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BERICHT/063: Zukunft der Meere ... und machet sie euch untertan ... (Genesis, Kap. 1, Vers 28) (SB)


Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See

Tagung im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen am 7. Dezember 2013

Das WBGU-Gutachten "Welt im Wandel - Menschheitserbe Meer" - Befreiung vom Raubbau oder dessen Fortsetzung?



Wenn es zutrifft, was Naturwissenschaftler verschiedener Disziplinen prognostizieren, und die Ökosysteme weltweit auf eine Reihe von Kippunkten zusteuern, dann stehen die Menschen vor einem ernsthaften Problem. Das können sie nicht ignorieren, wollen sie nicht wie Tyrannosaurus Rex und seine mesozoischen Artgenossen als steingewordene Erinnerung enden. Einen solchen Punkt könnte es beispielsweise beim Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur geben. Niemand vermag mit Sicherheit zu sagen, wann die Schwelle erreicht ist, ab der die Temperatur unaufhaltsam steigt; rechnet man die Trends der anthropogenen Treibhausgasemissionen hoch, die im wesentlichen den globalen Temperaturverlauf im heutigen Zeitalter des Anthropozäns bestimmen, so könnte er bereits in wenigen Jahrzehnten, womöglich schon Jahren überschritten werden.

Einen ähnlichen Verlauf nimmt die Versauerung der Meere, die mit dem Temperaturanstieg verschränkt ist: Beides geht auf die menschengemachte Zunahme an Emissionen von Treibhausgasen zurück. Zwar absorbieren die Meere große Mengen des bei der Verbrennung von fossilen Energieträgern wie Kohle, Erdöl und Erdgas freiwerdenden Abgases Kohlenstoffdioxid (CO2) - wäre es nicht so, würde sich die Erde noch schneller als bisher aufheizen -, doch hat die marine Pufferfunktion ihren Preis: Die Meere versauern in einer Geschwindigkeit, wie sie nach Ansicht von Experten die letzten 300 Millionen Jahre nicht stattfand. In geologischer Vorzeit waren die Meere schon einmal sehr viel saurer als heute und dennoch voller Leben. Doch damals blieb den Tieren und Pflanzen genügend Zeit zur Anpassung an die sich verändernde Umgebung. Die wird ihnen heute nicht gelassen.

So wundert es nicht, daß der gegenwärtige Artenschwund, ausgelöst durch die Spezies Mensch und - auch das wieder ein Rekordwert - in einer Geschwindigkeit, welche die aus paläontologischen Funden rekonstruierte Handvoll Massenaussterben der letzten rund 540 Millionen Jahre übertrifft, auch im Meer stattfindet. Globale Erwärmung, umfangreicher Fischfang, Einleitung von Dünger aus der Landwirtschaft mit der Folge, daß sauerstoffarme Zonen entstehen, generelle Vermüllung, wachsender Handelsschiffsverkehr, das Aufblühen der Offshore-Industrie und eine Reihe weiterer menschlicher Einflüsse setzen den Meeresbewohnern schwer zu.

Wenn ein Weiter-so-wie-bisher keine Option ist, da dadurch das Überlebensinteresse der Menschen unmittelbar gefährdet würde, stellt sich die Frage, was unternommen werden könnte, um die multiplen planetaren Krisen zu bewältigen. Darauf will der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltveränderungen (WBGU) der Bundesregierung mit seinem diesjährigen Hauptgutachten "Welt im Wandel - Menschheitserbe Meer", das vor einigen Monaten erschienen ist, eine Antwort geben und schlägt eine Neuorganisation der menschlichen Gesellschaft vor.

Der Umweltrechtler Michael Stadermann, der an dem Gutachten mitgearbeitet hat, stellte es am 7. Dezember 2013 auf der Tagung "Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See" in Bremen vor.[1] Anschließend bedachte Prof. Dr. Alexander Proelß von der Universität Trier das Gutachten mit einigen kritischen Anmerkungen. Zum Abschluß stellten sich beide Referenten den Fragen des Publikums.

