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BERICHT/065: Zukunft der Meere - Küstenkriege (SB)


Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See
Tagung im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen am 7. Dezember 2013

Westafrika - im Brennpunkt der Ausbeutung



Wenn es um den blauen Kontinent geht, der mit dem Pazifischen (180 Millionen Quadratkilometer), Atlantischen (106 Millionen Quadratkilometer) und Indischen Ozean (75 Millionen Quadratkilometer) 70 Prozent der Oberfläche des planetaren Lebensraums Erde ausmacht, dann dreht es sich meistens um seinen flossenbewehrten Bewohner Fisch, aber eigentlich um seine Verfügbarkeit für die Fischerei und seine Nutzung durch den Menschen. Dies zeigte sich auch auf der vom Arbeitsschwerpunkt "Fair Oceans" und des "Vereins für Internationalismus und Kommunikation e.V." gemeinsam mit "Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst" und dem "Forum Umwelt und Entwicklung" organisierten Tagung, bei der "Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See" zur Debatte stand. Neben dem diesjährigen Hauptgutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltveränderungen (WBGU) "Menschheitserbe Meer" und einigen speziellen Fragen der Meerespolitik war Fisch der Ausgangs- und "Angel"punkt für den Meeresschutz und für die Sicherung des Beitrags der Fischerei zur Ernährung.

Der 120 Meter Trawler Johanna Maria fischt in den mauretanischen Fischgründen im Rahmen des Fischereiabkommens der EU. - Foto: © 2010 by Christian Åslund / Greenpeace

Europäische Industrieschiffe der Pelagic Freezer Association (PFA) fischen Afrikas Fischgründe leer.
Foto: © 2010 by Christian Åslund / Greenpeace

Die Diskussion im Bremer Konsul-Hackfeld-Haus am 7. Dezember 2013 [1] schien sich dabei größtenteils und möglicherweise von den Referenten unbeabsichtigt auf den vor Westafrika liegenden Bereich des Atlantischen Ozeans zu konzentrieren. Kaum ein anderer Teil dieses Planeten scheint als Brennpunkt der Widersprüche in so greifbarer Weise geeignet. Denn hier läßt sich die zerstörerische Übernutzung des Meeres in einer fortgeschrittenen Phase ebenso gut studieren, wie das verzweifelte Bemühen einiger Umweltorganisationen oder Anrainerstaaten, Lebensraum und Lebensgrundlage mit politischen Entscheidungen oder Meeresschutzmaßnahmen zu erhalten. Daß es sich bei diesen Ansätzen immer nur um unbefriedigende Kompromisse handeln kann, in denen die Meeresbewohner oder auch die Menschen in den Entwicklungsländern mehr oder weniger auf der Strecke bleiben, wird ebenfalls von einigen Umweltorganisationen kritisiert, die wie Greenpeace immer wieder darauf hinweisen, wie wichtig der Schutz des Meeres für den Erhalt der Ökosphäre ist. Dafür müßte man das bereits weitgehend genutzte und geschädigte Meer in sehr viel größerem Ausmaß in Ruhe lassen, als es mit der umgesetzten Forderung nach mehr und größeren Nullnutzungszonen geschehen könnte, die bereits auf heftigen Widerstand der Groß- aber auch der Klein-Fischerei stößt. In den Gesprächen mit Publikumsfragen über das Meeresgebiet vor Westafrika wurden die damit verbundenen Interessenkonflikte deutlich und auch, daß die Existenzberechtigung des Meeres und damit ihre Sorge um seinen Erhalt für die versammelten Vertreter von NGOs, Rechtswissenschaftlern und Meereskundlern vor allem in seiner Nutzung begründet ist. Durch Tradition oder Vergangenheit hält der Mensch an diesem Gewohnheitsrecht fest, so daß es letztlich um die Frage geht, wer sich den größten Anteil an der Ressource sichern kann.

