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BERICHT/019: Bagger fressen Erde auf - Kraftwerksneubau BoAplus verhindern! (SB)


RWE plant Errichtung eines Braunkohlekraftwerks in Niederaußem

Sitzung des Regionalrats der Bezirksregierung Köln am 29. Juni 2012


Klimaschutz statt Kohleschmutz - Kein Neubau in Niederaußem! - Foto: © 2012 by Schattenblick

Campaigner vor dem Gebäude der Bezirksregierung Köln
Foto: © 2012 by Schattenblick

Trotz der verheerenden Auswirkungen auf das Klima, die Luftqualität, die Ökosysteme und die in den betroffenen Regionen lebenden Menschen sind Tagebau und Verstromung von Braunkohle nach wie vor ein von weiten Teilen der umweltbewußten Bevölkerung unterschätzter und ausgeblendeter Sektor der deutschen Energiegewinnung. Bewohner werden aus ihren Dörfern vertrieben, für den Abbau wird großflächig das Grundwasser abgesenkt, der Feinstaub belastet die Lungen. Vor allem aber tragen die großen Mengen der bei der Verbrennung von Kohle freigesetzten Treibhausgase wesentlich zum Klimawandel bei. Während die Gefahren der Atomkraft im gesellschaftlichen Diskurs präsent sind und ihre Gegner ein vergleichsweise hohes Mobilisierungspotential für sich in Anspruch nehmen können, fristet der Kampf gegen die zerstörerischen Folgen der Braunkohleverwertung demgegenüber ein Schattendasein. Dabei fehlt es keineswegs an fundierten Expertenstudien und hochwertigen Kompendien der Umweltschutzorganisationen zu diesem Thema, wohl aber an deren Wahrnehmung in der öffentlichen Diskussion und insbesondere an massenwirksamen Konsequenzen. Die Stromerzeugung aus Braunkohle wird als vermeintlich marginales und auslaufendes Verfahren sträflich fehleingeschätzt, wozu Konzerne wie Vattenfall im Osten und RWE im Westen Deutschlands mit ihrem Täuschungsmanöver, es handle sich um eine Brückentechnologie auf dem Weg zur Energiewende, maßgeblich beitragen.

Die Realität sieht anders aus. Obwohl Braunkohle der klimaschädlichste Energieträger ist, erlebt sie nach dem "Atomausstieg" hierzulande eine Renaissance. Derzeit wird in Deutschland die meiste Braunkohle weltweit gefördert, und da der Brennstoff durch indirekte Subventionen für die Energiekonzerne fast umsonst zu haben ist, hält ihr Interesse, ihn zu verwerten, unvermindert an. Zwar sieht die Leitstudie des Bundesumweltministeriums von 2007 vor, daß im Jahr 2050 nur noch ca. 5 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert werden sollen. Gegenwärtig werden in Deutschland jedoch ca. 169 Millionen Tonnen jährlich verheizt und gleichzeitig laufen auf Landesebene Genehmigungsverfahren für neue Kraftwerke, die fünfzig bis sechzig Jahre volle Leistung bringen müßten, damit sie sich überhaupt rentieren. Braunkohle wäre damit bis über die Mitte des Jahrhunderts als Energieträger zementiert. [1]

Strom aus Braunkohle deckt pro Jahr etwa ein Viertel des gesamten Bedarfs an Elektrizität in Deutschland, während der Anteil von Steinkohle bei 19 Prozent liegt. Dabei setzt Braunkohle im Vergleich zu anderen fossilen Energieträgern besonders viel Kohlendioxid (CO2) frei, das sich in der Atmosphäre anreichert. Selbst das modernste Braunkohlekraftwerk stößt im Vergleich zu Gaskraftwerken doppelt so viel CO2 aus - statt 370 Gramm CO2 pro Kilowattstunde mehr als 800 Gramm CO2 pro Kilowattstunde. In den kommenden zehn Jahren wird der Großteil des Kraftwerkparks in Deutschland altersbedingt vom Netz genommen. Diese 40.000 Megawatt Kraftwerksleistung müssen durch neue Kraftwerke ersetzt werden. [2] Die großen Energiekonzernen E.on, EmBW, RWE und Vattenfall planen den Bau von 23 neuen Kohlekraftwerken in der Bundesrepublik, davon je zwei für Braunkohle im Osten (Profen, Boxberg) und Westen (Neurath, Niederaußem). Andererseits haben Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen bereits 15 geplante Kraftwerksneubauten verhindert. Dabei ist der Braunkohleausstieg eine strategisch notwendige Voraussetzung, um überhaupt eine Energiewende in Deutschland einzuleiten.