Referent hinter Stehpult - Foto: © 2013 by Schattenblick

Michael Stadermann
Foto: © 2013 by Schattenblick

Aus der Sicht von Nichtregierungsorganisationen hat sich laut Stadermann der WBGU mit seinen Vorschlägen zur Meerespolitik ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt. Brisant ist der Vorschlag, die Hohe See zum Menschheitserbe und somit zum Gemeingut zu erklären, wodurch die Souveränitätsrechte der Nationalstaaten (in der 200 bis 350 Meilen weit ins Meer ragenden ausschließlichen Wirtschaftszone - AWZ) faktisch aufgehoben werden sollen. Denn in der AWZ würden die Vertragsstaaten eine bloße Sachwalterfunktion übernehmen und gegenüber der World Oceans Organization (WOO) rechenschaftspflichtig sein.

Mit dieser neu zu schaffenden Institution entstünde eine globale Administration, in der bereits vorhandene Einrichtungen wie die Internationale Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority - ISA) und die Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels (Commission on the Limits of the Continental Shelf - CLCS) als eigene Abteilungen weitergeführt werden. Die Befugnisse des in Hamburg ansässigen Internationalen Seegerichtshofs (International Tribunal for the Law of the Sea - ITLOS) würden gestärkt. Zudem sollen regionale Organisationen eingesetzt werden, die sich subsidiär um die Interessen der Meere und um die Verteilung der Ressourcen, um die marine Raumplanung und die Einrichtung von Meeresschutzgebieten kümmern. Die WOO hingegen soll den Überblick über alle Meeresfunktionen erhalten und bei Vertragsverletzungen wirksam intervenieren dürfen.

Das Meeresgutachten ist als Fortsetzung und Konkretisierung des letzten WBGU-Hauptgutachtens "Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation" zu verstehen, erklärte Stadermann. Das Gremium habe erkannt, daß eine weltweite Transformation erforderlich ist, um eine nachhaltige Gesellschaft zu realisieren, von der die ökologischen Herausforderungen bewältigt werden. Und bei dieser Aufgabe sehe es bisher nicht gut aus: Ungeachtet der Versauerung der Weltmeere und der globalen Erwärmung wächst von Jahr zu Jahr die Nachfrage nach fossilen Energieträgern. Die Meere als Nahrungs- und Energiereserve werden überstrapaziert, weil sich die Landfläche verringert, um eine wachsende Zahl von Menschen mit Nahrung zu versorgen, stellte der Referent, der eine Forschungsstelle für europäisches Umweltrecht im Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Bremen innehat und heute nicht mehr für den WBGU tätig ist, fest.

Das von ihm vorgestellte Gutachten besteht im wesentlichen aus zwei Teilen, einer "langfristigen Vision für einen nachhaltigen Umgang mit dem blauen Kontinent" und einem Teil mit "Handlungsempfehlungen, die an laufende Politikprozesse anschließen".[2] Mit letzteren erklärte sich Prof. Dr. Alexander Proelß, der zweite Referent der Tagung, im großen und ganzen einverstanden, hinsichtlich der Vision jedoch gibt er zu bedenken, daß sich hierin ein typisch deutscher Weg zeige; in dem Gutachten präsentiere sich das politische Interesse Deutschlands. Er teile zwar die Vision in vielen, aber eben nicht in allen Punkten.

Mit dem im WBGU-Gutachten formulierten Vorsorgeprinzip geht Prof. Proelß d'accord. Diesem Prinzip zufolge soll ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewißheit beispielsweise über die Ursache von Umweltschäden nicht als Ausrede dafür dienen, weiterzumachen wie bisher. Zustimmung findet auch der systemische Ansatz, mit dem "eine Integration der verschiedenen Systemebenen sowie eine Integration der Interaktionen natürlicher und sozialer Systeme", so das WBGU-Gutachten [2], geschaffen werden soll. Aber das Prinzip des Menschheitserbes, das sieht Proelß kritisch.

Beim Vortrag - Foto: © 2013 by Schattenblick

Prof. Dr. Alexander Proelß
Foto: © 2013 by Schattenblick

Wenn, wie geplant, das mühsam ausgehandelte, erst nach vielen Jahren zustandegekommene Paket des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (United Nations Convention on the Law of the Sea - UNCLOS), wieder aufgeschnürt würde, könnte das den aufwendig erarbeiteten Kompromiß sprengen, so daß am Ende der Schaden größer wäre als der Gewinn. Das Seerecht sei ein "Minimalrecht", in das viele verschiedene Interessen hineinspielten. Es bräuchte nur ein einziger Staat auszuscheren, dann drohe dem UNCLOS das Aus.