Franzisco Mari, der als Vertreter von "Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst" mit seinem Beitrag die Diskussion zum Thema "Ocean Grabbing" anfachte, machte diesbezüglich auf eine Besonderheit des Nutzungsprodukts Fisch aufmerksam: Fisch ist nach Lesart der Welthandelsorganisation kein Nahrungsmittel, sondern ein Industriegut. Diese Zuordnung korrespondiert mit der Bedeutung des Fisches für den internationalen Handel, da von allem gefangenen Fisch, auch von dem aus der handwerklichen Fischerei in den Entwicklungsländern, beispiellos zu jedem anderen Agrarerzeugnis 50 Prozent in den Welthandel kommt. Damit werden den Menschen in den wenig entwickelten Ländern mit reichhaltigen Fischgründen wie den Westafrikanern große Mengen an Fisch entzogen. Darüber hinaus könne man Fisch und Fischressourcen durch diese Klassifikation als Industriegut nicht einmal als essentielle Grundlage für die Nahrung und die Proteinversorgung schützen. Dies sind wesentliche Voraussetzungen für die Entwicklung der Industriefischerei zum Beispiel vor Westafrika.

Eine große Fabrikhalle in Myanmar, in der Fisch von Arbeiterinnen und Arbeitern in großen Mengen zerlegt wird. - Foto: © by Kieran Kelleher / Marine Photobank

Fisch ist ein Industriegut.
Foto: © by Kieran Kelleher / Marine Photobank


Warum Europa in Afrika fischt

Die Fischgründe Europas sind in sehr schlechtem Zustand, zwei von drei Fischbeständen gelten als überfischt, das heißt, Fische werden schneller gefangen als sie Nachkommen erzeugen können. Das hat unmittelbare Konsequenzen für die marinen Ökosysteme, die ohne gesunde Bestände nicht mehr funktionieren können. Laut einer Analyse des WWF [2] sind bereits 90 Prozent der Bestände aller großen Fische wie Thunfisch, Schwertfisch, Hai, Kabeljau oder Heilbutt verschwunden. Im scheinbaren Widerspruch ist von der hiesigen Hochseefischereiflotte, die nach dem Zweiten Weltkrieg allein in Bremerhaven noch 100 Fischereischiffe liegen hatte, kaum noch etwas übrig. Neben dem Verlust der Fanggründe im Atlantik im Rahmen der Ausdehnung der Hoheitsgebiete und Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) in den 70er und 80er Jahren haben die Überfischung der Nordsee und die starke Konkurrenz der Anrainerstaaten ein übriges für den Rückgang der Fischerei getan.

Daß man dennoch hierzulande und in Europa seit zehn Jahren von "stabilen Fischfangmengen" über etwa 80 Millionen Tonnen sprechen könne, wie Uwe Johannsen vom World Wildlife Fund (WWF) in seinem Vortrag zum "Meeresschutz und Fischereimanagement in Westafrika" betonte, rückt die fruchtbaren Fischgründe vor Westafrika [siehe auch das Interview dazu [1]] in den Fokus der Betrachtung, zu deren Lasten gewissermaßen die "Stabilität" aufrechterhalten wird.

Um nämlich der Nachfrage an Fisch und Fischprodukten weiterhin nachzukommen, gehen die industriellen Fangflotten aus Europa zunehmend auch außerhalb europäischer Gewässer auf Fischfang. Die Folge: Auch in anderen Gewässern geraten immer mehr Fischbestände in Bedrängnis. Bereits 30 Prozent des unter EU-Flagge gefangenen Fisches stammen aus nicht-europäischen Fanggebieten.

Uwe Johannsen machte in diesem Zusammenhang auf ein Projekt der Universität von Vancouver (Kanada) im Auftrag des WWF aufmerksam, das unter dem Arbeitstitel "Sea around us" die historische Ausbreitung der weltweiten und der europäischen Fischereiflotten untersucht und in dem die zunehmende Überfischung in dramatischer Farbgebung deutlich wird. Eine über die WWF-Webseite [3] erhältliche Infografik zeigt die wachsende Ausdehnung der Fanggebiete seit den 1950er Jahren. Bis zum Jahr 2006 (aus diesem Jahr stammen die aktuellsten flächendeckenden Informationen) verzehnfachten die Flotten ihren Radius von 10 auf rund 100 Millionen Quadratkilometer. Es werden jedoch nicht nur größere Gebiete abgefischt, auch die Fangmengen haben sich erhöht.