Das Rheinische Braunkohlerevier als größte CO2-Quelle Europas spielt hierbei bundesweit eine Schlüsselrolle. Insgesamt gibt es in Deutschland nach dem heutigen Stand der Erkundungen 77 Milliarden Tonnen Braunkohle, wovon etwa 40 Milliarden Tonnen als wirtschaftlich abbaubar gelten. In den genehmigten und erschlossenen Tagebauen befinden sich mehr als 6 Milliarden Tonnen Braunkohle, die bei gleichbleibender Fördermenge für rund 35 Jahre reichen. Allein im Rheinland liegen 35 Millionen Tonnen wirtschaftlich gewinnbare Vorräte und 3,3 Millionen in erschlossenen Tagebauen. [3] Dort bilden die aktiven Tagebaue Hambach, Inden und Garzweiler das von RWE betriebene Braunkohlerevier, in dem fünf Großkraftwerke Strom aus Braunkohle erzeugen und dabei 100 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr in die Atmosphäre blasen.

Hirn an, Kohle aus! Klimaschutz geht anders! - Foto: © 2012 by Schattenblick

Mahnung blieb unerhört
Foto: © 2012 by Schattenblick

Im Oktober 2011 hat RWE das Genehmigungsverfahren für ein neues Braunkohlekraftwerk (BoAplus) mit dem Einreichen der Scoping-Unterlagen zur Umweltprüfung eröffnet. Dieses Kraftwerk soll auf einer bisher unbebauten Fläche am Standort Niederaußem errichtet werden, wo bereits ein altes Kraftwerk in Betrieb ist. Da diese Fläche bislang als "Freiraum- und Ackerfläche" deklariert war, mußte der Regionalrat die Änderung des Regionalplans beschließen, um die Fläche als Kraftwerksstandort auszuweisen. Am 29. Juni 2012 fand eine Sitzung des Regionalrats der Bezirksregierung Köln statt, der an diesem Tag durch eine Regionalplanänderung die diesbezüglichen Voraussetzungen für die Errichtung des geplanten Kraftwerks BoAplus schuf. Hätte der Regionalrat die Änderung abgelehnt, hätte er das Kraftwerksprojekt zu Fall gebracht. Um die Genehmigung zu verhindern, hatte Greenpeace eine Kundgebung vor der Bezirksregierung angemeldet und in Zusammenarbeit mit anderen Anti-Kohle-Organisationen abgehalten. Beteiligt waren Aktivistinnen und Aktivisten von AusgeCO2hlt, von der Initiative Bergbaugeschädigter 50189 aus Elsdorf-Berrendorf, von den Buirern für Buir, von der Kölner Initiative Tschö Rheinenergie, von Attac und Greenpeace sowie von der Besetzung des Hambacher Forstes. Die Mitglieder des Regionalrats wurden lautstark mit Musik und Redebeiträgen empfangen, und im Anschluß an die Kundgebung nahmen die Aktivistinnen und Aktivisten an der öffentlichen Regionalratsversammlung teil.

Zum besseren Verständnis von Zuständigkeit, Zusammensetzung und Arbeitsweise dieses politischen Gremiums sei hier kurz erläutert, daß der Regionalrat zuständig für die Regionalplanung und Aufgaben der Infrastrukturpolitik auf Regierungsbezirksebene ist. Dem etwa viermal im Jahr tagenden Gremium gehören 41 stimmberechtigte Mitglieder und 23 beratende Mitglieder ohne Stimmrecht an. Die stimmberechtigten Mitglieder werden entweder in den Kreisen und kreisfreien Städte gewählt oder nach Parteiproporz über Reservelisten entsandt. Die beratenden Mitglieder entstammen sogenannten gesellschaftlich relevanten Interessengruppen wie Arbeitgeber/Arbeitnehmer, Naturschutzverbände, Sportverbände und kommunale Gleichstellungsstellen. Wesentliche Entscheidungen werden in Kommissionen vorgebahnt, die die Beschlußfassung vorbereiten. Da in diesem Gremium Regionalpläne aufgestellt, fortgeschrieben und geändert werden, kommt ihm eine entscheidende Bedeutung bei allen mittel- und langfristigen Weichenstellungen im Regierungsbezirk zu. Dabei geht es insbesondere um konkurrierende Nutzungsansprüche wie Freiflächen, Besiedlung, industrielle Vorhaben und Verkehr. So tritt der Regionalrat bei strukturpolitischen Entwicklungen als Sprecher der Region auf und trägt qualifizierte Entscheidungsvorschläge an die Landesregierung NRW heran. [4]