Daß diese Gefahr gegeben ist, begründete der Referent mit Verweis auf die Rückkehr der staatlichen Souveränität und gegenwärtige Trends, wonach Nationalstaaten vermehrt ihre Interessen vorbringen, "beispielsweise im Chinesischen Meer". Proelß sieht diesen Einwand weniger als Kritik, denn als Ausdruck seiner Sorge darüber, daß die internationale seerechtliche Ordnung überfordert werden könnte. Was gegenwärtig die Schaffung neuer globaler Institutionen angehe, sei er sehr zurückhaltend, denn eine solche Behörde müßte mit Befugnissen ausgestattet werden, um das internationale Recht auch durchzusetzen. Es käme zu Eingriffen in die Souveränität der Staaten, was sicherlich Probleme mit sich brächte.

Dem widersprach Stadermann nicht, erklärte aber in der Diskussionsrunde, daß sich der WBGU dieser Schwierigkeiten sehr wohl bewußt sei und die Erfüllung seiner Vision als langfristiges Ziel formuliert habe. Absicht sei es ja außerdem auch, eine Diskussion anzustoßen. Mit den konkreteren Handlungsempfehlungen, die in dem Gutachten formuliert sind, könnten kleinere Schritte gemacht werden, ohne daß in jedem Fall das Gesamtpaket UNCLOS geöffnet werden müßte. Im großen und ganzen einig waren sich beide Referenten darin, daß der WBGU wünschenswerte Ziele formuliert hat. Die Unterschiede der Referenten liegen somit eher im Bereich der Gewichtung ihrer Bewertung.

Auf dem Podium - Foto: © 2013 by Schattenblick

Kai Kaschinski (Organisator und Moderator), Michael Stadermann, Prof. Dr. Alexander Proelß
Foto: © 2013 by Schattenblick


Kommodifizierung im Zeichen der Commons

In den Vorträgen und Diskussionen der Bremer Tagung werden Bezeichnungen benutzt wie "Meeresschutz", "Schutz der Meere", "Ökosystemdienstleistung der Meere" und auch "im Interesse der Meere". Da könnte man sich fragen, von wessen Interesse hier die Rede ist. Sicherlich würde keiner der Referenten bestreiten, daß damit im Kern das menschliche Interesse gemeint ist und daß auch die Dienstleistung eine rein menschliche Nützlichkeitskategorie ist. Der Begriff "Ozean", der auf den antiken Gott Okeanos zurückgeht, erinnert zwar noch an eine Zeit, als die Menschen ein anderes Weltbild besaßen und nicht an einen Gott, sondern an ein Pantheon von Göttern glaubten. Aber das war nicht gemeint, wenn vom "Interesse des Meeres" gesprochen wird.

Selbstverständlich dient auch der Schutz des Meeres einem bestimmten menschlichen Interesse, das vielleicht in Konkurrenz zu dem räuberischen Wunsch steht, soviel Fisch zu fangen, wie es geht, auch wenn dadurch ganze Arten aussterben. Dennoch handelt es sich um nichts anderes als eine bestimmte Form der Inwertsetzung der Meere, was bedeutet, daß mit einer verdichteten Regulierung die Verfügungsgewalt weiter ausgebaut wird und Bereiche - die Hohe See - einschließt, die bis dahin nicht oder nicht vollständig reguliert sind. Auch die administrativ verordnete Nicht-Nutzung in einem Meeresschutzgebiet stellt eine Form der Nutzung dar.

An dieser Stelle könnte die irrtümliche Vorstellung aufkommen, daß hier der Deregulierung bzw. Liberalisierung das Wort geredet werden soll. Dem ist eine entschiedene Absage zu erteilen. Inbesondere in den Ländern der sogenannten Dritten Welt werden durch die liberalisierten und für die kapitalstarken transnationalen Konzerne geöffneten Märkte Menschen regelmäßig in ökonomische oder gar unmittelbare Überlebensnot gebracht. Aber es ist zu fragen, ob mit dem WBGU-Gutachten nicht der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben werden soll. Stadermann sagt über das allgemeiner gehaltene Transformationsgutachten, es mache einen gestaltenden, starken Staat notwendig, der vorhandene gesellschaftliche Tendenzen aufgreift und in nachhaltige Bahnen lenkt, und über das Meeresgutachten, daß darin beschrieben wird, wie dies auf die Meere bezogen realisiert werden kann.