Ein Haufen toter Fische - Fang an Deck des senegalesischen Grundschleppnetz-Schiffes 'Nikolaos K', das in den Gewässern von Gambia fischt, obwohl es keine Lizenz dafür hat. - Foto: © 2010 by Christian Åslund / Greenpeace

Der Beifang wird nicht erfaßt ...
Foto: © 2010 by Christian Åslund / Greenpeace

Ein Teil der "rot" markierten, das heißt hochgradig gefährdeten Fischfanggebiete liegt vor den Küsten Westafrikas. Rot steht für eine 30prozentige Entnahme der Primärproduktion (PPR) [4], was einem gewaltig schädigenden Einfluß auf die Ökosysteme gleichkommt. In diesem sehr abstrakten Begriff werden einzelne Fischarten nach dem bewertet, was sie fressen. Ein kaltblütiger Vielfraß oder Feinschmecker, der sich zudem von kleinen Fischen ernährt, bedeutet somit eine höhere Entnahme der Primärproduktion als ein Fisch gleichen Gewichts, der sich genügsam von Algen ernährt. Diese ökologische und umweltwissenschaftliche Präzisierung des Raubs erweist sich bei genauerer Betrachtung ebenso ungreifbar wie die wirtschaftliche Herangehensweise. Denn wie der World Ocean Report II [5] schreibt, gibt es bei der Abschätzung von Fischbeständen und Fischentnahmen große Dunkelziffern. Zwar melden Fischer ihre Fangmengen an die staatlichen Behörden ihres Heimatlandes, die diese Daten an die FAO weitergeben. Doch die Daten der Fischerei sind oftmals unvollständig und fehlerhaft. So melden Fischer zum Beispiel nur die Mengen jener Fische, die sie offiziell fangen dürfen. Der unerwünschte Beifang wird nicht erfaßt.

Gewässer von Gambia: Beifang wird mit einer Schaufel über Bord geschippt. - Foto: © 2010 by Christian Åslund / Greenpeace

... sondern an Ort und Stelle verklappt.
Foto: © 2010 by Christian Åslund / Greenpeace

Die Daten reichen allerdings aus, um im Vergleich mit den Fangstatistiken der Welternährungsorganisation (FAO) deutlich abzubilden, daß die meisten Küstengebiete bereits an Überfischung leiden. Danach trägt die europäische Fischerei im globalen Maßstab signifikant zu der Belastung der Fischbestände bei. Der WWF spricht von bereits 50 Milliarden US-Dollar, die jährlich als Verlust entstehen, weil Fischbestände nicht richtig gemanaged werden. Dieser Verlust allerdings scheint nur die Fischerei zu treffen, wenn man die neuen Modellrechnungen von Philipp Neubauer et al. 2013 (Science) wie vom WWF in einem unlängst veröffentlichten Papier zur Erholung der EU-Fischbestände und der Reform der EU-Fischereipolitik zugrunde legt. [2]

Um dem Verlust entgegenzuwirken, ist danach ein Fischerei-Management nötig, das nach dem Nachhaltigkeitsprinzip des höchstmöglichen Dauerertrages (Maximum Sustainable Yield - MSY) eine reduzierte Fangmenge berechnet, mit der sich die Bestände zu einer Größe erholen können, die über viele Jahre eine nachhaltige Fischerei mit entsprechenden Renditen ermöglichen. Die Reduktionsgröße errechnet sich aus dem Verhältnis zwischen der für den höchstmöglichen Dauerertrag notwendigen Bestandsgröße (oder Biomasse) und einer möglichst hohen, gleichzeitig aber "nachhaltigen fischereilichen Sterblichkeit", der fischereiwissenschaftlichen Umschreibung für die "Fangmenge". Wie sich aus der heruntergebrochenen Beschreibung ergibt, sind in der recht komplexen Formel, die hierfür nötig ist, schon sehr viele unterschiedliche Ausbeutungs-Interessen gebunden, die sich nur zum Teil mit den Anforderungen des Meeresschutzes überschneiden.