Verkehrsschild: CO2 - RWE zerstört das Klima - Foto: © 2012 by Schattenblick

Klimagase aus Braunkohleverstromung - in der Politik eher kein Thema
Foto: © 2012 by Schattenblick

Der RWE-Slogan "BoAplus - ein großes Plus für die Umwelt" müßte insbesondere den Anwohnerinnen und Anwohnern wie Hohn in den Ohren klingen. Der umstrittene Kraftwerksneubau 20 km westlich von Köln mit einer Leistung von 1.100 MW wird von RWE als hochmodern und sauber verkauft. Der Wirkungsgrad ist jedoch nach wie vor miserabel, da immer noch über 55 Prozent der Energie ungenutzt durch den Schornstein gehen. Mit 27 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß jährlich läge das Kraftwerk europaweit an der Spitze. Die vollmundigen Versprechen, das CO2 abzuscheiden und unterirdisch zu lagern, sind irreführend, da die sogenannte CCS-Technik nicht verfügbar ist und keine sicheren Lagerstätten existieren. Hoch aufragend wie der Kölner Dom würde BoAplus trotz modernster Technik enorme Mengen an Schwefeldioxid, Stickoxiden, Feinstaub, Schwermetallen, Quecksilber und Radioaktivität in die Luft freisetzen. [5]

Um das Vorhaben BoAplus entgegen allen Einwänden durchzusetzen, hat sich RWE in seinem Kraftwerkskonzept zu gewissen Konzessionen bereiterklärt, die das Vorhaben nicht zuletzt in der entsprechenden Kommission des Regionalrats gängig machten. So wurde die Kapazität der Anlage nach Unternehmensangaben gegenüber einer früheren Planung mit 1.100 Megawatt halbiert, der Flächenbedarf erheblich reduziert, die Gebäudehöhe verringert und selbst die Fassadengestaltung und Farbgebung der Umgebung angepaßt. Zudem stellt RWE in Aussicht, mit Aufnahme des kommerziellen Betriebs von BoAplus am Standort Niederaußem Altanlagen von zusammen 1.200 Megawatt endgültig stillzulegen. Da weniger leistungsfähige Anlagen außer Betrieb genommen würden, führe BoAplus unter dem Strich zu weniger Verschattung durch Kühlturmschwaden, behauptet RWE. [6]

Bildschirm mit Laufschrift - Foto: © 2012 by Schattenblick

Ankündigung vor Plenarsaal
Foto: © 2012 by Schattenblick



Gut geschmierte Abstimmungsmaschinerie

Die Regionalplanänderung am Standort Niederaußem wurde unter Tagesordnungspunkt 6 behandelt. In der Aussprache der Fraktionen befürwortete der Vertreter der CDU im Gegensatz zu einer früheren Ablehnung des Vorhabens nun die Änderung. RWE habe sich in wesentlichen Punkten den Forderungen des Regionalrats angenähert, was insbesondere die Frage eines verbindlichen Zeitplans für die Stillegung an anderen Standorten betreffe, die als Kompensation für den Neubau vorgenommen werden sollen. Allerdings fügte der CDU-Vertreter an dieser Stelle hinzu, daß er von weiteren Kompensationen im Laufe des Verfahrens ausgehe, was auf einen Restzweifel an den Zusagen des Energiekonzerns selbst bei den Christdemokraten schließen läßt. Die Verbindung von Energiesicherheit und verbesserten Verhältnissen für die Anwohner gegenüber der heutigen Situation, so der CDU-Redner weiter, veranlasse seine Fraktion, dem Entwurf zustimmen.

