender Hochschullehrer, die sich mit Umwelt- und Entwicklungsfragen befassen, Lehraufträge und Gastprofessuren in China annehmen. China ist mehr ein Teil des Problems als ein Teil der Lösung.

SB: Welchen Einfluß hat China auf die Konferenz? Ist der zu erkennen?

RB: Bisher ist davon wenig erkennbar gewesen. China hält sich sehr bedeckt im Rahmen der G-77 und ist bisher nicht mit eigenen Vorstellungen, auch nicht mit eigenen Ideen und konzeptionellen Überlegungen in dem Abschlußdokument hervorgetreten. Das wiederum ist meiner Ansicht nach darauf zurückzuführen, daß die Rio-Konferenz insgesamt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt stattfindet. In Amerika herrscht Wahlkampf. Wie immer man zu Obama stehen will - das Land ist umweltpolitisch völlig handlungsunfähig. Jedes schlechte Wort gegen Umweltpolitik scheint ja gleich zwei Prozentpunkte zu bringen. Rußland hat sich überhaupt nicht positioniert in Richtung Umwelt. Keiner weiß, was Putin mit seiner russischen Modernisierung, die ja auch Umweltschutz beinhalten könnte, eigentlich will. China befindet sich in einer Umbruchsituation. Generell haben wir sehr viele Staaten, die in einer Umbruchsituation und damit in umwelt- und entwicklungspolitischen Fragen kaum handlungsfähig sind. Das macht sich sehr negativ bemerkbar und hat meiner Ansicht nach auch mit dazu geführt, daß es dieses miserable Schlußdokument der Konferenz gibt.

Aktion in der Favela mit 'Brot-Panzer' und Clown - Foto: (CC BY 2.0) Lucas Wirl

Eine Milliarde Menschen hungert - 1700 Milliarden Dollar Rüstungsausgaben weltweit
Foto: (CC BY 2.0) Lucas Wirl

SB: Sie sprachen eine Aktion an mit einem Panzer aus Brot. Könnten sie erklären, was es damit auf sich hat?

RB: Wir sind in den letzten Tagen an verschiedenen Stellen mit einem sogenannten Panzer aus Brot aufgetreten. Das ist ein Panzer, der mit Brot vollbehängt ist, um deutlich zu machen, daß jedes Jahr 1,7 Billionen Dollar für Rüstung ausgegeben wird und dieses Geld bei Hungerbekämpfung, Entwicklung, Gesundheit, Schulen und Bildung fehlt. Wir haben hier in den Favelas eine große Auftaktaktion mit dem regionalen Bürgermeister gemacht. Die Aktion wurde im brasilianischen Fernsehen übertragen und von einem brasilianischen Minister begrüßt. Sie diente dazu, den eingangs erwähnten Appell zu visualisieren und medial aufzuarbeiten, was uns ausgesprochen gut gelungen ist.

Wir waren gestern mit dem Panzer auf der Demonstration, und ich will nicht behaupten, daß es DAS Fotoobjekt der ganzen Demonstration war, aber es wurde von ungeheuer vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, ebenso wie von den Menschen am Straßenrand wahrgenommen und mit viel Beifall bedacht. Die Aktion traf auf tiefes Verständnis bei den Menschen, die wir getroffen haben, gerade auch in den Favelas, die sagten: "Mein Gott, das Geld kann man doch viel sinnvoller ausgeben!" Es war eine wirklich begeisternde Aktion, die allen sehr viel Spaß gemacht hat.

SB: Herr Braun, herzlichen Dank für dieses Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://www.inesglobal.com/Disarmament-for-Sustainable-Development.phtml

[2] Non-Aligned Movement - Blockfreienbewegung. Hierzu hatten sich ursprünglich Staaten zusammengeschlossen, die sich von keiner Seite des Ost-West-Konflikts vereinnahmen lassen wollten.

22. Juni 2012