Ein noch zu kleiner Zackenbarsch für den europäischen Markt und zu teurer Leckerbissen der senegalesischen Küche, hier zum Beifang degradiert. - Foto: © 2010 by Christian Åslund / Greenpeace

Fisch ist wichtig, darüber herrschen Zweifel.
Foto: © 2010 by Christian Åslund / Greenpeace


Fisch ist wichtig ... aber nicht für Europäer.

Augenblicklich ist die Fischerei weltweit alles andere als nachhaltig. Durch massive Überkapazitäten, die durch falsche Subventionen und künstlich hohe Preise gefördert werden, steuert sie laut Uwe Johannsen auf einen sogenannten Tipping Point zu, an dem die erwähnten stabilen Fangmengen rapide zurückgehen. Vorerst korrespondiert die große Hochseefischerei und die sie ermöglichende weltweite Nachfrage mit dem vorherrschenden Interesse an Devisen in Ländern wie Mauretanien, Senegal, Gambia, Guinea, Guinea Bissau, Sierra Leone, Ghana und den Kapverdischen Inseln, die durch die AWZ Ausräumlizenzen, sprich Internationale Fischereiabkommen, ins Land kommen und ohne die sie ihre Staatshaushalte nicht decken könnten. Die Fangmengen der teilweise als Fabrikschiffe bezeichneten riesigen Trawler ab 40 Metern und teilweise über 100 Meter Länge, lassen sich jedoch nicht so einfach überprüfen. Oft wird der hochwertige Speisefisch bereits an Bord verarbeitet, eingefroren und dann in Containerschiffe verladen, während kleinere, pelagische Schwarmfische entweder als toter Beifang im Meer verklappt oder auch direkt in afrikanische Länder verkauft werden. In vielen Orten werden die tiefgefrorenen Fische auf Märkten direkt aus den Eisblöcken herausgebrochen. Daß dies Auswirkungen auf die traditionellen Konservierungsmethoden und das damit verbundene Handwerk hat, steht außer Frage.

Abgesehen von der Überfischung in den Küstengewässern sind die einheimischen Küstenfischer auf jeden Fall von dieser Konkurrenz betroffen. Laut Johannsen habe diese Politik inzwischen maßgeblich zum Regierungswechsel im Senegal beigetragen.

Allerdings gibt es, meint Francisco Mari, bereits in dem Küstenbereich Westafrikas ernährungsbedingt erhebliche Unterschiede, beispielsweise wird in Mauretanien kaum Fisch gegessen, möglicherweise einer der Gründe, der die von Uwe Johannsen beschriebene sehr heterogene Managementproblematik weiter verstärkt. Internationale Fischereiabkommen machen hier nämlich immer noch ein Drittel des mauretanischen Staatshaushaltes aus. Andernorts werden Handelsbeschränkungen umgangen, indem die örtlichen Regierungen den ausländischen Trawlern Joint Ventures anbieten, mit denen diese unter mauretanischer oder senegalesischer Flagge weiterfischen wie bisher. Dazu kommt, daß die für den Weltmarkt abgefischten Fangmengen, wie auch Francisco Mari in seinem Vortrag bestätigte, eigentlich nicht für den Eiweißbedarf der Menschen aus Industrieländern benötigt werden und selbst die vielzitierte in Fischfleisch enthaltene und für die Gesundheit essentielle Omega-3-Fettsäure durchaus auch aus anderen Nahrungsmitteln gewonnen werden kann [6], während drei Milliarden Menschen überwiegend aus Entwicklungsländern auf diese tierische Eiweißquelle angewiesen sind.