Dies wurde seitens der Aktivisten auf der Besucherempore mit einem lautstarken Zwischenruf quittiert: "Pfui! Was ist denn mit dem Gesundheitsschutz? Das interessiert Sie wohl garnicht!" Daraufhin ermahnte der Vorsitzender die Zuhörer, sich wieder zu setzen und fortan zurückzuhalten.

Blick auf Plenarsaal von Zuschauerempore - Foto: © 2012 by Schattenblick

Empore für passive Bürgerbeteiligung
Foto: © 2012 by Schattenblick

Auch ein Vertreter der SPD begründete die Zustimmung seiner Fraktion mit dem Argument, RWE habe die erhobenen Forderungen umgesetzt. Es liege ein verbindlicher Zeitplan für den Neubau wie auch die Stillegung an den einzelnen Standorten vor. Verbesserungen am Standort Niederaußem für die ansässige Bevölkerung würden erfüllt. Man strebe einen Vertrag mit RWE an, der die raumplanerischen Beschlüsse verbindlich festlegt. Durch klare vertragliche Festlegungen könne man spätere Konfliktlösungen erleichtern. Auch dies war ein Hinweis darauf, daß man dem Konzern gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz doch nicht über den Weg traut. Abbau und Verstromung von Braunkohle, so der SPD-Vertreter, seien stets mit Zielkonflikten verbunden, an denen man auch jetzt nicht vorbeikomme. Wie zahlreiche Eingaben in den zurückliegenden Tagen gezeigt hätten, sei die Bevölkerung in großer Sorge. Man verstehe diese Bedenken und sei der Auffassung, daß mit der Modernisierung des Kraftwerksparks diesen Einwänden in hohem Maße Rechnung getragen werde. Die SPD-Fraktion sei für den Ausstieg aus der Kernenergie und für erneuerbare Energien, sehe aber auch, daß das nicht so schnell gehen kann, weshalb die Brückentechnologie Braunkohle noch für einige Jahrzehnte benötigt werde, um bezahlbaren Strom erzeugen zu können.

Der Zwischenruf "menschenverachtende Politik!" von der Empore zog eine weitere Ermahnung des Vorsitzenden nach sich.

Dann erklärte ein Sprecher der Grünen, er stelle nicht in Abrede, daß es genehmigte Tagebaue und Kraftwerksstandorte gebe. Hier gehe es jedoch um die Frage, ob man einen neuen Standort schaffe, der über die genehmigte Dauer der bestehenden Tagebauflächen hinausgehe. Er könne sich nicht vorstellen, daß man künftig weitere Tagebauflächen über die genehmigten hinaus billigen werde. Daher müsse RWE an den vorhandenen Standorten Optimierungen vornehmen, wohingegen das Konzept eines Neubaus nicht schlüssig sei.

Kraftwerk an Durchgangsstraße in Niederaußem - Foto: © 2012 by Schattenblick

Soll Gesellschaft bekommen ... Kohlekraftwerk Niederaußem
Foto: © 2012 by Schattenblick

Der Vertreter der FDP-Fraktion kündigte angesichts jahrelanger Beratungen und vorgenommener Änderungen eine Zustimmung an. Während die Argumente der Initiativen gegen BoAplus in der Presse zu Mißverständnissen geführt hätten, habe der Regionalrat seine Stellung zwischen Regierung und Bürgern sehr ernst genommen. RWE habe die zahlreichen Einwände von politischer Seite berücksichtigt und in eine veränderte Beschlußvorlage eingebracht. Man brauche die Energie aus Braunkohle vorläufig noch, weshalb es sinnlos sei, darüber noch längere Diskussionen zu führen. Für wie lange dies der Fall sei, wisse keiner - und schließlich gebe es für jede Energieform Problemsituationen für die Betroffenen.

Der daraufhin erfolgte Zwischenruf "Menschenopfer!" von der Empore fand keine weitere Beachtung in den Reihen der Politiker unten auf dem Parkett.