Da drängt sich die Frage auf, ob der hier propagierte starke Staat, der eine strenge Ordnungspolitik betreibt, ein wünschenswerter Gegenentwurf zu einem der neoliberalen Wirtschaftsweise verpflichteten Staat, der sich aus der Verantwortung stiehlt und das Erfüllen von Grundfunktionen menschlichen Daseins der profitorientierten Privatwirtschaft überläßt, darstellt.

Laut Stadermann fordert der WBGU nach der agrarischen und industriellen Revolution eine weitere Revolution und spricht von Entwicklungsnotwendigkeiten der Weltgesellschaft. Doch hat nicht die agrarische und später die industrielle Revolution die Menschen in immer größere Abhängigkeiten gebracht? Durch die agrarische Revolution kam der Zwang zu Seßhaftigkeit, Bewirtschaftung, Vorratshaltung und damit Bildung von Besitzstand in die Welt. Mit den katastrophalen Folgen der industriellen Revolution haben wir es heute noch zu tun, Stichwort Klimawandel. Von einer weiteren gesellschaftlichen Revolution, diesmal im Zeichen der Commons, also der gemeinschaftlichen Verwaltung des Welterbes Meer, wäre nichts anderes zu erwarten als eine Fortsetzung der Kommodifizierung all dessen, was die Meere an Nützlichem hergeben, auf der nächst höheren Ebene der Verfügbarmachung.

Wenn die Weltmeere zum Menschheitserbe erklärt werden, dann entspräche die strenge Regulation der Nutzung dem Aufteilen und Ausgeben des Erbes, noch bevor die Menschheit verstorben ist. Gegenwärtig geschieht dies mit dem Meeresboden außerhalb der Gebiete nationaler Jurisdiktion. Die Internationale Meeresbodenbehörde in Kingston, Jamaika, erteilt gemäß den ihr zugewiesenen Befugnissen nach dem UN-Seerechtsübereinkommen Explorationslizenzen für marine Rohstoffe wie Manganknollen, Massivsulfiden und Kobaltkrusten. [3]

Wenn einem Staat Explorationsrechte zugeteilt werden, genießt dieser bei allen späteren Abbaurechten Priorität. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Und zuerst kommt derjenige, der über das erforderliche Kapital verfügt. Laut den ISA-Bestimmungen müssen Entwicklungsländer an der Ausbeutung der Rohstoffe vom Meeresboden beteiligt werden. Das werden sie auch - aber gilt etwas ähnliches nicht schon lange für den Ressourcenabbau an Land, ohne daß sich an dem Grundverhältnis zwischen armen und reichen Ländern etwas geändert hat?

Entgegen allen Selbstverpflichtungen der Industriestaaten, sogenannte Entwicklungshilfe entsprechend einem bestimmten Prozentsatz ihres Bruttoinlandprodukts zu leisten, hat sich bis heute nichts an dem kolonialzeitlichen Verhältnis zwischen Arm und Reich in der Welt geändert. Die Entwicklungsländer werden weiterhin am unteren Ende der Wertschöpfungskette gehalten. Das gleiche wäre auch von einem internationalen Abkommen zur Verwaltung und Verwertung der "Schätze" der Meere zu erwarten.

Auch wenn die Kolonialisierung geographisch mit der Hohen See an ihre Grenzen stößt, dürfte sie sich in einer vertiefenden Kolonialisierung fortsetzen. In diesem Sinne liefe die Vision des WBGU vielleicht nicht auf ein Weiter-so-wie-bisher hinaus, wohl aber auf ein Weiter-so.


Fußnoten:

[1] Näheres zu der Bremer Tagung unter:
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0062.html
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0069.html

[2] http://www.wbgu.de/fileadmin/templates/dateien/veroeffentlichungen/hauptgutachten/hg2013/wbgu_hg2013.pdf

[3] Näheres dazu unter:
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0052.html

24. Dezember 2013