Uwe Johannsen im Konsul-Hackfeld-Haus - Foto: © by Schattenblick

Leiter des Projekts 'Westafrikanische Meeresregion' (WAMER), Uwe Johannsen
Foto: © by Schattenblick

Trotz dieses systematisch betriebenen Raubs sieht Uwe Johannsen zumindest in dem von ihm selbst geleiteten Projekt "Westafrikanische Meeresregion" (WAMER), und hier vor allem im Senegal, positive Entwicklungen. Zwar funktioniert die regionale Fischereiorganisation CSAP (La Commission Sous Régionale des Pêche) nicht richtig, doch wisse man im Grunde, wo die Korrekturen im Management anzusetzen sind: unzureichende, regionale Zusammenarbeit, Intransparenz und Korruption, aber auch fehlende, technische Ausrüstung zur Überwachung, auf die Johannsen auch noch in einem Interview mit dem Schattenblick näher einging [1], erschweren die Bedingungen, um ausreichend dafür zu sorgen, daß die privilegierten Fischgründe vor Westafrika nicht von internationalen Trawlern leergeplündert werden.

Problematisch sieht er neben der umwelt- und ressourcenzerstörenden und teilweise illegalen Fischereipraxis auch, daß die Verwendung der Einnahmen nur selten den örtlichen Fischern zugute kommen. Der WWF macht sich hier für nachvollziehbare Mindeststandards bei Fischereiabkommen stark, die an den Aufbau nachhaltiger Fischereimanagements und den Aufbau der lokalen Fischwirtschaft gebunden sind.

Meeresschutz in den attraktiven Habitaten, die gleichzeitig auch immer Fischereizentren sind, könne in wenig entwickelten Ländern nur dauerhaft Erfolg haben, wenn er die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung einbezieht, war dem Referenten besonders wichtig zu erwähnen. Der WWF hält es deshalb für vorrangig, daß sich durch die Naturschutzmaßnahmen auch die Lebenssituation der Bevölkerung verbessert. In Küstenorten wie Saint-Louis, Kayar oder Joal Fadiouth, wo die meisten Menschen vom Fischfang leben, soll der Meeresschutz gemeinsam mit einem nachhaltigen Management der Fischbestände im Mittelpunkt stehen, aber nicht ohne die örtlichen Fischer einzubeziehen. In diesen Vorzeigeprojekten des WWF könnten sich Jungfische und bedrohte Meerestiere ungestört entwickeln und Fischlarven auch in Gebiete außerhalb des Schutzgebiets tragen, da erfahrungsgemäß auf die ausgewachsenen Fische, die das Schutzgebiet verlassen, bereits die Fischer warten.

Um all das durchzusetzen, müssen die Managementmaßnahmen in den Schutzgebieten gemeinsam mit den örtlichen Fischern festgelegt und überwacht werden. So wurden beispielsweise besonders engmaschige Netze verboten, in denen sich viele seltene Tiere und Jungfische verfangen. Die Verbreitung von Fischlarven wirkt sich auch auf die Erholung der Fischbestände außerhalb der Schutzgebiete aus. Um eine Überfischung zu verhindern, wurden auch die Fangmengen begrenzt. Jeder Fischer darf nur einmal am Tag zum Fang hinausfahren. Diese Maßnahmen würden reichen, daß die Fischer ihre Einkommensgrundlage "Fisch" langfristig nutzen können. Allerdings brauche es sieben bis zehn Jahre, bis ein Schutzgebiet seine Wirksamkeit erreicht habe. Vice versa sei der Erfolg dann in kürzester Zeit wieder zerstört. Die Strategien der Einheimischen, ihr Überleben zu sichern, die zudem noch anhaltende Welle von Migranten, die wegen der Nahrungsknappheit oder Landwirtschaftskrisen im Inland an die Küste drängten und dort teilweise mit Mosquitonetzen oder auf andere Weise Wege fänden, um am Rande der Illegalität zu fischen, stellten eine starke Bedrohung für den bereits erreichten Schutz dar [mehr über diese Gratwanderung des Meereschutzes zwischen den vorherrschenden verschiedenen Interessen siehe das Interview mit dem Referenten. [1]].