Für die Fraktion der Linkspartei zitierte deren Sprecher zunächst aus dem Kölner Stadtanzeiger vom 19. Juni eine Erklärung der RWE-Führung, wonach alle Großprojekte auf Eis lägen und auf absehbare Zeit nicht weiterverfolgt würden. Das Großkraftwerk BoAplus werde allenfalls weiter geplant, gebaut werde aber nicht. Da stelle sich doch die Frage, ob der Regionalrat auf Vorrat beschließe, so der Redner. Schon die umweltpolitischen Argumente reichten vollkommen aus, das Kraftwerksprojekt abzulehnen. Ein weiterer Aspekt sei der falsche Weg, der mit dem weiteren Ausbau der Verwertung fossiler Energieträger beschritten werde. Der Einstieg ins Zeitalter erneuerbarer Energie beginne seines Erachtens mit einem Abschied. Grundlastkraftwerke wie BoAplus seien als Relikte einer vergangenen Zeit ein massives Hindernis für einen Ausbau erneuerbarer Energie. Neue Kohlekraftwerke wie BoAplus stießen auch im Jahr 2050 noch Millionen Tonnen klimaschädliche CO2-Gase aus. Wenn man es mit erneuerbarer Energie ernst meine, dürften keine neuen Kohlekraftwerke mehr gebaut werden. Erforderlich sei ein Ausstiegsgesetz mit festen Restlaufzeiten wie beim Atomgesetz. Die Stromversorgung müsse dezentral und bürgernah erfolgen. BoAplus habe darin keinen Platz, so der Vertreter der Linkspartei.

Der nach diesem Redebeitrag aufbrandende Beifall auf der Besucherempore veranlaßte den Vorsitzenden zu der Rüge, daß für derartige Meinungsäußerungen hier nicht der Ort sei.

Ein Sprecher der Freien Wähler bewertete die von RWE vorgenommenen Veränderungen an den Planungen positiv. Man könne nicht auf Energie verzichten und brauche daher weiterhin solche Kraftwerke. Die heimische Energiesicherheit sei ein wesentlicher Gesichtspunkt, wenn man langfristig über die Zukunft der Region nachdenke.

Nach den Beiträgen der stimmberechtigten Mitglieder kamen die beratenden Mitglieder zu Wort. Im Namen der Naturschutzverbände bat deren Repräsentant darum, der Änderung des Regionalplans nicht zuzustimmen. Braunkohle bleibe der klimaschädlichste Energieträger, weshalb sich die Landesregierung zum Ziel gesetzt habe, bis 2050 eine CO2-Minderung von minimal 80 Prozent zu erreichen. Dafür sei eine drastische Minderung der Braunkohleförderung und -verstromung unverzichtbar. Der Plan zum Neubau eines Kraftwerks BoAplus konterkariere die Zielvorgabe der Landesregierung. Braunkohle könne man nur gewinnen, indem man ganze Landschaften vernichte und Menschen vertreibe. Wer das neue Kohlekraftwerk wolle, befürworte automatisch neue Tagebaue in NRW. RWE habe die im Zuge der Genehmigung des Braunkohleplans Garzweiler II getroffenen verbindlichen Zusagen zur Stillegung von Altanlagen bis heute mißachtet. Käme man nun auf die Idee, dem Konzern mit einem Neubau entgegenzukommen, müsse das Unternehmen zuerst einmal seine Hausaufgaben machen. Das sei jedoch nicht der Fall gewesen, weswegen es aus Sicht der Naturschutzverbände unmöglich sei, hier eine Entscheidung zu treffen. Überdies verstoße ein Kohlekraftwerk an diesem Standort gegen die Vorgaben der Landesplanung, da die vorgesehene Kraftwerksfläche im Landesentwicklungsplan nicht enthalten sei. Nur mit einem Zielabweichungsverfahren könne ein solcher Standort ermöglicht werden. Das sei jedoch nur dann zulässig, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt sind. Daher wäre ein Votum des Regionalrats eine Abstimmung über eine nicht zulässige Regionalplanänderung. Auch die Naturschutzverbände wünschten kein zweites Datteln [7] und bäten daher, gegen die Planänderung zu stimmen.

Um insbesondere die letztgenannten Argumente zu entschärfen erklärte ein Gegenredner, man sei hier nicht in Datteln, das sei ein ganz anderer Fall. Es gehe auch nicht um ein Zielabweichungsverfahren, sondern darum, die raumplanerischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß ein Kraftwerk gebaut werden kann. Ob dieses tatsächlich gebaut wird, werde nicht im Regionalplan entschieden. Insofern seien auch alle emotionalen Äußerungen hier völlig deplaziert. In der EU existiere seit vielen Jahren ein Treibhausemissions-Handelssystem und wer sich diesem wie insbesondere die Energieerzeuger unterwerfen müsse, rechne mit spitzem Stift, ob sich neue Kraftwerke lohnen oder ob es vielleicht besser sei, die alten weiterlaufen zu lassen.

Ratsmitglieder heben Hand zur Abstimmung - Foto: © 2012 by Schattenblick

Abstimmung mit absehbarem Ausgang
Foto: © 2012 by Schattenblick

Mit dem künstlich vorgehaltenen Widersinn, man stimme im Regionalrat nur über Raumpläne ab, während der nachfolgende Kraftwerksbau auf einem ganz anderen Blatt stehe, fand die Debatte ihren Abschluß. Wie erwartet waren dabei Argumente ausgetauscht worden, die man längst in früheren Kontroversen und insbesondere in der Kommission abgearbeitet und abgeschliffen hatte. So präsentierte sich die Regionalratssitzung am allerwenigsten als ein Ort demokratischer Diskussionskultur, sondern vielmehr als eine gut geölte Maschinerie zur Fassung jener Beschlüsse, die man an anderer Stelle vorgebahnt hatte. Als wollten sie sicherstellen, daß am Ende nicht doch noch etwas schiefging, hatten sich auf der Besucherempore drei Herren von RWE Power eingefunden. Sie tauschten vor Sitzungsbeginn des öfteren freundliche Grüße mit drunten vorübergehenden Parteipolitikern aus, was ein bezeichnendes Licht auf offensichtlich erfolgreiche Lobbyarbeit warf. Am Ende konnten zumindest sie höchst zufrieden ihrer Wege gehen: Der Beschlußvorschlag wurde mit den Stimmen der CDU, SPD, FDP und der Freien Wähler gegen die Stimmen der Grünen und der Linkspartei angenommen.

Für die anwesenden Gegner des Kraftwerksneubaus wie auch der gesamten Förderung und Verstromung der Braunkohle stellte der Beschluß des Regionalrats den befürchteten Etappensieg des Energiekonzerns RWE, doch zugleich einen Ansporn dar, den Widerstand auf allen Ebenen und in seinen vielfältigen Formen weiterzuführen und zu stärken: Lokal wie mit der Waldbesetzung im Hambacher Forst, regional mit verschiedenen Initiativen und Projekten wie insbesondere dem Klimacamp und nicht zuletzt im Schulterschluß mit den Aktionen und Kämpfen im Lausitzer Revier.



Anmerkungen:

[1] http://www.ausgeco2hlt.de/

[2] http://www.greenpeace.de/themen/energie/fossile_energien/artikel/braunkohle_gift_fuers_klima/

[3] http://www.braunkohle.de/pages/layout3sp.php?page=642

[4] http://www.bezreg-koeln.nrw.de/brk_internet/gremien/regionalrat/index.html

[5] http://www.ausgeco2hlt.de/aktionen/181-2/

[6] http://www.rwe.com/web/cms/de/1116426/boaplus/ueber-boaplus/das-innovative-kraftwerkskonzept/planung-greift-interessen-der-region-auf/

[7] Anfang Juni 2012 mußte der Energiekonzern E.on im Rechtsstreit um das milliardenschwere Kohlekraftwerksprojekt Datteln IV einen weiteren Rückschlag hinnehmen. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster gab einer Klage des Umweltverbandes BUND recht und kippte den Vorbescheid der Bezirksregierung Münster für das Bauvorhaben. Der Senat sagte aber, daß sein Urteil nicht automatisch das Aus für Datteln IV bedeute.

Der Vorsitzende Richter verglich das E.on-Projekt mit dem Bau eines Hauses: Es reiche nicht, das Fundament zu errichten, ohne sich Gedanken über die Stockwerke gemacht zu haben. Weil wesentliche Grundzüge nicht beachtet worden seien, sei auch der ursprüngliche Bebauungsplan vom Gericht für nichtig erklärt worden. Es sei nicht absehbar, wann der neue Plan vorliege und wie er aussehen werde. Zudem schlug sich im Urteil nieder, daß seit dem Vorbescheid 2007 die Anforderungen an den Naturschutz gestiegen sind.

http://www.ftd.de/politik/deutschland/:datteln-iv-nrw-gericht-kippt-genehmigung-fuer-eon-kraftwerk/70049658.html

http://www.ausgeco2hlt.de/mitmachen/mobimaterial-bestellen/

6. Juli 2012