Der Referent am 7. Dezember beim Vortrag im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen - Foto: © by Schattenblick

Francisco Mari
Nicht nur Industriefischerei ist nicht nachhaltig. Auch die Kleinfischerei produziert Überkapazitäten.
Foto: © 2014 by Schattenblick

Während Uwe Johannsen aus Sicht des Meeresschutzes im Senegal eine relativ positive Entwicklung sah, in der manches bereits funktioniert und vieles zu verbessern ist, wurde im Vortrag von Francisco Mari zum "Ocean Grabbing" klar, daß der Konkurrenzkampf zwischen Pirogen und Industrieschiffen noch wesentlich chancenloser für die handwerkliche Fischerei ausgeht. Auch sogenannte "faire Fischereiabkommen", die neben den Devisen für die Regierungen auch Meeresschutz und Wildfisch für die Küstenbewohner sichern sollen, können immer wieder von unfairem und illegalem, vor allem aber immer noch schwer zu verfolgendem Fischraub unterwandert werden.

Ocean Grabbing läßt sich weit fassen. Allein daß 50 Prozent des gefangenen Fisches in den Welthandel gerät, beweist, daß den Menschen vor Ort gewaltige Mengen Fisch entzogen werden. Von den 50 Prozent würden allein 72 Prozent auf dem europäischen und US-Markt gehandelt. Japan und Australien schließen sich an.

Die scheinbar naheliegende Alternative, nur noch kleine Küstenfischerei in den Schutzgebieten zuzulassen, ist jedoch keine. Auch die kleine Küstenfischerei schafft Überkapazitäten. Eine Piroge könne pro Tag 20 Tonnen Fisch einbringen. Bei 15.000 bis 20.000 kleinen Fischerbooten im Senegal ergibt das Fangkapazitäten, mit denen der Referent möglicherweise unbeabsichtigt die Nachhaltigkeit des zuvor geschilderten Kleinfischerei-Projekts seines Kollegen in Frage stellt. Und auch attraktive Speisefische, die sich Einheimische nicht mehr leisten können, lassen sich in lukrativen Mengen mit handwerklicher Fischerei einbringen. Francisco Mari sprach von persönlichen Beobachtungen im Pazifik, die gezeigt hätten, daß es möglich sei, von kleinen Fischerbooten täglich 100 bis 150 dieser Skipjack oder Gelbflossenthunfische an Land zu bringen. Diese Fische können bis zu acht Jahre alt werden und zu Meeres-Kalibern von über zwei Meter Länge und 200 Kilogramm heranwachsen, wenn sie nicht vorher gefischt werden. Das heißt für die Ernährungssicherheit vor Ort, ein großer Teil des auch von Kleinfischern gefangenen Fischs läßt sich für den Export verwenden.

Die erwähnten Länder sind von diesen Exporten abhängig. Die Einnahmen aus Fisch und Fischerei sind höher als alle Einnahmen aus Kaffee, Tee, Zucker und Kakao, die aber im Gegensatz zu Fisch, der entwicklungspolitisch keine Rolle spielt, immer wieder im Zentrum entwicklungspolitischer Debatten stehen.

Im Satellitenfoto sind die flächendeckenden Umweltschäden deutlich zu erkennen - Foto: © by DigitalGlobe / Marine Photobank

Spuren der Verwüstung - Schleppnetz-Fangflotten hinterlassen ein Ocean Grabbing besonderer Art: zerstörten Lebensraum.
Foto: © by DigitalGlobe / Marine Photobank


Ocean Grabbing findet nicht nur auf dem Meer statt

Der industrielle Fischraub und die zurückgehenden Fangmengen betreffen nicht nur die Fischerei. Auch die verarbeitende Industrie ist vom Ocean Grabbing mit allen damit zusammenhängenden Problemen betroffen. In Westafrika wird auch die Fischverarbeitung, d.h. das Trocknen und Konservieren von Fisch, handwerklich von Frauen geleistet. Sie sind oft maßgeblich an der Finanzierung der ausfahrenden Fischer beteiligt, indem sie Kredite geben oder auch selbst Boote besitzen, die sie verpachten. Mit den ausbleibenden Fängen verlieren auch sie ihre Existenz und geraten damit in einen Sog von Schwierigkeiten einschließlich äußerlich nicht offensichtlicher Gesundheitsprobleme (so ist die HIV-Rate unter den Frauen an den Küsten besonders hoch).

Fische trocknen auf einfachen Gestellen unter der Sonne. Im Hintergrund sind die Fischerboote zu sehen. - Foto: © by Kieran Kelleher / Marine Photobank

Handwerkliche Pirogen-Fischerei am Strand von Saint-Louis. Von den Fängen der örtlichen Kleinfischer hängen viele Existenzen ab.
Foto: © by Kieran Kelleher / Marine Photobank

Auch die örtliche Fischmehlindustrie ist in ungeahnter Weise von der Konkurrenz zwischen Industrieschiffen und handwerklicher Fischerei betroffen. Der Bedarf steigt zwar weltweit. Aufgrund der Verteuerung des Fisches und des völligen Ausfalls einiger dazu verwendeter Schwarmfische wie Achiovetten sinkt jedoch die Produktion, was ebenfalls zu einem marktschädigenden Preisanstieg führt.

Doch auch die von ausländischen oder internationalen Interessen verfolgte Verfügung über die Märkte und Umschlagplätze Afrikas setzt gewissermaßen auf subtile Weise Ocean Grabbing mit anderen Mitteln fort und entscheidet oft die Auseinandersetzung von Kleinfischern und Industrie schon an Land. Afrikas Häfen werden modernisiert, urbanisiert und im Zuge dessen Anlaufplätze für Kleinfischer wegrationalisiert. Ohne Zugang zu größeren Häfen bleiben ihnen jedoch die Märkte im Inland wie auch ein Zugang zum Export kurzerhand verschlossen.

Darüber hinaus wird parallel zum Landgrabbing in den vom sogenannten Upwelling, dem auftreibenden Nahrungsreichtum aus der Meerestiefe, privilegierten Fischereigebieten ein Ocean Grabbing ganz besonderer Art vorangetrieben, indem ausländische Industrien hier Aquakulturen im großen Maßstab betreiben, deren Shrimps- und Fischerzeugnisse direkt für den Export bestimmt sind. "Proteinpiraterie" nennt dies eine Kampagne, die über solche Machenschaften aufklärt.

Die oft von Greenpeace angeprangerte, direkte und massiv gewalttätige Auseinandersetzung, bei der internationale Trawler die Fangnetze kleiner Fischer zerstören (und manchmal auch umgekehrt), die als Piraterie bezeichneten, korruptionsbedingten Fischzüge unter falscher Flagge und andere Aktivitäten internationalen Großkapitals auf dem Meer, mit denen die Ressourcen an Fisch abgeschöpft werden, scheinen tatsächlich nur die Spitze des Eisbergs an Möglichkeiten zu sein, wie der Raubbau am Meer zu Lasten der Menschen im Süden betrieben wird.

Francisco Mari hält den Begriff "Ocean Grabbing" für zu unpräzise, um zu beschreiben, was hier stattfindet. Denn Grabbing beschreibe das unrechtmäßige Aneignen von Eigentum. Man könne aber nur stehlen, was jemand besitzt. Wer die Meeres-Commons oder Allgemeingüter für sich beanspruchen könne und wie dieser Anspruch zu rechtfertigen ist, war einer der Diskussionsschwerpunkte dieser Tagung. [1] Nicht in Frage gestellt wurden allerdings die Rechte an sich. Denn der Standpunkt, daß das Meer und seine Bewohner eigentlich niemandem gehören sollten, der darin nicht zuhause ist, wurde hier nicht vertreten.

"Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst" scheint hiernach zumindest davon auszugehen, daß das größte Recht auf diese Güter denen zuzubilligen ist, die den größten Bedarf haben. Das wären der Logik des Referenten gemäß die nach jüngsten Berechnungen der FAO zwei Millarden mangel- oder fehlernährten Menschen und 800 Millionen Hungernde.

Ocean Grabbing könnte aber auch der zunehmende Entzug dieses Lebensraums für seine Bewohner genannt werden. Der findet überall statt, wo bewußt durch Abbau von Tiefsee-Mineralien oder durch Unfälle zum Beispiel bei der nuklearen Energieproduktion, der Erdgas- oder Ölförderung die Lebenswelt unter Wasser zerstört oder vergiftet wird, nicht nur, aber auch an der westafrikanischen Küste. Interessenvertretungen dieses Stand- und Schwerpunkts muß man allerdings wie die Stecknadel auf dem Meeresgrund suchen.


Fußnoten:

[1] Weitere Berichte und Interviews zur Bremer Tagung finden Sie unter:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

INFOPOOL → UMWELT → REPORT → BERICHT

BERICHT/062: Zukunft der Meere - Tiefsee in Not (SB)
Unendliche Weiten? Immer weniger Lebensraum für die Meeresbewohner!
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0062.html

BERICHT/063: Zukunft der Meere ... und machet sie euch untertan ... (Genesis, Kap. 1, Vers 28) (SB)
Das WBGU-Gutachten "Welt im Wandel - Menschheitserbe Meer" - Befreiung vom Raubbau oder dessen Fortsetzung?
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0063.html

BERICHT/064: Zukunft der Meere - Welterbe, Weltbesitz (SB) Zum Vortrag von Dr. Christoph Spehr über "Die Weltmeere, ein Gemeingut mit Zukunft?"
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0064.html

INFOPOOL → UMWELT → REPORT → INTERVIEW

INTERVIEW/069: Zukunft der Meere - Pflichten des Fortschritts? Dr. Onno Groß im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0069.html

INTERVIEW/070: Zukunft der Meere - Menschheitsrecht und Menschenpflicht, Michael Stadermann im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0070.html

INTERVIEW/071: Zukunft der Meere - Schlafende Hunde, Prof. Dr. Alexander Proelß im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0071.html

INTERVIEW/072: Zukunft der Meere - Widerspruch und Taktik, Uwe Johannsen im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0072.html

INTERVIEW/073: Zukunft der Meere - Nachzubessernde Gerechtigkeit? Dr. Christoph Spehr im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0073.html

INTERVIEW/074: Zukunft der Meere - Erhalt und Gebrauch, Jürgen Maier im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0074.html

INTERVIEW/075: Zukunft der Meere - Ausgebootet, Francisco Mari im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0075.html

[2] http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/20130508_WWF-Analyse_die_Erholung_der_EU_Fischbestaende.pdf

[3] http://www.wwf.de/themen-projekte/meere-kuesten/fischerei/ueberfischung/weltweite-ueberfischung/

[4] PPR = die benötigte Primärproduktion: Der Parameter beschreibt laut WWF die von Fischen aufgenommene Nahrungsenergie. Die von der Fischerei entnommene Biomasse steht damit in einem Verhältnis zur gesamten bereitgestellten Primärproduktion in einem Gebiet. Dieses Verhältnis ist von Art zu Art und von Gebiet zu Gebiet unterschiedlich. Der Parameter PPR ermöglicht einen weltweiten Vergleich von den ökologischen Auswirkungen der Fischerei. Nach Aussagen von Wissenschaftlern ist die Entnahme von mehr als 30 Prozent PPR ein sehr hoher Wert und ein deutliches Indiz für Überfischung.

[5] http://worldoceanreview.com/

[6] Zum Beispiel soll die physiologisch notwendig Menge an Omega-3-Fettsäure bereits in 3 Eßlöffeln Rapsöl enthalten sein.
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chera328.html


10. Januar 2014